Love Is Like A Rainbow
Dunkle Ängste
Yo stand am Fenster des Flurs, als das Signal zum Schulschluss ertönte. Seufzend beobachtete er die Schüler, die sich fröhlich auf den Weg nach Hause machten. Mit lustlosem Gesicht dachte er an die Strafe des Schuldirektors. Nachher muss ich noch mit Anna zusammen den Abstellraum für die Bücher putzen… Doch sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Grinsend schmiedete er einen Plan, um sich an Anna für die Strafe zu rächen. Gerade als er sich den Höhepunkt seines Plans vorstellte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
„Hey Yo!“, begrüßte ihn Horo glücklich.
„Hey! Ich muss dir ja noch zu deinem Sieg gratulieren. Herzlichen Glückwunsch, mein Freund!“
„Danke. Es war nicht einfach, aber mit der Hilfe von Tamao…“
Er ließ seinen Satz unbeendet, als er sie aus ihrem Klassenzimmer herausgehen sah.
„Ich muss jetzt gehen, Yo. Ruf dich später noch mal an und wünsche dir noch viel Spaß beim Putzen. Tschüß!“
Noch bevor Yo irgendetwas erwidern konnte, sah er wie sein Freund zu Tamao rannte. Ausgerechnet jetzt muss er mich noch wegen der Sache mit dem Putzen aufziehen. So ein toller Freund! Yo drehte sich um und ging durch den fast leeren Flur in Richtung Abstellraum. Von weitem erkannte er schon Anna, die bereits mit Feger und Putzlappen vor der Tür auf ihn wartete.
„Komm, beeilen wir uns. Ich will noch heute nach Hause“, sagte sie.
Ohne Vorwarnung warf sie ihm einen Putzlappen zu. Doch Yo reagierte nicht schnell genug und so landete dieser mitten in sein Gesicht. Anna lachte. Gleich wird dir das Lachen noch vergehen! Bei diesem Gedanken erlosch die Wut in ihm und er blieb ruhig.
„Hat der Hausmeister den Raum schon aufgeschlossen?“, fragte er sie.
„Der Raum war schon offen, als ich eben gerade hergekommen bin.“
„Ah, okay. Ich muss noch mal kurz auf die Toilette. Fang du schon mal an“, sagte Yo und verschwand sogleich am Ende des Flurs.
Was hat der jetzt schon wieder vor?! Kopfschüttelnd betrat Anna den Raum. Sie wollte das Licht anschalten, als sie bemerkte, dass die Glühbirne kaputt war. Na toll! Wir sollen hier ohne Licht putzen… Sie fröstelte einwenig. Verdammt, wo steckst du denn Yo? Sie öffnete die Tür ganz weit, damit so viel Licht wie möglich in den Raum gelangte und begann mit dem Fegen. Währenddessen ging Yo in das Büro vom Hausmeister und log diesen an, dass er den Schlüssel benötigte, um den Abstellraum aufzuschließen, weil dieser angeblich abgeschlossen war. Yo bekam den Schlüssel und machte sich wieder auf den Weg zu Anna. Vorsichtig schaute er in den dunklen Raum und sah zufrieden, dass sie schon mit dem Putzen angefangen hatte. Jetzt wirst du dein blaues Wunder erleben, Anna Kyoyama! Er vergewisserte sich noch einmal, dass sich keiner im Flur befand und zog dann die Tür des Abstellraums blitzschnell zu und schloss sie ab. Er presste sein Ohr an die Tür und wartete gespannt auf Annas Reaktion. Anna erschrak, als sie die zugehende Tür bemerkte. Sofort ließ sie den Besen fallen und versuchte die Tür mit aller Kraft zu öffnen. Panisch zog sie an der Türklinke und hätte diese beinahe kaputt gemacht.
„Hilfe!!! Ist da jemand?! Yo, mach die Tür auf! Bitte!“, schrie sie verzweifelt mit zitternder und schriller Stimme.
In diesem Moment war ihr egal, wer die Tür abgeschlossen hatte. Sie war sich zwar sicher, dass es Yo war, aber sie wollte nur wieder heraus. Es war so dunkel im Raum, dass sie nicht einmal die Hand vor Augen sah. Sie atmete schwer und ihr Körper war schweißbedeckt.
„Lass mich raus, Yo! Das ist nicht mehr lustig! Ich bitte dich!!!“
Doch an der Tür rührte sich nichts. Yo, dessen Gesicht immer noch an die Tür gepresst war, amüsierte sich über Annas Hilfeschreie. Die sonst so knallharte Anna hat Angst vor der Dunkelheit und bittet mich um Hilfe! Yo konnte sich das Lachen einfach nicht verkneifen. Während Yos Bauch vor lauter Lachen wehtat, schmerzte Annas Herz. Sie dachte wieder an ihre Alpträume. Die Dunkelheit verschlang sie und niemand war da, um ihr zu helfen. Sie war alleine. Keine Familie und keine Freunde… Anna sank zu Boden und Tränen flossen an ihren Wangen hinunter. Sie zitterte am ganzen Körper und sie drohte ohnmächtig zu werden. Yo hörte plötzlich nichts mehr und dachte zuerst, dass Anna absichtlich nicht mehr schrie, damit er die Tür öffnete. Doch er nahm plötzlich schluchzende Geräusche wahr und er wusste, dass Anna weinte. Schnell holte er den Schlüssel heraus und schloss die Tür auf. Er sah zunächst nichts, da sich seine Augen an die Dunkelheit im Zimmer gewöhnen mussten. Nach einer Weile entdeckte er Anna, die kauernd auf dem Boden lag und zitterte.
„Anna, ist alles okay? Das sollte nur Spaß sein…“, sagte Yo vorsichtig, während er sich ihr näherte.
Doch sie antwortete ihm nicht. Erst als Yo neben ihr hockte, sah sie langsam auf. Sein Atemzug setzte für eine Sekunde aus, als er ihr tränenverschmiertes Gesicht sah und in ihre angsterfüllten und traurigen Augen blickte. Noch bevor er ein tröstendes Wort herausbringen konnte, fiel sie ihm um den Hals. Er spürte ihr pochendes Herz und die Kälte ihres zitternden Körpers. Was habe ich nur getan? Schuldgefühle überfielen ihn. Um sie zu trösten, schlang er seine Arme um ihren Körper. Minuten vergingen und Anna lag immer noch weinend in Yos Armen. Keiner von beiden sagte etwas, bis Anna Yo plötzlich losließ und er seine Umarmung ebenfalls löste.
„Anna… Es tut mir leid, dass ich…“
Doch Anna ignorierte ihn. Kraftlos und mit ausdruckslosem Gesicht ging sie hinaus auf den Flur. Mit langsamen, müden Schritten bewegte sie sich fort und verschwand schließlich hinter der glasigen Flurtür. Yo fühlte sich noch schuldiger und schlug mit seiner Faust gegen die Wand. Du bist so ein Idiot, Yo! Du hast es mal wieder übertrieben! Er war wütend über sich selbst, doch dadurch konnte die Zeit auch nicht zurückgedreht werden. Anna wird dich bis an dein Lebensende hassen…