Priesterin
Anbetracht ihrer Momentanen Gefühlslage, fiel es ihr leicht der Liebe zu entsagen. Doch die Hohepriesterin wusste um ihre Liebe zu Leon und sagte eines Tages zu Rain: "Ich hoffe dir ist klar, dass du ihm eines Tags wieder gegenüber stehen wirst? Und dann wirst du auch wieder mit deinen Gefühlen für ihn konfrontiert." Rain war sich nicht sicher was sie darauf antworten sollte, also fragte sie: "Was meint ihr Herrin, was soll ich tun wenn ich vor ihm stehe?" Die Herrin von Avalon lächelte und sagte: "Du solltest einzig und allein auf dein Herz hören, es wird dir sagen, ob du dann wieder hierher zurück kommst, oder ob du bei ihm bleibst."
Eines Tages wurde Rain zu ihren Eltern gerufen, da ihr Vater bei einem Wettkampf verletzt worden war und nun Hilfe brauchte. Rain wurde mit allen Ehren empfangen die man ihr entgegenbringen konnte. Ihre Mutter begrüßte sie voller Freude. Leon bekam sie in den ersten Tagen gar nicht zu sehen. Es war ihr auch ganz recht, denn sie fürchtete die Begegnung mit ihm. Und wenn sie ihm jetzt begegnet wäre hätte sie ihn nicht beachtet, denn ihre gesamte Aufmerksamkeit gehörte in diesem Moment nur ihrem Vater, den sie liebevoll versorgte.
Rain sah Leon erst einige Tage später, als er mit ihrer Mutter über den Gang kam. Beide blieben wie angewurzelt stehen und sahen einander lange an. Die Königin brachte Verständnis für die beiden auf und sagte nichts. Leon fand zuerst seine Sprache wieder, als er vor Rain auf die Knie fiel und sagte: "Ich freue mich euch wieder zu sehen, Prinzessin Rain." Rain hob segnend die Hand und antwortete: "Ich freue mich ebenso, dich zu sehen." Damit lief sie eilig an ihrer Mutter und Leon vorbei. Leon sah ihr noch lange nach als die Königin plötzlich sagte: "Egal wie lange sie weg war du hast deine Gefühle für sie nicht vergessen, oder?" "Nein, eure Majestät," antwortete Leon. " ich habe sie niemals vergessen. Ich liebe eure Tochter noch immer."
Rain stand vor dem Gemach ihres Vaters und dachte über ihre erste Begegnung mit Leon nach zehn Jahren nach. Ihr Herz schlug bis in ihren Hals hinauf, ihre Hände waren feucht von Schweiß und sie zitterte. "Verdammt," dachte sie. " wäre ich doch nie wieder zurück gekommen. Dann hätte ich mir das alles hier ersparen können." Rain dachte noch lange über die Worte der Hohepriesterin nach, sie solle auf ihr Herz hören und noch während sie die Wunden ihres Vaters behandelte, fasste sie einen Entschluss.
Als Rain an diesem Abend ihren Vater für die Nachtruhe versorgt hatte, schlug sie nicht den Weg in ihr eigenes Gemach ein sondern in das von Leon. Vor der Tür atmete sie tief durch und trat leise ein. Sie ging vorsichtig zu seinem Bett und betrachtete ihn lange bis er die Augen aufschlug und sie ansah. "Was macht ihr hier, Prinzessin?" fragte er verwirrt. Doch Rain legte ihm sanft den Finger auf die Lippen und sah ihn liebevoll an. "Shhh, sag jetzt nichts." flüsterte sie und küsste ihn sanft. Leon erwiederte diesen Kuss, nach dem er sich jahrelang schmerzlich gesehnt hatte. "Wenn das ein Traum ist, dann weckt mich nie mehr auf." sagt er leise. "Auf Avalon wurde mir gesagt, wenn ich dir wieder begegne, soll ich auf mein Herz hören. Und wenn ich meinem Herzen jetzt die Beachtung schenke, die ich ihm die letzen Jahre verwehrt habe, dann höre ich, wie es nach dir schreit." Mit diesen Worten zog Rain Leon an sich und küsste ihn, ohne an die Göttin oder ihre Gelübde zu denken. Während er sie küsste, liess Leon seine Hände zärtlich über ihren Körper wandern. Rain genoß dieses Gefühl, nach dem sie sich die ganzen Jahre über gesehnt hatte. Sie liebte ihn und sie wusste, dass es ihr verboten war. Doch es war ihr gleich, ob man sie verstoßen oder sogar töten würde, in dieser Nacht schenkte sie ihm ihre Liebe und schlief mit ihm.
Rain blieb die ganze Nacht bei Leon und sie sprachen darüber, wie sie beide sich gefühlt hatten, als Rain nach Avalon gereist war. Leon erklärte ihr nun auch endlich was es mit dem Kuss ihrer Schwester auf sich gehabt hatte und sie wünschte sich, sie hätte ihm schon viel früher ihre Liebe gestanden, denn jetzt war es eigentlich schon lange zu spät dafür. Rain hatte eine schwere Sünde begangen und das wusste sie. Hätte sie sich erst von ihren Gelübden befreien lassen wäre alles in Ordnung gewesen, aber da sie das nicht getan hatte stand ihr nun, wie sie glaubte, einiges bevor.
Als Rain am nächsten Morgen erwachte, dachte sie über die vergangene Nacht nach und verfluchte sich dafür. Sie befreite sich sanft aus Leons´ Umarmung und beschloss nun für immer nach Avalon zurückzukehren.
Sie befahl einem Diener ihre Sachen zu packen, verabschiedete sich von ihren Eltern und trat mit gemischten Gefühlen den Weg nach Avalon an.
Als Leon erwachte, stellte er fest, dass Rain nicht mehr da war. Er stand auf und ging in den Trohnsaal, um dort seinen Dienst bei der Königin anzutreten. Er hoffte ebenfalls, Rain dort zu treffen. Als Leon in die Halle trat, sah er sich sofort suchend nach Rain um, fand sie aber nicht. Sein erster Gedanke war, dass Rain ihren Vater versorgte, doch als er den König an der Seite seiner Frau fand, nahm ein anderer Gedanke in ihm Gestalt an: Rain ist fort und wird nie wieder kommen!!
Während die Königin in Begleitung von Leon in die Stadt ging, kreisten seine Gedanken nur darum, warum Rain erneut so plötzlich verschwunden war, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Die Königin bemerkte, dass ihr Leibwächter nicht ganz bei der Sache war und ging mit ihm in eine kleine Straße, in der der Trubel nicht ganz so stark war. Dort nahm sie Leon bei Seite und sagte zu ihm: "Auch wenn du nicht willst, dass man es dir ansieht, aber ich merke deutlich, dass deine Gedanken immer noch um Rain kreisen. Sie hat mich gebeten dir etwas auszurichten: Sie liebt dich und auch wenn sie jetzt wieder in Avalon ist, ihr Herz wird immer dir gehören." In diesem Augenblick wusste Leon dass, er die Frau die er mehr als sein eigenes Leben liebt für immer an die Göttin verloren hatte und sie nie wieder sehen würde.
Als Rain nach Avalon kam, glaubte sie nie wieder nach Hause zu können. Sie glaubte die Göttin und alles was sie gelernt hatte veraten zu haben. Zitternd stand sie nun vor der Hohepriesterin und erwartete ihre Strafe. Doch Rain hatte vergessen, das die Gesetze von Avalon bei weitem nicht so streng waren wie die der Kirche und so sagte die Hohepriesterin zu ihr: "Meine Tochter, als du hierher kamst warst du aufgrund deines gebrochenen Herzens einvertsanden mit den heiligen Gelübden, doch nun hast du den Mann den du damals schon geliebt hast wiedergetroffen und warst deinen Gefühlen erlegen. Ich stelle dich jetzt vor eine Entscheidung: Willst du hier in Avalon bleiben und dein Leben als Priesterin der großen Mutter beenden wie du es einst gelobt hast, oder willst du nach Hause zurück zu dem Mann den du von ganzem Herzen liebst? Die Entscheidung liegt ganz allein bei dir mein Kind. Dein Platz als meine Nachfolgerin wird dir auf ewig vorbestimmt bleiben." Rain fühlte sich hin - und hergerissen; einerseite sehnte sie sich nichts mehr als endlich nach Hause zu gehen und mit Leon ein glückliches Leben zu führen, andererseits wollte sie auch ihre Aufgabe als Priesterin vollenden. Die Hohpriesterin gestattete ihr zu ihrem Onkel ganz in der Nähe des Königreiches ihrer Eltern zu gehen um
darüber nachzudenken.
Rain verbrachte ein halbes Jahr bei ihrem Onkel und dachte pausenlos darüber nach, ob sie nun zu Leon und ihrer Familie oder nach Avalon zu ihren Pflichten gegenüber der Göttin zurückkehren würde. Die Entscheidung die sie am Ende traf fiel ihr alles andere als leicht aber zum Schluss hatte Rain sich entschieden und musste nun auch dazu stehen. Sie sandte einen Boten zu Leon und bestellte ihn zum nächsten Vollmond an das Ufer des Sommersees in dessen Nebeln Avalon lag.
Als Leon am Sommersee eintraf und Rain am Ufer entdeckte, machte sein Herz einen Sprung: Er ging auf sie zu, doch als er erkannte, dass Rain das dunkle Gewand einer Priesterin trug, verlangsamten sich seine Schritte. Rain stand ernst und schweigsam am Ufer und blickte in den Nebel. Als sie ihre Stimme erhob und Leon ansprach klang sie nicht mehr wie dei Prinzessin die er einst geliebt hat, sondern wie die Herrin von Avalon selbst: "Ich hoffe dir ist klar, dass ich dich hierher gebeten habe um mich von dir zu verabschieden. Ich habe als ich damals herkam der Göttin und Avalon meine Treue geschworen und nun muss ich meinen Schwur einhalten denn die Herrin liegt im Sterben und ich muss ihre Nachfolge antreten." Lange Zeit herrschte Schweigen, bevor Leon seine Stimme wiederfand und sagte: "Auch wenn es mir das Herz bricht, ich werde dich nicht aufhalten. Du musst tun was du für richtig hälst. Ich möchte, dass du weisst, dass es in meinem Leben nie wieder eine andere Frau als dich geben wird. Ich werde nur noch meiner Aufagbe als Leibwächter deiner Mutter nachkommen." Rain hatte große Mühe, ihre Tränen zu verbergen. Doch mit der Übung einer Priesterin sagte sie ruhig: "Wenn die Göttin es will, sehen wir uns wieder. Wenn nicht in diesem, dann in einem anderen Leben." Mit diesen Worten stieg Rain in die Barke, die sie nach Avalon brachte und ließ Leon am Ufer zurück. In der Mitte des Sees beobachtete Leon mit Tränen in den Augen, wie sie die Nebel rief und nach Avalon verschwand. In ein Leben voller Einsamkeit.