Fanfic: Kein Alibi

inzwischen ausgezogen hatte. Ihre Kleidung


strahlte einen subtilen Chic aus, der das meiste ausstach, was die


Shorts-und-Turnschuh-Truppe hier vor Ort trug.




In ihre Handtasche, die auf dem Tisch lag, passten bestimmt nur Schlüsselbund,


Taschentuch und vielleicht noch ein Lippenstift, sie hatte aber nie


und nimmer das Fassungsvermögen jener Schulterbeutel junger Mütter


voll gestopft mit Mineralwasserflaschen, feuchten Tüchern, Bio-Riegeln


und anderen Dingen, mit denen man notfalls tagelang in der Wildnis


überleben konnte.




Hammond hatte einen analytischen Verstand. Deduktives logisches Denken


war seine Stärke. Deshalb kam er zu dem für ihn höchstwahrscheinlichen


Schluss, dass diese Frau keine Mutter war.




Was nicht heißen sollte, dass sie nicht verheiratet oder sonst wie


gebunden sein konnte und nur darauf wartete, eine für sie wichtige


männliche Person zu treffen, egal, um wen es sich dabei handelte oder


wie ihre Beziehung aussah. Diese Frau widmete sich vielleicht ganz


ihrer Karriere und brachte in der Geschäftswelt wichtige Dinge ins


Rollen: als erfolgreiche Vertreterin, als Geschäftsfrau mit Köpfchen,


als Börsen- oder Kreditmaklerin.




Während Hammond an seinem Bier nippte, das in der Hitze allmählich


schal wurde, starrte er sie weiter interessiert an.




Bis er plötzlich bemerkte, wie er seinerseits angestarrt wurde.




Als sich ihre Blicke trafen, machte sein Herz einen Satz. Vielleicht


weil er sich genierte, ertappt worden zu sein. Trotzdem schaute er


nicht weg. Mehrere Sekunden hielten sie den Blickkontakt trotz der


Tänzer aufrecht, die sich zwischen ihnen bewegten und immer wieder


die Sicht versperrten.




Dann wandte sie sich abrupt ab, als ob sie sich schämte, gerade ihn


in der Menge ausgesucht zu haben, und sich ärgerte, auf einen banalen


Blickkontakt wie ein junges Mädchen reagiert zu haben. Hammond überließ


seinen Tisch zwei Pärchen, die schon längere Zeit in der Nähe herumgestanden


und auf den nächsten freien Platz gewartet hatten, und bahnte sich


einen Weg durchs dichte Gewühl zu der provisorischen Bar, die man


während des Volksfests für die durstigen Tänzer aufgebaut hatte.




Sie war ein beliebter Aufenthaltsort. An der Theke standen in Dreierreihen


Soldaten von den verschiedenen Militärstützpunkten der Gegend. Auch


ohne Uniform konnte man sie an ihren kurz geschorenen Köpfen erkennen.


Sie tranken, musterten die Mädchen, wägten ihre Chancen auf einen


Treffer ab, wetteten, wer zum Zuge kommen würde und wer nicht, und


übten sich in der Kunst, der Erste zu sein.




Obwohl die Barkeeper das Bier so schnell wie möglich verteilten, konnten


sie mit der Nachfrage nicht Schritt halten. Nachdem Hammond mehrmals


versucht hatte, auf sich aufmerksam zu machen, gab er schließlich


auf und beschloss, mit der nächsten Bestellung zu warten, bis sich


die Reihen gelichtet hatten.




Da er annahm, inzwischen weniger pathetisch zu wirken als vorher allein


an seinem Tisch, schaute er verstohlen über die Tanzfläche zu ihr


hinüber. Seine gute Laune verschlechterte sich drastisch. Inzwischen


hatten drei Männer die freien Stühle an ihrem Tisch besetzt. Ein breitschultriger


Kerl verdeckte sie sogar völlig vor Hammonds Blicken. Obwohl das Trio


keine Uniform trug, hielt er sie wegen ihres extrem kurzen Haarschnitts


und ihrer großspurigen Art für Marines.




Nun ja, es überraschte ihn nicht. Enttäuscht war er, aber nicht überrascht.




Sie sah zu gut aus, um an einem Samstagabend allein zu bleiben. Sie


hatte sich also nur die Zeit vertrieben, bis ihr Freund auftauchte.




Und selbst wenn sie allein dort war, wäre sie nicht lange ohne Partner


geblieben, nicht auf einer Fleischbeschau wie dieser. Ein ungebundener


Soldat mit Wochenendausgang hatte den zielstrebigen Instinkt eines


Hais. Er kannte nur ein Ziel: sich für den Abend weibliche Gesellschaft


zu verschaffen. Und dieses Exemplar Frau hätte selbst ungewollt Aufmerksamkeit


erregt.




Nicht dass er daran gedacht hätte, sie kennen zu lernen, redete sich


Hammond ein. Dazu war er schon zu alt. Er würde doch nicht wieder


eine Schuljungenmentalität an den Tag legen, das könnte doch wohl


nicht sein. Außerdem gehörte sich das nicht, oder? Er war zwar nicht


direkt gebunden, aber ganz frei war er auch nicht.




Plötzlich stand sie auf, packte ihre Jacke, schob den Riemen ihrer


kleinen Tasche über die Schulter und wandte sich zum Gehen. Sofort


sprangen die drei Männer, die bei ihr gesessen hatten, hoch und umringten


sie. Einer von der offensichtlich hartnäckigen Sorte legte ihr den


Arm um die Schultern und drückte sein Gesicht tief zu ihr hinunter.


Hammond konnte sehen, wie er die Lippen bewegte. Seine Begleiter lachten


schallend über seine Bemerkung.




Sie fand das nicht komisch, sondern drehte den Kopf weg. Auf Hammond


wirkte es, als versuche sie, sich aus einer misslichen Situation zu


befreien, ohne Aufsehen zu erregen. Sie löste den Arm des Soldaten


von ihrem Hals und sagte etwas mit einem verkrampften Lächeln, ehe


sie sich erneut zum Gehen wandte. Der Verschmähte wollte sich unter


den Sticheleien seiner beiden Freunde nicht abweisen lassen und ging


ihr nach. Als er ihren Arm packte und sie erneut herumzog, handelte


Hammond.




Später erinnerte er sich nicht mehr daran, wie er über die Tanzfläche


gelangt war, obwohl er sich buchstäblich einen Weg durch die Pärchen


hatte bahnen müssen, die in langsamem Rhythmus vor sich hinschaukelten.


Innerhalb von Sekunden griff er zwischen die beiden muskelbepackten


Marines mit den Waschbrettbäuchen, schubste den hartnäckigen Kerl


beiseite, und hörte sich sagen: »Tut mir Leid, Schatz. Ich bin Norm


Blanchard in die Arme gelaufen; du weißt schon, der wie ein Maschinengewehr


redet. Komm, sie spielen gerade unser Lied.«




Damit legte er ihr den Arm um die Taille und zog sie mit sich auf die


Tanzfläche.




»Haben Sie meine Anweisungen verstanden?«




»Jawohl, Sir, Detective. Keiner darf rein, keiner raus. Wir haben alle


Ausgänge abgesperrt.«




»Das heißt alle, ohne Ausnahme.«




»Jawohl, Sir.«




Nachdem Detective Rory Smilow seinen Befehlen Nachdruck verliehen hatte,


nickte er dem uniformierten Polizisten zu und betrat das Charles Towne


Plaza durch den Haupteingang. Zahlreiche Designmagazine hatten den


Treppenaufgang als architektonischen Triumph gefeiert, der inzwischen


bereits zum Wahrzeichen des Neubaus geworden war. Wie der Inbegriff


südstaatlicher Gastlichkeit erhob sich aus der Eingangshalle eine


breite Doppeltreppe. Beide Aufgänge schienen den mächtigen Kristalllüster


zu umarmen, ehe sie sich in zwölf Meter Höhe über der Halle zur Galerie


im ersten Stock vereinigten.




Auf beiden Ebenen mischten sich Polizisten unter Hotelgäste und Angestellte,


die inzwischen alle wussten, dass im fünften Stock offensichtlich


ein Mord geschehen war.




Nur ein Todesopfer kreiert eine derart erwartungsvolle Atmosphäre,


dachte Smilow, während er prüfend die Szene musterte. Schwitzende


Touristen mit Sonnenbrand und Kameras im Schlepptau liefen herum,


stellten jeder Autoritätsperson Fragen, unterhielten sich mit ihresgleichen


und spekulierten über die Identität des Opfers und den Grund für den


Mord.




Smilow war in seinem Maßanzug samt Hemd mit Doppelmanschette viel zu


elegant angezogen. Trotz der drückenden Hitze draußen wirkte seine


Kleidung frisch und trocken, ohne einen Hauch von Feuchtigkeit. Einmal


hatte ein irritierter Untergebener leise nachgefragt, ob Smilow je


schwitze. »Blödsinn, nein«, hatte ein Kollege geantwortet. »Weiß doch


jeder, dass Aliens keine Schweißdrüsen haben.«




Zielstrebig steuerte Smilow die Aufzugreihe an. Offensichtlich hatte


der Polizist, mit dem er am Eingang gesprochen hatte, sein Kommen


einem Kollegen angekündigt, der im Aufzug stand und die Tür für ihn


offen hielt. Smilow beachtete die höfliche Geste nicht, sondern trat


hinein.




»Hält der Glanz noch, Mr. Smilow?« Smilow drehte sich um. »O ja, Smitty,


danke.«
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