Verloren und gefunden
innig küsste und flüsternd fragte : "Versprecht Ihr mir, Herrin, dass Ihr leben werdet ?", da nickte sie wortlos und drückte schwach seine Hand zum Zeichen Ihres Versprechens. Dann schlossen sich ihre Augen vor Erschöpfung, doch Aragorn fühlte nun, dass sie leben würde. Und als Éowyn nach Stunden wieder erwachte, da erinnerte sie sich nicht mehr seiner Worte, und so fühlte sie mit Staunen, dass ihre schwarze Verzweiflung vergangen war und sich neues Leben in ihr regte und eine neue Hoffnung und Freude trotz aller bitteren Schmerzen und Trauer um den Tod des Königs, die sie sich nicht erklären konnte.
Als Aragorn am nächsten Abend kam, um wieder nach ihren Wunden zu sehen, fand er Éowyn schlafend. Sehr behutsam strich er Balsam auf die hässliche tiefe Schürfwunde an ihrem weißen Hals, um ihren Schmerzen nicht weiteren Schmerz hinzuzufügen, und bezaubert ließ er dann seine Hand einen Augenblick auf dem schönen, zarten Hals der Schlafenden ruhen.
"Deine Hand verweilt lange auf diesem Hals, mein Freund.", hörte er hinter sich die ruhige, schmunzelnde Stimme Gandalfs, der unbemerkt hereingetreten war, " Nun, es ist ja auch ein besonders schöner Hals, nicht wahr, schlank und alabasterweiß."
Aragorn wandte sich um. Der Zauberer schien zu überlegen, ob er seine Gedanken aussprechen sollte.
"Sage nur, was du denkst, Gandalf !", seufzte Aragorn. Gandalf zögerte noch einen Augenblick, dann fragte er ruhig: " Du liebst sie, nicht wahr ?" Aragorn nickte nur.
" Nun, wer könnte es dir verdenken, mein Freund", sprach Gandalf bedächtig weiter, indes sein Blick auf Éowyn ruhte, die still und weiß in ihrem Bett lag, " Sie ist schön, die schönste Frau, die ich je erblickt habe in meinem Leben, welches nun schon dreihundert Menschenalter währt. Die Schönste jedenfalls, soweit es die Sterblichen betrifft. Wann sah man jemals solch prachtvolle Augen ! Lieder müssten darüber geschrieben werden !" Ein wenig schmunzelnd über seine eigene Begeisterung fuhr der alte Zauberer nach einem Moment ernster fort : "Und fragt man mich, so rührt ihre Art der Schönheit das Herz eines Mannes sogar tiefer an als die der Unsterblichen. Wie eine Blume im Frühling erscheint sie mir, die sich tapfer und stolz gegen den letzten rauen Hauch des Winters behauptet, mit starkem Willen und voll Feuer, und dennoch zart und verletzlich - nicht unantastbar schön, schön und anbetungswürdig, aber fern wie die Sterne.
Und doch wie hoch und edel ist sie unter den Sterblichen, denn das Blut von Númenor fließt in ihr so unverfälscht wie in dir. Sie ist eine Tochter von Königen und in ihr ist mehr Tapferkeit, Mut, Geist und Kühnheit als in vielen Söhnen von Königen. Ich sah die Augen eines jeden Mannes, ob Elb, Zwerg oder Mensch, in ihrer Nähe leuchten, und ," er sah Aragorn forschend in die Augen, " sie hat dich erwählt, mein Freund. "
"Alles was du von ihr sagst, steht so in meinem Herzen. Dein Auge blickt führwahr tief. Aber ich gab einer anderen ein Versprechen, Gandalf, vor langer Zeit schon und von ganzer Seele. Und sie ist bereit, alles für mich aufzugeben, ihre Unsterblichkeit !" Seufzend barg er für einen Moment sein Gesicht in den Händen : "Wahrlich, nichts ist grausamer und beschämender für das Herz und die Ehre eines Mannes, als zwei solchen Frauen zu begegnen und beide zu lieben."
" Lange hast du widerstanden, soviel mag für deine Ehre gelten. Ich habe es dir angesehen. Doch rate ich dir jetzt, erforsche dein Herz. Und frage dich," fügte Gandalf bedächtig hinzu, "in wessen Leben deine Liebe mehr Schaden anrichten würde als sie am Ende vielleicht aufzuwiegen im Stande ist." Mit diesen Worten ging er hinaus.
Als der Abend fortschritt, erwachte Éowyn aus dunklen, quälenden Träumen. Ihre Augen waren verschleiert von Schmerz und Fieber, dass es Aragorn zutiefst dauerte."Éowyn", sprach er sie mit sanfter, leiser Stimme an, "was kann ich tun, um Eure Schmerzen zu lindern ? Wollt Ihr trinken ?"
Ihre schönen Augen fanden seinen Blick. Meergrau waren sie, dunkel wie die See bei Sturm. Und er sah, dass in ihnen die stolze Kühle, einst Maske ihrer Verzweiflung, einer neuen, köstlichen traurigen Sanftheit gewichen war. Da verfiel sein Herz ihr ganz und gar.
Und Éowyn sah, wie eine ernste, zärtliche Weichheit in seinem Blick trat, und trotz ihrer großen Schmerzen fühlte sie staunend, dass nun ihr bitterer Winter verging und dem Frühling wich.
"Mein Herr Aragorn", fragte sie mühsam, "was verweilt Ihr hier und seid nicht in der Schlacht ?"
" Die Schlacht ist vorüber. Wir haben gesiegt – für heute ", antwortete er sanft.
"Dann sind gewiss tapfere Krieger zu versorgen, die Eurer Heilkunst bedürfen."
"Sie sind versorgt, Éowyn, und schlafen. Und mein Platz ist bei der, deren Mut und Tapferkeit ihre Taten überstrahlt wie die Sonne die Sterne." Sie hob an zu widersprechen, da nahm er schweigend ihre Hand und verbeugte sich in tiefer Ehrerbietung und küsste ihr die Hand.
"Doch was rede ich von Eurer Tapferkeit, Herrin, während Ihr Schmerzen leidet !", fuhr er fort, und das zärtliche Mitleid in seiner Stimme ließ ihr Herz schneller schlagen. Er reichte ihr einen Becher, und seine Hand prüfte sanft ihre fiebrige Stirn. Sie trank und schloss für einen Moment erschöpft die Augen und wagte nicht zu fragen oder auszusprechen, was sie zwischen ihnen entstehen fühlte. Und ihr Herz zitterte, ob er gehen würde, weil sie für den Augenblick versorgt war, oder ob er bliebe. Und Aragorn blieb schweigend an ihrem Bett sitzen und war versunken in den Anblick ihres schönen, stillen, blassen Gesichts.
Da öffnete sie wieder die Augen und fragte ihn : "Wollt Ihr noch einen Moment bleiben, Aragorn, wenn Eure Pflichten es erlauben, nur solange, bis ich eingeschlafen bin ? Ich glaube, meine Träume werden dann nicht mehr so dunkel sein." Ihre Stimme war jetzt die eines jungen, traurigen Mädchen, gepresst durch mühsam ertragenen Schmerz, und rührte ihn tief.
"Es wäre mir eine Ehre und eine noch viel größere Freude, schöne Herrin von Rohan, wenn Ihr mir dies erlauben wolltet. Denn Worte vermögen nicht zu beschreiben, wie froh ich bin, dass Ihr gerettet wurdet, und wie wohl es mir tut, Euch gesunden zu sehen.", antwortete er lächelnd, doch sah sie in seinen Augen, welch große Angst und Sorge er um sie gelitten hatte.
Dann schlief sie ein und versank nicht mehr in dunklen Träumen von Tod und dem erlittenen Entsetzen wie zuvor, und am Morgen begannen ihre Schmerzen und ihr Fieber nachzulassen.
Aragorn aber blieb bis tief in die Nacht an ihrem Bett, so dass Legolas kam, um ihn freundschaftlich zu ermahnen, dass er schlafen müsse.
Mit der tiefen Einsicht der Elben erkannte er, was in dem Freunde vorging, und nachdem er Éowyn einen Augenblick lang betrachtet hatte, sagte er leise, um die Schlafende nicht zu wecken : "Sie ist wahrlich schön, Aragorn, schön und golden und weiß wie meine edlen Schwestern in Lórien. Und ich spüre, dass sie deinem Herzen wohl tun würde wie du dem ihrem, denn Euer beider Herzen und Seelen sind von der gleichen Art."
"Ja, so ist es, Legolas. Mir ist, als kenne ich sie schon immer. So war es schon, als ich ihr das erste Mal begegnete und die Verzweiflung, doch noch größere Tapferkeit in Ihr erkannte. Doch war mein Herz bereits gebunden und ist es noch."
Legolas sah den Freund einen Augenblick an, als überlege er, wie er sagen könne, was er dachte. "Aragorn", sprach er dann, "weilt dein Herz wirklich noch in Bruchtal wie einst ? Hat es sich nicht längst für diese schöne Schildmaid entschieden ?"
"Zu neu ist die Erkenntnis, dass ich sie liebe, als dass ich dies guten Gewissens beantworten könnte. Doch ungeachtet dessen, wie brächte ich es fertig, Arwen das Herz zu brechen ?"
"Und würdest du das ? Sterbliche können niemals so genau ermessen, was in der Seele eines Elben vorgeht, wie die Angehörigen ihrer Art. Und so sage ich dir, mein Freund, zu deinem Trost, ich weiß, dass es ihr nicht das Herz brechen würde, auch wenn es sie für eine Weile wohl tief betrüben würde. Die Weisheit unzähliger erlebter Winter hat sie gelehrt, dass alles im Leben kommt und vergeht, sich wandelt, selbst die Liebe. Gelassener als Sterbliche kann sie ihr Schicksal annehmen und wieder Freude und neue Hoffnung schöpfen aus der Zukunft. Wie viel verzweifelter wäre aber am Ende ihr Los, wenn sie hier mit dir zurückbliebe, während ihr Volk nach Westen segelt, ihre Gabe aufgeben müsste und dich dereinst lange vor ihrem eigenen Ende an den Tod verlöre."
Aragorn bewegte diese Worte lange in seinem Herzen.
Am nächsten Tag fand der große Kriegsrat statt, in dem beschlossen werden sollte, wie der Angriff auf das Schwarze Tor verlaufen sollte. Und als der Mittag schon längst überschritten war, wurde endlich beschlossen, dass zunächst Späher auszuschicken wären in höchster Eile, die berichten sollten über die Schlachtvorbereitungen Saurons, derweil Gondor und Rohan beginnen sollten, ihre Heere zum Kampf aufzustellen.
Und so konnte Aragorn an diesem Morgen nicht zu Éowyn gehen, obwohl es ihn sehr verlangte, nach ihr zu sehen. Und immer wieder wanderten seine Gedanken zu ihr, und vor seinem inneren Auge sah er sie auf ihrem Krankenbett liegen in ihrer zerbrechlichen Schönheit und wünschte sich sehr, dass die Beratungen bald vorüber sein mögen, damit er zu ihr gehen könnte.
So eilte er, nachdem der Kriegsrat beendet war, sogleich zu ihr und fand sie wach und ihre Augen nicht mehr so verschleiert von Fieber und Schmerzen sondern klar und ungetrübt. Und dennoch war sie sehr müde und erschöpft, so dass er behutsam an ihr Lager trat und leise fragte : "Erlaubt Ihr Herrin, dass ich einen Augenblick hier weile, um zu erfahren, wie es Euch geht ?"
Sie nickte lächelnd und bedeutet ihm, neben ihrem Bett Platz zu nehmen, doch dann senkte sie den Blick wie beschämt und schwieg einen Moment. Dann sah sie ihm in die Augen und sprach leise :