Warum ich?
jeden Moment anfängt zu sabbern!
Ich muss mich echt zusammenreißen, um nicht laut loszulachen! Und als mich Matt –hew! dann auch noch total baff ansieht, kann ich nicht mehr. Lauthals fange ich zu lachen an.
Zuerst scheinen die beiden Jungs recht verwirrt, doch nach ein paar Sekunden stimmen sie dann mit ein. Ich hatte wirklich schon fast vergessen, wie gut es doch tut, mal richtig zu lachen. Es ist so befreiend.
Erst die Schulglocke, die zur vierten Unterrichtsstunde ruft, lässt mich abrupt verstummen. Das kann doch nicht sein! Wieso zeige ich auf einmal meine Gefühle in der Öffentlichkeit? Seit dieser Matthew aufgetaucht ist, passiert mir das immer öfter. Was soll das?
Ohne ein weiteres Wort an die beiden zu richten, drehe ich mich um und begebe mich zu meinem Sitzplatz. Eine eisige Maske ziert mein Gesicht. So etwas darf mir nicht noch einmal passieren! Ich will mich hier mit niemanden verstehen! Ich möchte keine Freunde! Freunde nutzen einen nur aus und lenken von der Schule ab. Deshalb will ich mich nie mit jemanden anfreunden!
Kurz schiele ich zu den beiden Freunden hin und sehe, dass sie mich ungläubig anblicken. Tja, das habt ihr jetzt davon! Traut niemanden außer euch selbst, dann könnt ihr auch nicht enttäuscht werden.
„Guten Tag, meine lieben Schülerinnen und Schüler! Ist das nicht ein herrlicher Tag heute? Viel zu schön um ihn drinnen zu verbringen, also lasst alles stehen und liegen und folgt mir bitte nach draußen!“, flötet eine offensichtlich gut gelaunte Professorin in den Klassenraum und ist dann auch schon wieder verschwunden.
Was ist das bloß für eine Schule? Wo bin ich da bloß hineingeraten? Ich will weg! Als ich mich umsehe bemerke ich, dass der Aufforderung der Professorin gleich folge geleistet wird. Naja, wer würde es denn nicht begrüßen, wenn man statt Lernen in einem klimatisierten Gebäude an die frische Luft geht um…ja, um was zu tun? Sie sagte doch, dass wir alles hier lassen sollen. Also, was tun wir draußen?
Von Neugier gepackt schließe ich mich meinen neuen Mitschülern an und verlasse den Raum. Matt und dieser orangehaarige Typ mit der „ich-brauche-jeden-Tag-mindestens-vierzig-minuten-Pflege“-Frisur allen voran, laufen voller Elan die Treppen hinunter. Gleich dahinter sehe ich meine Schwester, die versucht, mit den beiden Jungs Schritt zu halten. Tja…da bräuchte man jetzt doch etwas Kondition, was Kirsten?
Langsam schlendere ich den Leuten vor mir hinterher. Ich bin ja nun doch schon etwas gespannt, was mich erwarten wird. Wir sind in der riesigen Eingangshalle angekommen, die heute Morgen schon eine beeindruckende Wirkung auf mich hatte. Vor allem dieses Bild mit dem azurblauen Himmel, das mich an die Augenfarbe eines frechen Jungen erinnert.
Als ich meinen Blick von dem Bild abwende, dreht sich mein Kopf wie von einer unsichtbaren Macht gelenkt nach links. Dort werden meine Augen von diesem faszinierenden Blau gefangengenommen.
„Schön, nicht wahr?“, fragt mich Matt mit einem sanften Lächeln. Ich muss schlucken. Ja, er ist- ich meine, das Bild ist wirklich schön… Wunderschön… Vor allem dieses Azurblau. Ich liebe diese Farbe.
„Ja, finde ich auch. Wo sind die anderen?“, frage ich ihn, denn von denen ist nichts mehr zu sehen.
„Draußen. Smith hat die Instrumente im Garten aufstellen lassen. Sie liebt die Natur und ich finde die Idee, an der frischen Luft zu proben, gar nicht so schlecht.“
Smith? Ist das die Professorin? Hört sich jedenfalls so an. Aber was meint er mit „Instrumente“?
Ich beschleunige meine Schritte und möchte gerade die Eingangstür aufmachen, als Matt mich an der Hand festhält. Erschrocken drehe ich mich zu ihm um.
„In den Garten geht es hier lang. Komm, ich zeig dir den Weg, Annie“, erklärt er, während er mich hinter sich her zieht. Keine Minute später öffnet er eine Tür und grelles Sonnenlicht lässt mich meine Augen zusammenkneifen.
„Wow…“, entkommt es mir, als ich den riesigen Garten dieser mir schon fast unheimlichen Schule zu Gesicht bekomme. Hier gibt es Bänke und Tische, die wahrscheinlich in der Mittagspause von den Schülern genutzt werden, Bäume und Blumen, so weit das Auge reicht und sogar einen Teich. Und mittendrin stehen meine Klassenkameraden auf einem gepflasterten Bereich, umstellen ein Klavier und halten Musikinstrumente in der Hand! DAS meinte Matt –hew also mit „Instrumenten“! Oje, ist das dann vielleicht der Musikunterricht?
Als hätte Mrs. Smith meine Gedanken gelesen, kommt sie auch schon breit lächelnd auf mich zu: „Du musst dieses Genie sein, von dem die ganze Lehrerschaft spricht! Mein Name ist Eleonore Smith und ich unterrichte Kunst und Musik. Da ich mit der Natur in Einklang lebe, möchte ich meinen Unterricht so oft wie möglich draußen verrichten. Nun, Ann, kannst du ein Instrument spielen?“
Schock. Purer Schock durchfährt meine Glieder. Ob ich ein Musikinstrument spielen kann?! Ich kann praktisch jedes spielen! Aber das sollen doch nicht alle wissen! Dann werde ich wieder von manchen bewundert und von anderen geschnitten. Ich will das nicht mehr!
Also sage ich das Erstbeste, das mir einfällt: „Ähm, nein, tut mir leid. Ich interessiere mich nicht so für Musik, wissen Sie?“
Ich weiß, das ist gelogen! Na und? Verklagt mich doch!
Mrs. Smith nickt bedauernd mit dem Kopf, scheint aber bereit zu sein, diese geschwindelte Tatsache so hinzunehmen. Alles schein sich doch noch zum Guten zu wenden, wenn – ja, wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre – wenn es da nicht noch meine Schwester geben würde.
„Aber Mrs. Smith! Das stimmt doch gar nicht. Meine Schwester ist eine gegnadete Musikerin! Sie kann so gut wie jedes Instrument spielen und hat nicht einmal Unterricht gehabt. Und erst ihre Stimme – unglaublich! Ich meine, noch lange nicht so gut wie meine, aber trotzdem nicht schlecht!“, textet sie unsere Professorin zu.
Ich bin ja nun wirklich kein gewalttätiger Mensch, aber in diesem Moment hätte ich Kirsten eigenhändig umbringen können! Sie verrät einfach alles! Und als wäre das noch nicht genug, fragt mich auch noch Matt: „Na, dann lass uns das mal gleich testen oder was meinst du, Annie?“
Was ich meine? Ich meine, dass ich ihm gleich gehörig die Meinung geigen werde, wenn er nicht sofort aufhört, mich „Annie“ zu nennen! Das ist doch wohl die Höhe!
Und anscheinend bin ich so perplex aufgrund der gerade geschehenen Ereignissen, dass ich mich einfach von Matt zu dem Klavier ziehen lasse. Schwupps – sitze ich auch schon davor.
„So, Kyle und ich spielen jetzt mal einen Song und du steigst dann ein, ja? Bin ja mal gespannt, ob du wirklich so gut bist, wie dich deine Schwester beschrieben hat“, meint er mit einem ziemlich hämischen Grinsen im Gesicht.
Was soll ich jetzt machen? So tun, als ob ich nicht spielen könnte und mich damit lächerlich machen? Niemals! Vor allem nicht nach dieser Aussage und dem gemeinem Grinsen! Dem werd ich’s zeigen, der wird noch sein blaues Wunder erleben!
„Klar, warum nicht? Aber dann bietet mir auch etwas ordentliches, ja?“, gebe ich kühl als Antwort. Matthew zieht nur eine Augenbraue hoch und nimmt dann seine E-Gitarre zur Hand. Besagter Kyle setzt sich an die Drums.
Ein Kopfnicken von Matt und die beiden beginnen zu spielen. Gleichzeitig verstummt auch das Geschwätz der anderen. Und…mal ehrlich, wer kann ihnen das verdenken? Die beiden sind…fantastisch! Ich muss echt zugeben, dass ich vieles erwartet habe, aber das nicht. Mir kommt es so vor, als machen die beiden schon seit Jahren zusammen Musik, so gut verstehen sie sich und sind im Einklang miteinander.
Matthews „Hey!“ reißt mich aus meinen Gedanken. Stimmt ja, ich sollte einsteigen. Aber wie passt zu dieser Art von Musik ein Klavier dazu? Gar nicht! Irgendetwas muss ich aber tun, also stehe ich auf und nehme einem anderen Jungen seine Bass-Gitarre aus der Hand. Kurz sehe ich noch zu den beiden Musikern hinüber, als ich dann auch schon meine Augen schließe und ein beeindruckendes kleines Solo liefere.
Ich weiß, dass mich nun viele Augenpaare verwundert, wenn nicht sogar total verdutzt, mustern, aber das ist mir egal. Ich kann einfach nicht mehr anders, als zu spielen. Was die beiden Jungs da liefern, ist erstklassig. Da würde der Text, den ich gestern Abend geschrieben habe, sehr gut dazupassen.
Noch einmal atme ich tief durch und schon erhebe ich meine Stimme. Ich hatte recht. Der Text passt wie die Faust aufs Auge. Ich merke, wie Matt und Kyle ihre Lautstärken meiner Stimme anpassen. Da ich ohne Mirkofon singe, würde man mich sonst nicht hören.
Viel zu schnell für meinen Geschmack ist das Lied auch schon zu ende. Die letzten Akkorde verklingen und Angst breitet sich in mir aus. Was habe ich nur getan? Meine Augen halte ich noch immer geschlossen, da mir davor graut sie zu öffnen. Was werde ich sehen? Hohn? Spott? Neid? Bewunderung? Von allem etwas? Ich will nichts von all dem. Gar nichts. Ich möchte doch einfach nur Singen und Musik machen, ohne dass mich jemand dafür verurteilt.
Als sich eine Hand auf meine rechte Schulter legt, reiße ich erschrocken den Kopf herum und öffne meine Augen. Azurblau. Schon wieder. Aber…sie erscheinen mir freundlicher, aufmunternd sogar. Und vielleicht auch etwas…bewundernd?
„Das war … atemberaubend! Erstklassig! Du bist umwerfend, weißt du das? Ich… bin sprachlos!“ Matts Stimme überschlägt sich fast. Das sind doch… Komplimente, nicht? Das heißt, ich hab’s ihm gezeigt, ja! Aber, so wichtig ist mir das gar nicht mehr. Ich möchte noch einmal mit ihm und Kyle spielen, noch einmal mit ihnen singen. Es hat mir Spaß gemacht, wahnsinnigen Spaß!
Plötzlich vernehme ich eine andere Stimme an meiner linken Seite: „Matt hat recht, das war erste Sahne! Du musst unbedingt bei uns einsteigen, ja, Kleine? Das wird DER Bringer! Du hast es echt voll drauf.“
Ich merke, wie ich langsam erröte. Super! Ich