Goldener Drache

Der Sumpf

Ein Fluss führt ins Innere der Insel, genau so wie es der Arzt beschrieben hat. Zorro kratz sich die Stirn. Er sagte, den Fluss entlang, immer weiter, bis sich die Landschaft ändert. Und aus dem breiten Fluss eine Ebene aus Sümpfen und Morast wird. Immer in der Rinne zwischen den riesigen Bäumen, mit den Luftwurzeln bleiben, dort ist das Wasser tief genug, um auch mit einem großen Kahn entlang zu schiffen.

Mindestens zweihundert hat er heute schon erschlagen, aber es kommen immer noch mehr nach. Gerade beobachtet er, mit zusammen gekniffenen Augen, wie sich so ein Mistvieh auf seinem Handrücken niederlässt und genüsslich zubeißt. Platsch – platt ist sie. Zorro wischt angewidert seinen Handrücken an seiner Hose ab. Das Vieh hat sich ja ganz schön vollgefressen.

Es ist heiß, er ist müde und furchtbar gelaunt. Langsam vergisst er über seinen Ärger auch die Angst und die Trauer um seine Freunde. Er kocht und nicht nur, weil ihn die Sonne hartnäckig auf den Kopf brennt. Seine rechte Hand beginnt mit dem Schwertknauf von Kuinas Schwert zu spielen.
Er seufzt. Sein Blick fällt auf die starren Körper. Kuina lag damals auch so da. Sie starb. Was wäre geworden, hätte sie nicht sterben müssen. Sie hat ihn einst im Schwertkampf besiegt. Sie wollten beide die besten Schwertkämpfer der Welt werden. Doch ein Unfall beendete alles, bevor es überhaupt begann. Damals nahm Zorro ihr Schwert und trug ihren Traum mit sich in die Weite. "Kuina", schwor er an ihrem Grab. „Ich werde für dich der beste Kämpfer der Welt werden. Ich werde dein Schwert tragen, bis sich unser Traum erfüllt hat.“

Der Fluss macht eine Linksbiegung. Es ist ungefähr 500 Mückenstiche später und 5 Grad heißer. Zorro kaut auf seiner Unterlippe. Er lehnt mit verschränkten Armen an der Kabinenwand. „Rauch.“ Er schirmt seine Augen vom Sonnelicht ab.

Nach ein paar Metern kann man bereits vom Fluss aus die Hütte sehen. Sie ist auf Stelzen in den Fluss gebaut. Der vordere Teil der Hütte liegt an einer Felsplattform, eine kleine steinerne Insel, in diesem Meer aus Morast.
Man kann direkt von einem Schiff auf die hintere Veranda steigen. „Jungs, wir sind da. Nein, keine Angst, ich schaff das schon alleine. Bleibt ruhig liegen.“ Er lacht böse. Trag nach außen den kalten Stahl, ist das nicht sein Lebensmotto, mit dem er bisher gut gefahren ist. Nur darf man nicht hinter die Fassade blicken, denn in ihm sieht es anders aus, mit einem mulmigen Gefühl verlässt er die Flying Lamp.

„Hallo. Hallo ist jemand da?“ Beinahe wäre er mit einer alten Frau zusammengestoßen, die gerade um die Ecke gebogen ist. Sie ächzt, schlägt sich mit ihrer rechten Hand auf die linke Brust. „Um Himmelswillen musst du mich so erschrecken.“ Zorro seufzt beruhigt, für eine Sekunde glaubte er doch fast, die Alte würde aus den Latschen kippen. „Ich wurde von einem alten Arzt zu dir geschickt. Meinen Freunden geht es nicht gut und er meinte, du wärst die Richtige für solche Fälle.“ „Solche Fälle?“ Die Alte blinzelt neugierig. Sie mustert den jungen Mann mit den ungewöhnlichen grünen Haaren. Ihr Blick fällt auf die drei Schwerter an seinem Gürtel und für einen kurzen Augenblick blitzen ihre Augen. Zorro dreht sich um, scheinbar so voller Sorge um seine Freunde, aber er hat diesen Blick gesehen. Ein guter Schwertkämpfer hat auch hinten Augen und er ist gut. Die Alte folgt ihm auf die Flying Lamp.

Die Alte bückt sich über Sanji. „Ein Jammer, er ist viel zu hübsch für so ein schreckliches Schicksal.“ „Weißt du, was man da machen kann?“ Die Alte wedelt mit der Hand vor seinem Gesicht. „Komm mit.“ Ratlos bleibt sie vor dem improvisierten Steg, zur Hütte hinüber, stehen. „Na los, gaff nicht lange und hilf mir lieber hinüber.“ Widerwillig hebt Zorro die unförmige, alte Frau auf den Steg. „Danke.“ Den Rest versteht er nicht mehr, irgendetwas über die heutigen Männer und das früher alles anders war. Kopfschüttelnd folgt er dem Weib. Er mustert die Umgebung, sie sind völlig alleine hier draußen. Sein Instinkt warnt ihn vor etwas, aber hier ist niemand, der eine Gefahr wäre. Die Alte muss er nun wirklich nicht fürchten, aber trotzdem will das ungute Gefühl nicht verschwinden. Das Moor liegt flirrend in der Nachmittagssonne. Die Alte führt ihn vor die Hütte, bleibt stehen und dreht sich zu dem Krieger um.

„Sie wurden angehalten, zwei Tage und sie sind wirklich tot. Niemand hat es länger überlebt. Kannst sie dort drüben begraben.“ Ihre faltige Hand zeigt auf ein verkrüppelte Akazie, die sich in den Felsen krallt. Der Baum sieht so fehl am Platz aus, mit seinen knorrigen Äste, die klagend in den Himmel zeigen. Zorro läuft ein kalter Schauer über den Rücken. „Oder nimm sie wieder mit. Mir gleich. Ich hät’ aber noch Platz.“ Zorro packt das alte Weib am Kragen. „Ich will hier niemanden begraben. Kannst du mir helfen oder soll ich meine Meinung ändern und dich dort drüben begraben? Platz ist ja noch, hast du gesagt.“ Die Alte funkelt ihn an, wischt seine Hände weg. „Ein Morga-Meister hat ihren Lebensfaden gezogen. Da kann man nichts machen. Still stehen werden sie bis zum Tod. Verschwinde jetzt.“ „Der Dok hat gesagt, du könntest mir helfen.“ Seufzend setzt sie sich auf die Bank auf der vorderen Veranda. „Dieses feuchte Klima“ Ihr Gesicht wirft noch mehr Falten. „Du bist immer noch da?“ Zorro spreizt die Arme in die Hüfte. „Und werde es auch noch bleiben.“ „Hm, ich halte jetzt ein Nickerchen, kannst dich ja weiter von den Mücken fressen lassen.“ Sie schließt die Augen.

Beinnahe wäre sie tatsächlich auch eingeschlafen, an so einem sonnigen Tag auch kein Wunder, aber da ist etwas, eine kleine lästige Mücke will ihr keine Ruhe lassen. Sie lacht in sich hinein. Dieses Spielchen gefällt ihr. Viel zu wenig geschieht hier draußen in den Sümpfen. „Du bist sehr leise und geschickt.“ Ihre faltigen Augenlider öffnen sich ein Stück, sie mustert das Gesicht über ihr. Die alte Hand legt sich fest um das Schwert an ihrer Kehle. „Du glaubst, du hast immer die Kontrolle, aber du wirst schnell begreifen mein Junge, dass du nichts bestimmen kannst, denn die Würfel sind schon längst gefallen. Du hast soeben dein Schicksal besiegelt.“ Ihre Augen werden groß, groß und gierig. Zorro starrt auf die Klinge. Ein kleiner Rinnsal roten Blutes läuft von der Hand der Alten über das Schwert. Kuinas Schwert. Das Blut windet sich wie eine Schlange über den Griff auf seine Hand. Erschreckt springt er zurück, fällt rücklings die Treppen hinab und landet auf hartem Felsgestein.
Das Schwert hält er verkrampft fest, kann es nicht loslassen. Er spürt die Blutschlange an seinem Arm entlang kriechen. Ihr folgt eine beklemmende Taubheit. Sein Arm gehorcht ihn nicht mehr. Er starrt, auf dem Rücken liegend, in den blauen Himmel. „Was geschieht hier…?“ Er keucht. Die Schlange legt sich um seinen Hals und drückt zu. Die Alte taucht über ihm auf. „Lass los, desto mehr du dich wehrst, desto schlimmer wird es. Lass dich fallen.“ Noch einmal versucht er sich aufzubäumen. Aber er hat schon längst keine Kontrolle mehr über seinen Körper. Mit zusammengebissenen Zähnen lehnt er sich gegen die aufziehende Dunkelheit. Die Sonne lacht auf ihn herab, die Alte schleicht wie eine Katze um ihn herum.

Er beißt die Zähne zusammen. Immer wieder versucht das Weib ihn mit Worten einzulullen, ihn gefügig zu machen, ihn einzuschläfern. Mit süßlicher Stimme erzählt sie von dem Ende des Kampfes und das eine Niederlang keineswegs eine Schande ist. Sie spricht von dem leichten Weg und dass er einfach aufhören soll sich zu wehren. Die Würfel seien doch schon längst gefallen. Seine Kieferknochen fest zusammen gepresst, starrt er hinauf in den Abendhimmel. Aber irgendwann, als bereits die ersten Sterne am Himmel erscheinen, schließt er die Augen und fällt in die Dunkelheit. Die Alte seufzt. „Na endlich. Ich dachte schon, den krieg ich nicht klein.“ Sie wischt den Schweiß von ihrer Stirn. „Du bist stark.“ Ihr Blick gleitet an seinen muskulösen Armen entlang. „50 Jahre jünger und du müsstest nicht hier draußen liegen, sondern würdest in meinem Bett liegen.“ Sie lächelt, schüttelt den Kopf. Nein, solche Gedanken schicken sich wirklich nicht für eine Frau in ihrem Alter. Seufzend lässt sie sich auf die Bank nieder, jetzt kann sie ja ihr Nickerchen halten.
Suche
Profil
Gast
Style