Fanfic: Drachenreiter
Untertitel: Die zweite Generation
Kapitel: Die Nacht
Keils Stirn glänzte vor Schweiß. Bei jedem Atemzug verlor einen weiteren Teil seiner, in den letzten Tagen stark zusammengeschrumpfter, Kraft. Langsam strich er sich das rote Haar aus der Stirn. Das schon machte ihn irgendwie anders. Kaum jemand hatte rotes Haar. Aber die Tatsache, dass er allein im Wald war, machte es auch nicht gerade besser. Er war weit gerannt und hatte nicht einmal angehalten um zu verschnaufen. Jetzt endlich hielt er an. Vor sich, auf einer weiten Lichtung, sah er endlich die Kreatur, hinter der er her war. Der Bär der seine Eltern getötet, stand nur zehn Schritte vor ihm. Er nahm einen Pfeil aus seinem Köcher. Langsam legte er ihn an seinen Bogens. Er zielte genau und zog die Sehne zurück. Im Geiste sah er die zerfetzten Leichen seiner Eltern. Er folgte wieder den riesigen Bärenspuren, die überall auf dem heimatlichen Hof waren. Er machte noch einmal die Entbehrungen der letzten Tage durch. Neue Wut keimte in ihm auf. Er zog die Sehne noch ein Stück weiter zurück. Der Bogen wie auch seine Nerven waren stark angespannt. All seine Anstrengungen und seine ganze Wut war auf diesen einen Moment gerichtet. Er zögerte noch einen winzigen Augenblick. Dann noch einen.
'Verflixt, warum schieß ich nicht? Seit fast einer Woche warte ich auf diesen Moment! Warum schieß ich nicht endlich!'
Seine Hand zitterte. Er ließ den Bogen langsam sinken. Seine Gedanken rasten wild. Fünf Tage war er hinter dem Bären her und nun, im allesentscheidenden Moment zögerte er!
'Wieso? Wieso kann ich nicht schießen? Wieso nicht? Ich will doch! Ich muss doch! Das Biest hat meine Eltern getötet! Und fast unser halbes Dorf! Ich muss es töten! Das ganze Dorf vertraut darauf!'
Doch anstatt den Bogen nochmal zu heben, ließ er ihn weiter sinken. Er senkte den Kopf. Enttäuscht über seine eigene Unfähigkeit, steckte er den Pfeil weg, drehte sich um und bemerkte mit einem Mal das drollige kleine Wesen neben sich.
'Oh nein! Ein Bärenjunges! Dann ist der Bär da hinten, die Mutter des kleinen! Und sie wird sicherlich...'
Schnell machte er einen Satz nach links und verkroch sich in den sicheren Schatten eines Baumes. Er überlegte nicht lange und hielt den Atem an. Da spürte er, dass der Boden leicht vibrierte. Die Bärin kam auf ihn zu! Dass sie eigentlich auf ihr Junges zuging ahnte er nur. Hatten Bären nicht einenWahnsinnig guten Geruchssinn? Wenn ja, dann saß er ganz schön in der Patsche. Er konnte nur darauf hoffen, dass sie sich mehr für ihr Junges als für andere Sachen interressierte.
'Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich kann nur ... Nein, ich werd jetzt nicht sentimental. Aber eins noch... Bitte nicht!'
Die Bärin kam weiter auf ihn zu. Er zählte die Schritte. Noch acht Schritte und sie hätte ihn erreicht. Noch sieben... sechs...
'Wenn es irgendwelche Götter da draussen gibt, dann dürfen die doch nicht so schrecklich sein!'
Noch fünf... Sein Herz raste immer wilder.
Vier... Gleich wird es aus sein. Dann wars das mit ihm.
Drei Schritte... Bemerkte sie ihn?
Zwei... Er betete nicht oft aber jetzt tat er es.
Ein Schritt.. Er konnte den Atem der Bärin schon im Nacken spüren.
'Tja, das wars dann wohl. Wiedersehen einsame Welt. Ich werd dich vermissen.'
Gerade als er sich schon sicher war, als Bärenfutter zu enden, hörte er das Sirren eines abgeschossenen Pfeiles und das Zurückschnellen einer Bogensehne. Der Pfeil traf die Bärin nicht, sondern ging haarscharf an ihr vorbei. Warnung genug für sie mit ihrem Jungen zu verschwinden. Das tat sie auch prompt, wobei sie noch vorsichtig knurrte, bis sie sich endgültig herumdrehte und verschwand.
"Sie ist weg. Du kannst wieder rauskommen."
Keil hörte diese beruhigende Stimme und sofort fühlte er sich wieder sicher. Als er sich langsam aufrichtete, wackelten seine Knie bedrohlich. Der Fremde, der ihn gerettet hatte, stützte ihn.
"Ganz vorsichtig, Junge, sonst fällst du noch hin."
Er blickte in das Gesicht eines relativ alten Mannes. Er trug einen dunkelbraunen Mantel, dessen Kapuze er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Sein langer Bart verdeckte einen großen Teil seines Gesichts, das von tiefen Falten durchzogen wurde.
"Vielen Dank. Sie haben mir vermutlich das Leben gerettet."
"Ja das sehe ich auch so. Kannst du gehen?"
Keil machte ein paar vorsichtige Schritte und nickte.
"Ich glaube schon."
"Gut. Tragen könnte ich dich nämlich nicht."
Keil nickte wieder. Der Mann wurde ihm immer symphatischer.
"Kommst du aus Tringald?"
"Ja. Wieso fragen Sie?"
"Nun ich bin von weit her gekommen. Ich besuche verschiedene Städte und Dörfer wegen einer besonderen Mission. Hast du irgendwelche andere Dinge bei dir, außer dem kleinen Rucksack und dem Bogen?"
Keil verneinte. Sein ganzes Hab und Gut hatte er verloren, als die Dorfbewohner ihren Hof verbrannten, um den Bären in die Flucht zu schlagen.
"Also können wir direkt aufbrechen? Ich hab es ziemlich eilig."
"Gut. Ich habe nichtsmehr zu erledigen. Wir können sofort los."
"Du kennst dich hier doch bestimmt besser aus als ich, also kannst du mir ja den Weg weisen."
"Ja."
Keil ging voran. Der Mann ging direkt hinter ihm.
"Ich will ja nicht zu neugierig sein," ,fing Keil an "Aber wie heißen Sie eigentlich?"
"Hahaha! Mein Name ist Berlot. Aber ich bin auch ziemlich neugierig. Wie heißt du?"
"Ich bin Keil. Von wo kommen Sie eigentlich her?"
"Weißt du, ich war schon an vielen Orten. Aber nirgends lange genug, um es Heimat zu nennen. Und hör auf 'Sie' zu mir sagen! Sag einfach du und Berlot. Klar?"
Es war keine wirkliche Drohung, aber Keil salutierte gehorsam. Natürlich nicht ohne ein spöttisches Grinsen aufzusetzen.
"Natürlich!"
Sie gingen noch ein wenig weiter, als Berlot meinte es wäre Zeit ihr Lager aufzuschlagen. Keil sammelte Holz für ein Lagerfeuer während Berlot größere Steine einsammelte, um das Feuer aufzuhalten. Als Keil mit dem Holz zurückkam, hatte er einen toten Hasen auf dem Arm.
"Unser Abendessen." ,beantwortete er Berlots fragenden Blick. Er hatte nämlich bemerkt, dass Berlot (so wie er) nichts anderes als Käse und Brot als Proviant hatte.
"Du denkst mit. Sehr Praktisch. Aber sag mir, was du lieber machst. Den Hasen häuten oder Feuer?"
Keil entschied sich für die erste Möglichkeit. Er wollte ihm zeigen, dass er nicht so unerfahren war, wie er ihn kennengelernt hatte. Mit schnellen Bewegungen hatte er den Hasen mit seinem Jagdmesser gehäutet. Danach fing er an ihn gründlich auszunehmen und alle nicht essbaren Organe zu vergraben. Dann nahm er drei Stöcke. Zwei von ihnen hatten verzweigte Enden. Die untere Seite dieser Stöcke spitzte er zu und stach sie in den Boden auf beiden Seiten neben dem Lagerfeuer. Den dritten passte er auf die Länge zwischen den beiden anderen an. Auf einer Seite lies er mehr Platz, als auf der anderen, damit man den Stock noch drehen konnte. Mit geübten Griffen entfernte er die Rinde. Danach nahm er seinen Wasserschlauch und kratzte das Harz ab. Schließlich spießte er den Hasen und die essbaren Organe auf und hängte den Stock übers Feuer. Jetzt war genug Zeit mit Berlot zu sprechen. Doch dieser kam ihm zuvor.
"Du hast sicherlich eine Menge Fragen an mich. Aber sei dir bewusst, und ich sage das nur einmal, kann ich sie dir nicht alle beantworten. Außerdem möchte ich dich auch einiges fragen. Und dich darauf aufmerksam machen, dass der Hase auf einer Seite ziemlich durchbrennt."
Schnell drehte Keil den Stock. Unsicher sah er in das Gesicht des alten Mannes. Durfte er Fragen stellen? Als er das aufmunternde Lächeln in seinem Gesicht sah, atmete er auf. Ihm lagen tatsächlich unheimlich viele Fragen auf der Zunge.
"Du sagst du kämest von weit her. Wie weit?"
"Nun ich war schon an jedem Ende des Imperiums. In jeder Stadt und jedem Dorf bin ich gewesen. Ich war sogar in Nachbarländern. Auch dort wo einst die berühmten Drachenreiter herrschten. Aber ich konnte meinen Auftrag nicht beenden. Meine letzte Hoffnung ist dein Dorf. Sag, leben dort viele Jugendlich wie du?"
"W...wie meinst du das?"
"Ob viele dort so mutig sind wie du?"
"N...naja, nicht alle ,aber ein paar schon."
"Wie alt bist du?"
"Ich? Ich bin fünfzehn. Wieso interressiert dich das?"
"Nun ich hielt dich auch ungefähr für so alt. Aber es überrascht mich trotzdem. Nicht jeder Fünfzehnjährige jagt allein einen so riesigen Bären. Warum hast du das gemacht?"
Mit einem Mal überkam Keil wieder dieses Gefühl unendlicher Schmerzen. Der Verlust seiner Eltern wurde ihm ein weiteres Mal bewusst. Wut stieg in ihm hoch. Er war ein Feigling! Hatte er doch tatsächlich gezögert, die Bestie zu töten die seine Eltern getötet hatte! Berlot bemerkte seine Unruhe und sprach beruhigend auf ihn ein:
"Du trägst viel Wut in dir. Aber ich spüre auch den Schmerz den du durchlitten hast. Diese Bärin hat vermutlich deine Familie getötet. Du bist traurig. Und du hasst dieses Wesen. Aber beruhige dich. Sinnloses Aufregen führt oft nur zu Problemen. Lass es nicht so weit kommen, sondern verdränge den Schmerz, wie stark er auch sein mag. Sonst wird er dich umbringen!"
Keil sah ihn an. Was er da sagte ,stimmte. Er hatte immer nur Hass und Wut gesehen. Was er getan hätte nachdem der Bär tot war, wusste er nicht.
"Du hast Recht. Mit allem was du gesagt hast. Ich schäme mich schon für meine Reaktionen. Ich hätte nicht gewusst, was ich tun sollte, hätte ich den Bären erledigt."
"Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Ich spüre, wie sich dein Geist allmählich wieder beruhigt."
Keil fragte nicht woher er das wusste. Es war ihm auch ziemlich egal. Die beiden unterhielten sich noch ein wenig, bis der Hase durchgebraten war. Sie aßen schweigend. Keil warf die Stöcke in die Glut. Er legte noch weiteres Holz nach. Bald schon brannte wieder ein kleines Feuer, dass Tiere verscheuchen sollte. Er breitete sein Schlafzeug aus und wünschte Berlot noch eine gute Nacht. Er drehte den Rücken zum Feuer. Heute war mehr passiert, als er