Die Stimme der Wahrheit
Wut
Weiter, immer weiter. Noch ein kleines Stück, dann hatte sie es geschafft. Noch ein paar Sekunden, nur noch ein paar Sekunden … . JA!! Kate hatte es vollbracht! Sie hatte ihren Rekord im 3 Kilometerlauf gebrochen. Sie blieb stehen und hörte in sich hinein.
Bumm, bumm, bumm, bumm ging ihr Herz und stoßweise ihr Atem. Stolz drehte sie sich zu Nick um. Der gut aussehende Junge strahlte über das ganze Gesicht.
„Gut gemacht! Du hast eine Wahnsinnszeit hingelegt. Das Training mit mir scheint sich auszuzahlen. May wird ausflippen wenn sie das erfährt!“ rief er Kate zu, während er näher kam. May war Kates Großmutter. Sie war zwar alt, doch noch so fitt wie eine nicht mehr ganz so junge Sportlerin in ihren besten Tagen.
Kate war stolz auf sie. Immer wurde sie von ihrer Großmutter unterstützt, egal, welche verrückten Ideen Kate auch hatte, May stand vollkommen hinter ihr und half ihrer Enkelin, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen.
Nick befand sich jetzt direkt vor dem Mädchen. Er lächelte sie an und seine Augen blickten liebevoll auf Kate herab. Was diese nicht wusste, war, dass Nick sich in sie verliebt hatte. Sie hielt ihn für eine Art Bruderersatz, sie stritten sich ständig, doch waren sie immer für einander da.
Nick wollte auch um jeden Preis verhindern, dass seine kleine Kate erfuhr, welche Gefühle er ihr entgegenbrachte. Manchmal war es wirklich schwer, sie nicht in die Arme zu ziehen, fest zu halten und sie zu küssen. Kate übte eine solche Faszination auf ihn aus, dass es schon fast beängstigend war. Und nun war so eine Zeit, wo sich Nick beherrschen musste. Kate lächelte ihn nämlich an, wobei sich ihre Wangen röteten und ihre Augen geschlossen waren. Da war Selbstbeherrschung gefragt.
Der Junge schluckte schwer und stieß langsam aber heftig seinen Atem aus. Verwundert über Nicks Verhalten öffnete sie die Augen und betrachtete forschend sein Gesicht. „Bist du krank? Oder was ist mit dir los? Haste Liebeskummer?“, witzelte sie halb im Ernst und halb im Spaß herum. Nick musste sich zusammenreißen, um seine Gedanken nicht laut auszusprechen: „Liebeskummer? Na, wenn du wüsstest! DU bist mein Problem! Ich kann dich nämlich nicht haben! … Ja, … ich kann dich nicht haben. Und dabei wünsche ich mir das doch so sehr. Am liebsten würde ich dir sagen: Ich liebe dich! Doch ich weiß nicht, ob du mich liebst. Naja, eigentlich doch, du liebst mich, du liebst mich so wie einen Bruder! Deswegen kann ich dir meine Liebe nicht gestehen! Denn ich liebe dich nicht wie eine Schwester, oh nein. Anfangs schon, ja, da warst du noch klein, … klein, süß, unschuldig und naiv. Doch jetzt bist du eine junge Frau und wunderschön, doch trotzdem noch unschuldig und naiv. Deswegen schweige ich, tu so, als ob du mir nichts bedeuten würdest, behandle dich wie ein kleines Kind. Doch wie lange kann ich diese Maske noch tragen? Ich weiß es nicht, glaub mir, ich habe keine Ahnung!“
Als er nicht antwortete, sondern sie nur weiterhin mit so einem merkwürdigen Blick betrachtete, stieg ein beunruhigendes Gefühl in Kate hoch. Was war nur mit ihm los? Seit einiger Zeit verhielt er sich schon so seltsam. „Was hast du denn? Wieso sprichst du nicht mit mir? Habe ich was Falsches gesagt? Oder … hast du wirklich Liebeskummer?“, fragte sie weiter. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck in Nicks Augen und er fing an zu grinsen. „Das würdest du ja jetzt gerne wissen, stimmt’s? Neugieriges Ding. Naja, das bist eben du, immer die Nase in anderer Leute Angelegenheiten stecken und dann noch so eine große Klappe!“, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln und streckte dabei die Arme weit aus, damit Kate sehen konnte, für wie groß er ihre Klappe hielt.
Sofort wurde Kates besorgtes Gesicht durch ein verärgertes ersetzt. „Du bist echt unmöglich! Ich mache mir Sorgen um dich und du machst dich über mich lustig! Wo soll das bloß hinführen mit dir?“, fauchte sie Nick an. Verwundert fragte dieser: „Sorgen? Du machst dir wirklich Sorgen um mich? Ist das wahr?“ „Natürlich. Warum fragst du so blöd? Wieso sollte ich mir nicht Sorgen um dich machen? Stell dir vor, dir geht’s nicht gut, dann macht es mir ja keinen Spaß dich zu ärgern, weil du dich nicht so aufregen kannst, wie sonst immer. Das wäre doch furchtbar, findest du nicht?“, entgegnete sie ihm keck.
„Wah, du kleiner Frechdachs! Na warte, wenn ich dich in die Finger kriege!“, rief Nick Kate hinterher, da sich diese schon aus dem Staub machte. Traurig lächelnd drehte er sich um und ging ein Stück weiter auf das Meer zu.
Nicks Gedanken überschlugen sich geradezu: „Und ich dachte schon, dass du dir wirklich Sorgen um mich machst. Eigentlich tust du das ja auch, aber nicht so, wie ich es mir wünsche, denn ich bin da kein Einzelfall. Du machst dir um alles und jeden Sorgen, aber ich will etwas Besonderes für dich sein. Ich will einen Ehrenplatz in deinem Herzen haben. Ich will … Hahaha, wie oft ich mir doch denke: ich will, dabei bin ich doch sonst nicht so egoistisch!
DU rufst dieses Gefühl in mir hervor! Es ist nicht angenehm, sogar etwas beschämend, aber DU machst einen anderen Menschen aus mir! Du veränderst mich, zum Besseren. Du lässt mich Eifersucht spüren, Angst um andere, lernte ich durch dich kennen. Freunde zu beschützen, ist mir nun sehr wichtig. … Ja, all das hast du mir beigebracht, zu fühlen. Aber das wichtigste Gefühl, das du mich lehrtest, war Liebe.
Obwohl du nicht an die Liebe glaubst, sie verachtest, weil du keine guten Erfahrungen damit gemacht hast, erweckst du dieses Gefühl in mir. Wenn du das wüsstest, würdest du mich auslachen und sagen: „Was? Du liebst mich? Das ist doch Humbug! Vergiss das lieber ganz schnell wieder, das bringt nur Unglück mit sich“
Ja, das würdest du sagen. Ich weiß es, denn ich hörte es dich schon einmal aussprechen. Nicht mir gegenüber, sondern einem armen Irren, der dich unbedingt rumkriegen wollte, hast du das als Antwort gegeben. Der Kerl tut mir jetzt noch leid, aber ich würde ihn trotzdem eigenhändig umbringen, denn er hat es gewagt, deine Hand zu nehmen, obwohl du es nicht wolltest, er hat gesagt, dass du wunderschön bist, obwohl du das nicht glaubst, er hat gesagt, er liebt dich, obwohl du diese Worte hasst. Aber vor allem würde ich ihn töten, weil er weiß, wie wundervoll du bist und er dich mir wegnehmen könnte.
Zu meinem Glück, weißt du nicht, wie du auf andere wirkst. Du hast keine Ahnung, du bemerkst die Blicke nicht, die sie dir zuwerfen, so bewundernd, voller Begierde. Es sollte immer jemand in deine Nähe sein, damit sie dich beschützen können. Leider ist es mir nicht möglich, stets an deine Seite zu sein, obwohl ich es gern wäre.
Was denke ich denn da? Wenn Kate das wüsste, ich glaube, sie würde dann nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. …
Verdammt!!! Ich bin so wütend! Warum kann ich es dir nicht einfach sagen? Warum glaubst du nicht an die Liebe, die dich doch selbst umgibt? … Warum bist du nur so, wie du bist? … Am meisten regt es mich aber auf, immer wieder mit ansehen zu müssen, wie Kane dich halb tot prügelt.
Warum lässt du das zu? Warum wehrst du dich nicht? Weißt du etwas, das wir nicht wissen dürfen? Wieso provozierst du ihn so? Warum geht er nur auf dich los und auf keinen anderen? Du bist doch seine Nichte, warum also? … Fragen, nichts als Fragen. Ob ich jemals auch nur eine von ihnen beantworten kann?
Ich sollte zurückgehen, wer weiß, vielleicht dreht dich dieses Arschloch schon wieder durch die Mangel. … Ich schwör es, irgendwann werde ich ihn in meiner Wut umbringen, … irgendwann.“
Noch einmal holte Nick tief Luft, dann drehte er sich abrupt ab und eilte zurück zu jenem Ort, den Kate noch kein einziges Mal als Zuhause bezeichnet hatte.
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so, das war das erste Kapitel! wenn es euch gefallen hat, freu ich mich darauf, euch im zweiten kapitel zu sehen! ^^