Warum ich?
Ein Genie?
„Hatschi!!“
Na toll, Jeremy hat sich mal wieder erkältet. Ich sollte wohl besser nach ihm schauen…
Miesmutig und müde drehe ich mich im Bett um und zufällig streift mein Blick etwas, bei dem meine Müdigkeit sofort verfliegt – den Wecker!
„Mist, verdammter!“, fluche ich lauthals, als ich versuche mich aus meiner Bettdecke zu schälen, mit der ich mich – wie jede Nacht – fest eingewickelt habe.
Prompt falle ich auf die Nase – war ja klar.
„Mutter, warum hast du mich nicht geweckt?!“, brülle ich durch das Haus, während ich mich strampelnd von meiner Decke befreie. Als ich den alltäglichen Kampf mit ihr endlich gewonnen habe, springe ich auf und streife mir im Laufen meinen Pyjama vom Körper.
Rasch springe ich unter die Dusche, wobei ich darauf achte, dass meine Haare nicht nass werden. Keine 10 Minuten später stehe ich vollkommen angezogen, gewaschen und für den ersten Schultag gerüstet im Vorzimmer.
„Ach, Ann, du bist schon wach?“, fragt mich meine Mutter mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht.
Mit genau so einem Lächeln antworte ich ihr unfreundlich: „Natürlich, und das auch OHNE dass du mich geweckt hast… Wo bleibt denn Kirsten?“
Das hässliche Grinsen in Mutters Gesicht wird noch breiter – falls das überhaupt möglich ist – als sie mir meine Frage beantwortet: „Na, wo wird sie wohl sein? Im Bett, wie auch sonst jeder normale Mensch um diese Zeit! Es ist gerade mal 6 Uhr.“
Als ich sie verständnislos anstarre, fährt Mutter fort: „Dummkopf! Wir sind umgezogen, schon vergessen? Hier ist die Schule nur etwa 10 Minuten entfernt, also müsst ihr nicht so früh aufstehen, um den Bus zu erwischen. Außerdem beginnt die Schule nicht wie früher um dreiviertel 8, sondern um punkt 8 Uhr. Also, was machst du jetzt noch? Nicht, dass mich das wirklich interessieren würde, ….“
Während sie spricht werden meine Augen immer größer. Natürlich! Wie konnte ich das nur vergessen? Ja, ich bin wirklich ein Dummkopf, Mutter, aber du brauchst mich nicht ständig daran zu erinnern!
Ohne sie eines weiteren Wortes zu würdigen, drehe ich mich auf dem Absatz um und gehe zurück in mein Zimmer. Dort ziehe ich mir einen Jogginganzug an, stopfe mir meinen Mp3-Player in die Hosentasche, laufe zurück zur Eingangstür – Mutter ist anscheinend wieder zurück in ihr Bett gekrochen - , ziehe meine Sportschuhe an und schon beginnt für mich eine einstündige Erholpause.
Ja, ich mag das Laufen ziemlich gerne. Es ist so… entspannend. Man kann seinen Gedanken freien Lauf lassen und gesund ist es auch. Aber das beste daran ist, dass ich ungestört Musik hören kann.
Sobald ich aus der Tür getreten bin, fühle ich mich erleichtert. In Gegenwart meiner Mutter kann ich mich einfach nicht entspannen. Sie mag mich nicht…Ha, das ist die Untertreibung des Jahres! Sie hasst mich! Warum, weiß ich nicht. Auch das ist mir mal wieder ziemlich egal, solange sie mich nur machen lässt, was ich will.
Der Park, in dem ich jetzt Laufen gehen will, liegt gleich gegenüber. Er ist wunderbar groß und einfach umwerfend schön. Richtig gepflegt! Die Bäume sind riesig und die Blumen blühen um die Wette. Ich mag diesen Ort sehr gerne.
Ich sehe mich noch kurz um, bevor ich dann langsam anfange zu Laufen. Schon bald habe ich meine gewöhnliche Laufgeschwindigkeit erreicht. Nun mache ich auch den Mp3-Player an.
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Eine schöne Melodie! Ich muss grinsen. Eigentlich ist es ja nicht meine Art, mich selbst zu loben, aber ich muss echt sagen, dass ich dieses Instrumentalstück sehr gut hinbekommen habe. Der Klavierteil unterstreicht das Gitarrensolo wirklich hervorragend! Wenn mir jetzt noch der passende Text dazu einfallen würde….
Nachdem ich mir das Lied immer und immer wieder angehört habe und mir trotzdem kein Text dazu eingefallen ist, will ich schon den nächsten Song spielen, als ich auf einmal einen kleinen See sehe.
Wie von selbst bewegen sich meine Füße darauf zu. Ohne nachzudenken fange ich an, leise vor mich hin zu singen:
Das Flüstern des Winds, weist dir den Weg,
nur du kannst es hören, tief in dir.
Das Flüstern des Winds, begleitet dich,
wohin du auch gehst, er ist da.
Das Flüstern des Winds, ist nun hier,
frag was du willst, er antwortet dir.
Das Flüstern des Winds, ist nicht weit,
wenn deine Seele nach ihm schreit.
Das Flüstern des Winds…
Das Flüstern des Winds…
Das Flüstern des Winds…
Das Flüstern des Winds lebt in dir.
Hm, ja, der Text gefällt mir. Vielleicht noch etwas überarbeitungsbedürftig, aber sonst ganz passabel, würd ich mal sagen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon kurz nach 7 Uhr ist. Unbemerkt ist die Zeit verronnen. Dieser See hat wirklich etwas magisches.
Ich fange an, den Weg nach Hause zu sprinten. Schließlich muss ich noch mal duschen und nach Jeremy sehen.
Unser Haus sehe ich schon von weitem. Es ist eigentlich ganz hübsch, nur die Farbe – blasses Rosa – ist nicht so mein Ding. Aber von der Architektur her ist es wirklich großartig.
Als ich die Wohnungstür öffne, strömt mir schon Kaffeegeruch in die Nase, Kirsten muss also schon wach sein. Ihre Kaffeesucht ist fast schon krankhaft. Wie kann man nur so ekelhaftes Zeug trinken? Und dann auch noch gleich am Morgen? Bäh!
„Na, kleines Schwesterchen, warst du mal wieder Joggen? Wann lässt du diesen Blödsinn endlich sein und kümmerst dich mehr um dein Aussehen als um deine Fitness?“, fängt sie auch sofort zu nörgeln an, als sie mich erblickt.
Da ich ihr nur ein undeutbares Lächeln schenke, fährt sie fort: „Hm, ja, bleib so! Lächle doch öfters, dann ist dein Gesicht ganz passabel anzusehen – immerhin bist du meine Schwester – deshalb solltest du dich etwas Schminken! Dann würden dich vielleicht auch ein paar Jungs ansehen. Aber neben mir darfst du da nicht stehen, sonst wirkst du wie ein Mauerblümchen. Ich könnte natürlich auch so nett sein und dich mit den Jungs verkuppeln, die ich nicht will! Na, wäre das nicht total lieb von mir?“
Mit jedem weiteren Wort von ihr, verdunkelt sich mein Gesicht. Zähneknirschend antworte ich ihr: „Ja, total lieb! Was hab ich nur für eine wunderbare Schwester! Jedoch muss ich dein Angebot ablehnen. Ich halte weder etwas vom Schminken und noch weniger was von deinen Playboys! So, ich geh jetzt duschen, bis nachher dann, Kirsten!“
Verdammt! Diese Schnepfe beleidigt mich bis aufs Letzte und ich kann nicht anders als trotzdem einigermaßen freundlich zu sein! Wieso kann ich ihr nicht endlich mal die Meinung sagen? Warum ist es mir nicht möglich, auch sie zu demütigen? Vielleicht hat Jason ja recht – mir fehlt einfach Mut. Oder… ist es doch etwas … anderes?
Seufzend drehe ich mich um und betrete zum zweiten Mal an diesem Morgen das Badezimmer.
Als ich diesmal hinaustrete und nur mit einem Handtuch umwickelt in mein Zimmer huschen will, höre ich es erneut – mein kleiner Bruder hustet sich die Seele aus dem Leib.
Schnell schlüpfe ich in Unterwäsche, etwas zu große blaue Jeans – hey, ich hab tatsächlich wieder abgenommen! – und streife mir ein grünes T-Shirt über. Ein Paar Socken schnappe ich mir im vorbeigehen und schon sitze ich auf Jeremys Bettkante.
Dieser hat mich natürlich sofort bemerkt. Langsam dreht er sein Gesicht zu mir und lächelt mich an.
„Morgen, Schwesterchen! Wieso bist du denn schon angezogen?“, fragt er mich verwirrt.
Ich muss ein paar mal blinzeln, bevor ich ihm antworte: „Ähm, das liegt vielleicht daran, dass ich gleich zur Schule muss?“ Ein Grinsen breitet sich auf meinen Gesicht aus, als Jeremy plötzlich hochfährt und den Wecker auf seinem Nachttisch ungläubig anstarrt.
„WAS?! Schon so spät? Wie soll ich denn jetzt rechtzeitig für die Schule fertig werden?“, kommt es heiser über seine Lippen.
Ich greife nach seinen Schultern und drücke ihn zurück auf die Matratze. Unwillig sieht er mich an und murmelt so was wie „Aber ich muss mich doch jetzt schnell fertig machen!“
„Nix da! Du hast doch erst um 9 Uhr Schule. Es ist immerhin der erste Schultag und bei euch Kindern fängt der Unterricht da später an. Ach, habt ihrs gut! Ich muss heute schon eine Prüfung ablegen!“ Bei jedem weiteren meiner Worte entspannt sich Jeremy sichtlich. Schon bald liegt wieder ein Lächeln auf seinen Lippen und seine sonnenfarbenen Augen sehen mich lieb an.
„Du~hu, Annie? Muss Kirsten auch eine Prüfung machen?“, will er von mir wissen.
Bei der Erwähnung dieses Namens ziehen sich für Sekundenbruchteile meine Augenbrauen zusammen, bevor ich monoton antworte: „Ja, muss sie. Und ich muss jetzt los! Sonst komm ich noch zu spät, Kleiner!“
Mit diesen Worten erhebe ich mich, aber nicht ohne meinem Bruder zuvor noch einen Kuss auf die Wange zu drücken. Dieser kichert belustigt und murmelt noch: „Schönen Tag, Schwesterchen…“ bevor auch schon wieder eingeschlafen ist.
Seufzend verlasse ich sein Zimmer und schließe leise die Tür hinter mir. Jeremy hat Fieber. Bei dem flüchtigen Kuss habe ich bemerkt, dass seine Wange glüht. Ich sag besser Mutter bescheid. Aber dazu muss ich sie erst mal finden. Im ihrem Schlafzimmer ist sie nicht, auch das Bad steht leer. Vielleicht ist sie schon in der Küche? Ich öffne die Tür zu unserer sehr modern und technisch ausgezeichnet eingerichteten Küche. Dort erblicke ich nicht nur meine Mutter sondern auch ihr jüngeres Abbild – meine Schwester.
Beide drehen sich synchron zu mir um und ich tue mir wirklich sehr schwer damit, zu sagen, wer von den beiden mich mit einem kälteren Blick mustert.
Innerlich seufzend fange ich an zu sprechen: „Mum, Jeremy ist schon wieder krank. Kannst du ihn zur Schule fahren und ihn wieder abholen? Es wäre besser, wenn er sich nicht so lange anzustrengen bräuchte und mit dem Bus fahren müsste. Ich habe angst, dass er vielleicht irgendwo auf