Ein Teddybär als stummer Todeswächter
Ein Teddybär als stummer Todeswächter
Ein Teddybär, als stummer Todeswächter
Sanft strich der Wind ihr die verklebten Haare aus dem Gesicht, so dass sie freie Sicht auf das Geschehen hatte, dass sie so gerne vergessen wollte. Vergessen. Nie wieder sehen. Der Geruch von verwesendem Fleisch erfüllte die Luft. Sie musste unweigerlich würgen. Wie einen Galgenstrick um ihren zarten Hals schnürte es ihr die Luft ab. Überall lagen sie. Ein Feld aus Toten. Sie konnte hinsehen wohin sie wollte, aber immer das selbe Bild. Menschen. Blut. So viel Blut. Behutsam hob sie ihre linke Hand. Wie ein kleines Rinnsal lief das feucht, warme Blut an ihrer Hand hinab zum Arm. Es war ihr egal. Es tat auch gar nicht weh. Der Wind wehte weiter. Kälte. Ihr Blick wandte sich ab. Wieso? Warum musste das alles passieren? Hatten sie denn kein Recht auf Leben? Waren sie denn, nicht auch nur Menschen, die leben wollten? Ihre rechte Hand zitterte. Ein kleiner, kaputter, dunkelbrauner Teddybär, mit nur einem Auge und vielen Stellen, aus denen hellgrauer Stoff herausplatzte lag auf dem, mit Schütt und Leichen übersäten, dreckigen Boden. Zitternd, sank sie auf die Knie. Wie kam er nur hierher? Sie hatte ihn doch zurückgelassen! Unsäglich zart hob sie den Plüschbären auf und drückte ihn an sich. Tränenbäche überfluteten ihre, von der eisigen Kälte, geröteten Wangen. Es war nicht das erste und bestimmt nicht das letzte Mal, an diesem Tag, wo sie sich den nassen Tränen hingeben musste. War er das Letzte was ihr blieb? Nur ein kleiner Trost, von ihrem vorherigen Leben, das ihr nur wie ein, wunderschöner, aber leider, viel zu kurzer Traum vorkam.
Plötzlich musste sie zusammenzucken. Da waren sie wieder! Die Schreie! Die kreischenden Stimmen, derer die ihnen entkommen waren, aber letztendlich, doch von ihnen gefunden und qualvoll zu Tode gerichtet wurden. Wie gefrorenes Eis, das langsam zu tauen begann, lief es ihr den Rücken runter. Die Schreie! Sie waren in ihrem Kopf gebannt. Mama! Ein Schuss! Ein einzelner Schuss in der Stille! Blut! So viel Blut! Die einzelnen Bilder liefen quälend langsam vor ihrem inneren Auge vorbei. Es ging so schnell! Zu schnell! Alles verschwamm auf einmal. Mama! Weg! Für immer! Nur Dunkelheit und Kälte war alles was sie noch wusste, nach dem Schuss. Sie wusste nicht wie sie es geschafft hat aus dem Gebäude zu fliehen oder überhaupt hier auf dem Leichenfeld zu stehen.
Der Himmel schien sich zu verfärben. Ein grelles gelb und pechschwarze Wolken zogen auf. Weit von dem Schauplatz entfernt begannen die ersten Blitze, mit mächtiger Stärke, den Himmel zu zerteilen. Feiner Regen begann vom Himmel zu fallen. Ob er das Geschehene einfach so wegwaschen würde? Sie war sich nicht sicher. Ihr Blick wandte sich vom Himmel zum Boden. Und auf einmal wusste sie wie die Hölle war. Nichts konnte schlimmer als das sein, was vor wenigen Augenblicken hier stattgefunden hatte.
Ein mächtiger Donnerschlag, riss sie jäh aus ihren Gedanken. Panisch drückte sie den Plüschbären mit aller Gewalt gegen ihr Gesicht. In der Hoffnung er konnte sie vor der Angst vor dem Unbekannten bewahren. Aber tief in ihr wusste sie, dass es kein Entkommen gab. Es hatte nie eins gegeben. Der feine Nieselregen wusch ihre Tränen und das angetrocknete Blut von ihren Händen.
Schritte. Leise, aber doch gut zu vernehmende Schritte waren durch den langsam, immer stärker werdenden Regen zu vernehmen. Ihr Herz macht plötzlich einen Ruck. Das waren sie! Sie suchten nach Überlebenden, die die Massenschlachterei überlebt hatten, in dem sie sich versteckten, um die Flüchtlinge endgültig zu vernichten. Sie musste fliehen! Es würde nicht lange dauern und sie würden auch sie töten. Wie ihre Mutter. Das Wort Gnade kannten sie nicht. Sie töteten nur. Wahrscheinlich hatten sie nie etwas anderes gemacht.
Rasch stand sie auf. Ihr Körper war schwer. Schwerer als er je war. Automatisch begannen ihre Beine zu rennen, aber es war als ob sie nicht von der Stelle käme. Die toten Menschen blockierten ihr den Weg. Nur mühselig kam sie vorwärts. Weiter! Immer weiter! Drängte sie sich. Sie durfte nicht stehen bleiben. Durfte nicht zurückschauen! Den Plüschbären fest an sich gedrückt kämpfte sie sich zur einer kleinen Gasse, wo eine winzige Nische herrausstach. Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie sie hier fanden. Aber sie hatte keine Angst. Angst hatte sie gehabt, bevor das hier alles passierte. Jetzt war es egal. Ihr Blick fiel wieder auf den kleinen Bären, der sie mitfühlend traurig anstarrte. Leise flüsternd rief eine zarte Frauenstimme ihren Namen, während der eiskalte Wind weiter, über den fast, totenstillen Ort hinwegrauschte: „......., komm her! Ich tu’ dir nichts!“ Erschrocken drehte sie sich um. Was war das? Ein helles Licht blendete sie. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das grelle Licht, das die Nacht erhellte. Eine Frau, mit wehenden Gewändern und weißen Augen strahlte sie lächelnd an. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich will dir nichts böses!“ Langsam, ganz langsam schritt sie auf die seltsame Frau zu, die sie weiterhin mitfühlend anlächelte. Der kleine Bär rutschte aus ihrer Hand, doch sie schien es nicht zu bemerken, als er auf den schlammigen Boden fiel. „Wer bist du“, fragte sie zögerlich, während sie die weiße Frau eingehend musterte. „Ich bin dein Schutzengel. Bis jetzt habe ich immer auf dich aufgepasst, doch es wird Zeit. Ich bringe dich von hier weg. An einen Ort, wo du in Sicherheit bist.“ Sachte nahm die weiße Frau ihre Hand und zusammen schritten sie auf das helle Licht zu. Wie hypnotisiert starrte sie in das helle Licht, das so viel Wärme und Geborgenheit ausstrahlte. Von der Ferne aus, erkannte man, wie eine engelhafte Frau, mit einem kleinen Mädchen an der Hand auf ein helles Licht zumarschierte und in einen Tunnel aus verschiedenen Farben verschwand.
Niemand nahm an diesem Schauspiel teil, außer eines, kleinen Teddybären, der, mehr kaputt, als lebendig im dreckigen, nassen Schlamm saß und sich vom Regen aufquellen ließ. Es hatte den Anschein, als ob er glücklich und zufrieden vor sich hin lächelte, während er ganz genau wusste, dass er einem kleinen Mädchen einen großen Gefallen getan hat.
Ende