Verloren und gefunden

~Chapter one~

I.

[ In Minas Tirith. Nach der Schlacht auf den Pelennor-Feldern, in der König Theoden ruhmreich den Tod fand, und seine Nichte Éowyn bei dem Versuch ihn zu retten durch den Hexenkönig schwer verwundet wurde. ]


Und als Aragorn und Fürst Imrahil mit ihren Rittern am Abend siegreich und müde in die Stadt einritten, erwartete Pippin sie am Tor.
"Aragorn," rief er ihm aufgeregt zu, " welch ein Glück, dass du kommst. Gandalf schickt mich. Merry ist schwer verwundet und Herr Faramir und ...".
Wortlos zog Aragorn ihn auf sein Pferd und ritt in Eile mit ihm hinauf zu den Häusern der Heilung. Dort erwartete ihn Gandalf. Einen Augenblick lang schloss dieser den Freund fest in die Arme. "Mein Freund, dass du lebst ! Doch komm. Höchste Eile tut Not. Viele liegen auf den Tod verwundet und bedürfen dringend deiner Heilkunst. In Faramir wütet ein Fieber, dem er bald erliegen wird und.."
"Und Meriadoc soll schwer verwundet sein. Rasch, führe mich zu ihnen, Gandalf !"
Und eiligen Schrittes wollte er weitergehen, da hielt Gandalf ihn am Arm zurück. "Nein, folge mir zuerst zu Frau Éowyn. Ich fürchte, um sie steht es am schlimmsten."
"Éowyn !", rief Aragorn zutiefst erschrocken aus. " Aber wie kann sie hier sein ? Und verwundet ?!"
Gandalf antwortete : "Oh, mein Freund, als Krieger verkleidet muss sie mit den Rohirrim in die Schlacht geritten sein. Und sie muss den Herrn der Nazgul geschlagen haben, soviel konnte ich von Merrys verwirrtem Bericht verstehen. Doch hat er sie auf den Tod verwundet."
"Den Herrn der Nazgul geschlagen ? Komm, bring mich zu ihr ! Oh, welches Entsetzen !", rief er in höchstem Schrecken und Staunen aus.
Man hatte Éowyn in einer Kammer in den Häusern der Heilung zu Bett gebracht. In ihr wütete ein grausames Fieber. Kalter Schweiß bedeckte ihr schönes Gesicht, und alle Farbe war daraus gewichen. Und als Aragorn sich näher zu ihr beugte, fand er, dass sie kaum noch atmete und das Leben nur noch schwach in ihren Adern pulsierte. Eine entsetz-liche Angst um sie legte sich für einen Augenblick wie eine kalte Hand um sein Herz. Doch dann rief er den Frauen, die sich um sie sorgten, entschlossen zu : "Bringt mir Athelas, Königskraut, so rasch und viel ihr könnt. Und bereitet in der Zwischenzeit einen Kessel mit heißem Wasser ! Rasch ! Keine Minute ist hier zu verlieren !"
Und zu Gandalf gewandt fuhr er fort : "Sie muss unter den Schwarzen Atem gekommen sein, denn sonst sehe ich keine Verletzung an ihr bis auf den Schwertarm, der gelähmt scheint, und große, tiefe Schürfwunden an Hals und Schulter, doch diese Verletzungen sind nicht tödlich." Er betrachtete sie einen Moment lang schweigend, dann rief er aus : " Dem Herrn der Nazgul entgegenzutreten, welch tapfere, tollkühne Wahnsinnstat !"
Und als man Aragorn das Königskraut brachte, nahm er den Kessel voll dampfendem Wasser vom Feuer und tat es hinein. Sofort verbreitete sich eine köstliche Frische im ganzen Raum. Eine Brise schien durch das Zimmer zu gehen wie ein Windhauch von den höchsten Gipfeln des Schneegebirges, gänzlich rein und unverbraucht, als habe sie noch nie ein lebendes Wesen zuvor geatmet. Die Luft selbst schien zu prickeln, und alle, die sie atmeten, fühlten sofort, wie ihre Müdigkeit verging und ihr Herz frei und leicht wurde. Doch keine Regung oder Veränderung war an Frau Éowyn wahrzunehmen.
Da strich Aragorn den Sud des Königskrauts sanft auf ihre Stirn und rief sie flüsternd : "Éowyn, erwacht ! Der Schatten ist von Euch gewichen, den Ihr besiegt habt." Und da sie sich noch immer nicht regte, rief er sie noch einmal leise und küsste ihre Stirn. Und so begann sie wieder tief zu atmen, doch noch immer schien sie in einen schwarzen Traum versunken und schien nicht daraus erwachen zu können. Und da Aragorn sah, wie es um sie stand, füllten sich die Augen des ernsten und höchst tapferen Mannes, ohne dass er es bemerkte, still mit Tränen. Leise rief er aus : " Wehe, welch grausames Geschick, das diese tapfere, edle Frau unter meinen Händen sterben lässt, verwundet in einer Schlacht, die nicht die ihre hätte sein sollen !"
"Lässt sich denn gar nichts weiter tun ?", hörte er Gandalfs mitleidige Stimme hinter sich fragen. Und Aragorn sah auch in seinen Augen, dass es ihn um die tapfere, schöne Herrin von Rohan zutiefst dauerte. Aragorn schüttelte müde den Kopf und sprach : "Ich weiß mir keinen Rat mehr. Ich spüre, dass etwas in ihr sich dagegen wehrt zu erwachen. Sie scheint sich dem Ende zu ergeben und kein Lebenswille ist mehr in ihr. Ich fürchte, selbst Elrond könnte sie nicht erwecken, wenn er hier wäre. All meine Heilkunst ist jedenfalls vergebens, wenn sie nicht leben will."
Da erschien der Vorsteher der Häuser der Heilung und bat ihn dringlich, sich Faramirs anzunehmen, der dem Tode gefährlich nahe zu sein schien. Und schweren Herzens verließ er Éowyn, nicht ohne Gandalf eindringlich gemahnt zu haben, bei ihr zu wachen, bis er zurückkehren würde. Und da außer Faramir noch viele Verwundete dringend zu versorgen waren, konnte Aragorn erst nach zwei Stunden wiederkehren und trat in großer Sorge an ihr Bett. Gandalf schüttelte bedauernd den Kopf und sagte : "Ich fürchte, es steht wieder schlimmer um sie, mein Freund. Ich rief sie wieder und wieder, doch sie regt sich nicht." Und Aragorn sah, dass ihr Atem wieder so flach ging wie zuvor und sie noch tiefer in ihre dunklen Träume versunken schien. Das entsetzliche Fieber schien sie unaufhaltsam zu verzehren.
"Gandalf", bat er entschlossen, nachdem er ihr stilles Gesicht einen Moment lang schweigend betrachtet hatte , "lass mich mit ihr allein, mein Freund. Alle sollen hinaus gehen." Und da er allein mit ihr war, ging er neben ihrem Bett auf die Knie. Und er nahm ihre fiebrige Hand fest zwischen seine beiden Hände, und indes er sein Gesicht ganz nahe zu dem ihren hinunterbeugte, sprach er leise, doch eindringlich zu ihr : "Éowyn, hört mich ! Es ist Aragorn, der Euch ruft. Lasst Sauron nicht den Sieg über Euch, Herrin ! Wollt Ihr Euch ihm am Ende doch ergeben ? Ich weiß, dass Ihr noch Kraft in Euch habt ihm zu widerstehen. Erwacht, Éowyn, Ihr könnt es ! " Und da sie sich noch immer nicht regte, küsste er noch einmal ihre Stirn, doch ließ er seinen Mund dieses Mal einen Augenblick dort verweilen, und der Kuss wärmte ihre Stirn. Und Tränen benetzten ihr Gesicht, die still von seinen Wangen auf sie herunterfielen. Und in wachsender Furcht und Verzweiflung flüsterte er : "Verlasst mich nicht, schöne Éowyn, die Ihr tapferer und lieblicher seid, als Worte es auszudrücken vermögen !"
Denn ihre mutige Tat hatte tief an sein Herz gerührt, und in diesen Stunden, da er so um ihr Leben fürchten musste, war er gewahr geworden, dass er sie mit ganzer Seele liebte.
Da regte sie sich unruhig und atmete tief, und als er sie noch einmal leise bei ihrem Namen rief, schlug sie zu seiner großen Freude mühsam die Augen auf. Mit kaum vernehmlicher, schwacher Stimme rief sie nach Theoden und ihrem Bruder, und in ihren Augen sah er den großen Schmerz und das Entsetzen, darunter sie litt.
Fester drückte er ihre Hand und sprach sanft zu ihr : "Seid ganz ruhig, Herrin. Euer Bruder ist wohlauf. Und auch Ihr seid gerettet und werdet bald wieder gesund sein und werdet wieder glückliche Tage sehen !"
Da sah sie ihn an, und niemals zuvor hatte er solche Trauer und Pein und Hoffnungslosigkeit in den Augen irgendeines Menschen gesehen. Und sie schüttelte mühsam den Kopf und flüsterte schwach : "Nein, Herr Aragorn. Ich fühle, dass meine Zeit gekommen ist. Und nichts begehre ich mehr vom Leben, denn diese Welt wird bald ganz und gar in Schatten versinken. Ich habe meinen König vor den Fängen dieser abscheulichen Bestie bewahrt und mich im Kampf dem Feinde gestellt, wie es mein Wunsch gewesen, und damit will ich zufrieden sein. Lasst mich nur, Herr. Es ist gut so." Und als sie so sprach, war ihr Auge trocken, und sie war gefasst und schien ihren Frieden mit ihrem Ende gemacht zu haben.
Doch ihre Worte trafen Aragorn schmerzvoll wie nichts zuvor in seinem Leben. Und er nahm ihr zartes, blasses Gesicht zwischen seine beiden Hände und so zwang er sie sanft, ihm in die Augen zu sehen, und flüsterte verzweifelt : "Éowyn, höchst tapfere und schöne Éowyn ! Durch Eure ruhmreiche Tat habt Ihr dazu beigetragen, dass wir wieder hoffen dürfen auf den Sieg gegen Sauron, denn Ihr habt einen seiner mächtigsten Hauptleute besiegt. Auch ist noch Hoffnung durch den Ringträger ! Wollt Ihr ihm jetzt doch den Sieg über Euch lassen und nicht erleben, wie Mittelerde befreit wird von seinem Joch ?" Doch er sah in ihren Augen, dass das, was er sprach, sie nicht mehr berührte, und sie antwortete angestrengt : " Nein, Aragorn, ich sah das böse Ende. Und selbst wenn doch alles einen guten Ausgang nähme, so habe ich für meinen Teil doch schon zuviel verloren, was mir lieb und teuer war, als dass ich nach dem Leben mich noch sehnte. Um mich ist nur Tod und Verlust und zerstörte Hoffnung." Da rief er aus : "Getäuscht wurdet Ihr durch die bösen Trugbilder in Euren dunklen Träumen ! Und diese kommen von dem Einen, denn Ihr seid unter den Schwarzen Atem seiner Ringgeister geraten." Er schwieg einen Augenblick, dann sprach er flüsternd weiter : "Und wenn auch dieses Euch nicht mehr kümmert, so wisset, liebliche Herrin von Rohan, dass ich es nicht ertragen könnte, zu verlieren, was ich gerade so Wunderbares gefunden habe. Verlasst mich nicht, Éowyn, denn es bricht mir das Herz !" Dann versagte ihm die Stimme vor Kummer, und er sprach nichts mehr.
Und obwohl Éowyn am Ende all ihrer Kräfte war, sah sie ihm bei seinen letzten Worten mit größtem Erstaunen in die Augen und sah darin die Wahrheit dessen, was er so leidenschaftlich und verzweifelt ihr gestand. Und plötzlich wandelte sich ihr Herz, und der Schatten verging, und eine Hoffnung fühlte sie in sich entstehen, die kein Verstand erklären konnte. Und als er ihre Hand
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