Die offene Türe

(k)eine Geschichte

Die offene Türe

Sie ging fort, war nicht lange weg, aber in diesen Zeiten ist es schwer an Nahrung zu gelangen. Die Wege sind weit, viele Straßen einfach nicht mehr da.

Müde, in jenen Tagen, kann man einfach nur müde sein, bog sie um die Ecke, in ihre Straße, die gottlob sich noch den Anschein früherer Normalität bewahrte. Sah die offene Türe sofort, dachte nicht, dass man sie aus Unachtsamkeit offen stehen gelassen hätte, sondern spürte diesen Stich im Herzen. Eine Verzweiflung, die wie ein Blitzschlag in sie fuhr.

Die Zimmer waren verwüstet. Man hatte Dinge mitgenommen, sie konnte nicht sagen was, aber es schien einfach überall etwas zu fehlen. Sie drehte sich um ihre eigene Achse, die Tüten fielen aus ihrer Hand, sie stürmte die Treppe hinauf, schrie nach ihrer Tochter und ihrem Mann, aber niemand gab Antwort. Das Schlafzimmer leer. Die Küche verlassen. Das Bad kalt.

Ratlos stand sie im Flur, zitternd, panisch, ängstlich und verstört. Mit großen Schritten hetzte sie zu den Nachbarn. Gute Nachbarn, ein älteres Ehepaar, ohne Kinder. Die Frau hat ihr einst im Vertrauen erzählt, dass ihr Mann schwer verletzt aus dem Krieg heimkehrte und aus diesem Grund das Familienglück ihnen verwehrt geblieben war. Die Tochter hatten sie lieb, steckten ihr gerne etwas Naschwerk zu.
Sie klopfte immer wieder an die Türe, einmal, zweimal, dreimal, viermal. Der Verstand war ausgeschaltet, es musste doch jemand öffnen. Eine leichte Bewegung des Vorhanges, aber niemand wollte ihr energisches Klopfen hören. Mit tränenstickiger Stimme schrie sie, dass man ihr doch bitte aufmachen solle, sie finde Mann und Kind nicht mehr. Ihre Faust trommelte weiter auf das Holz der Türe, bis sie sich öffnete und das Gesicht der guten Nachbarin im Spalt erschien. Ihre gutmütigen Züge wirkten verschlossen. Die Frau ließ die Faust sinken, hörte auf zu Trommeln.

Sie fragte die Nachbarin, wo sie ihre Familie finden könne. Wiederwillig gab die liebe Frau Auskunft, riet ihr, am Bahnhof nachzuschauen und warnte sie zugleich, denn es gehen schlimme Dinge vor sich. Die Türe wurde geschlossen. Ohne auf die Warnung zu hören, begann sie zu laufen.

Der Weg war so lange, sie musste mehrmals inne halten, um nach Atem zu ringen. Das Bild der Station hatte sich verändert. Als sie den Bahnsteg betrat, wusste sie bereits, dass sie hier ihre Familie nicht mehr finden würde. Der Bahnhof war leer, grau, verlassen, totenstill. Sie wusste nicht was vor sich ging. Was ist hier geschehen? Wohin wurde ihre Familie gebracht? Man sah die Spuren, Reste von zerbrochenen Leben, Kleidungsstücke, Fetzen von Papier, verlorener Hoffnungen und zerstörter Träume. Ein schwerer Atemzug, folgte dem nächsten.

Alleine stand sie hier, verzweifelte daran, obwohl sie noch nicht einmal genau wusste, ob es einen Grund zur Verzweiflung gab. Sie spürte nur, dass sie zurück geblieben war. Es gab Gerüchte, Geschichten, die so grausam waren, dass sie unmöglich wahr sein konnten und jetzt, soll es Wirklichkeit sein? Es konnte nicht wahr sein, sie konnte es sich nicht erklären. Ist den ihr Blut von einer anderen Farbe, als das ihres Kindes und ihres Mannes? Warum nahm man sie nicht mit? Die Nachbarin war doch ebenso wie ihre Familie, Mensch, warum wurde sie nicht geholt? Was hat sie unterschieden? Die Männer die ihren Mann und ihr Kind in den Zug brachten, waren ebenfalls Menschen. Warum haben sie ihre Familie geholt? Was unterschied sie?
In diesem Moment begriff sie, dass die Gerüchte bittere Wahrheit waren und doch fand sie nie die Antwort auf ihre Fragen nach dem warum.
Sie blieb stehen, dort am Bahnhof. Wartete auf den nächsten Zug…

Die Nachbarin schlich hinaus, schloss die Türe, des verlassenen Hauses. Prüfte, ob sie auch wirklich ins Schloss gefallen war. Vielleicht kommt die liebe Familie einmal wieder zurück, bis dahin sollte die Türe zu bleiben, man weiß ja nie, wer alles hineinschleichen könnte. Es waren doch nur Gerüchte…


Nie wieder… Niemals…
Soll diese Geschichte sich wiederholen…
Die Türe muss offen bleiben, damit die Familie heim kommen kann…
Unsere Augen müssen offen bleiben, damit wir zwischen Lüge und Wahrheit genau erkennen können…

Wir alle sind Menschen …

Jeder hat einen Platz auf dieser Welt.
Man darf niemals den Platz eines anderen infrage stellen. Jeder hat ihn… egal welcher Hautfarbe, Einstellung, Religion. Nebeneinander können wir alle existieren, dass ist sicher. Nur wenn man jemanden sein Recht auf den Raum zu Leben aberkennt, wird Blut fließen, nicht aufgrund unserer Unterschiede oder anderer Meinungen. Leben wir friedlich nebeneinander, im Verständnis, dass der Mensch neben mir nicht so ist wie ich es bin, dann wird in der Welt Frieden einkehren...

Danke fürs Lesen… Was sagt ihr, ist es OK, dass ich hier das online gestellt habe?
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