Im Nebel
Hast du mich allein gelassen...
Im Nebel
Jetzt bin ich hier. Hier, an dem Ort, an dem ich nie sein wollte. Aber was bringt es, sich gegen das Schicksal aufzubäumen? Ändern wird es sich nicht.
Meine Schritte sind unhörbar, niemand weiß, dass ich hier bin. Niemand, bis auf dich. Du weißt, dass ich hier bin. Du hast mich hergebracht. Hast gesagt, ich solle hier auf dich warten. Und ich warte. Immer noch. Inzwischen nun schon eine sehr lange Zeit. Du wirst nicht mehr am Leben sein, und doch will ich mich nicht von hier fortbewegen. Ich habe noch den Hauch der Hoffnung, dass du zu mir kommst. Eine irrsinnige Hoffnung, ich weiß. Aber sie ist alles, was ich noch habe.
Nimm mir diese Hoffnung nicht weg. Sie hält mich hier, hier, in dieser Welt. Nimm mir nicht das einzige, was ich noch besitze…
Wind weht durch meine Haare. Und ich denke, dass dich vielleicht dieser Wind zurück zu mir bringt. Aber auch er ist nicht mehr, als eine flüchtige Bekanntschaft.
Der Wind ist gewichen, hat mich genau wie du allein gelassen. Jeder ist allein. Jeder lässt mich allein. Ganz einfach, weil ich selbst nur noch ein Geist bin. Wie der Wind… eine flüchtige Bekanntschaft.
Ich weiß, dass du nicht mehr herkommen wirst. Niemand wird diesen Ort jemals finden. Bis auf mich. Egal, wo ich bin, ich werde wieder an diesen Ort zurückkommen. Weil es der letzte Ort ist, wo wir uns gesehen haben. Der Ort unseres Abschieds.
Wo ich auch bin, etwas wird an jedem Ort bei mir sein. Der Nebel. In ihm bist du verschwunden. Bist aus ihm herausgetreten; hast ihn zu meinem Gefängnis gemacht. Das Gefängnis ohne Gitterstäbe. Das Gefängnis, zu dem du der Schlüssel bist. Der Schlüssel, der das Schloss nie aufschließen wird.
Im Nebel wird mir erst klar, dass ich alleine bin. Dass es niemand gibt, der mich vermisst. Aber dieser Gedanke erschreckt mich nicht. Er… ist normal. Es ist immer so gewesen. Egal, wo ich hinging, ich wusste, niemand würde mich vermissen. Ich habe noch nie ein Zuhause gehabt. Noch nie hat jemand auf mich gewartet. Noch niemand hat mich vermisst. Auch du nicht. Du wusstest, dass ich wiederkommen würde. Vermisst hast du mich nie.
Ich werde hier nicht wieder fortgehen. Was würde es mir bringen? Ein Leben, das ich nicht leben will. Als du mich hier allein ließest, hast du mein Leben mit dir genommen. Aber traurig bin ich deswegen nicht. Nein, bald werde ich all die wieder sehen, die mir etwas bedeuten. Die mein Leben lebendig gemacht haben. Und das dank dir. Ohne dich würde ich immer noch dort herumstreifen, dort, jenseits des Nebels.
Es scheint, als würde ich schweben. Meine Fußspuren verschwinden, kaum habe ich den Fuß gehoben. Hier gibt es kein Geräusch. Selbst meinen Atem kann ich nicht hören. Nur der Wind. Nur der Wind ist hier. Alles andere scheint unwirklich. Alles andere scheint falsch. Nur der Wind gehört hierher. Nur der Wind…
Ich schließe die Augen. Und ich spüre ihn, den Nebel. Er ist ganz nah bei mir. Er umgibt mich, zusammen mit dem Wind. Wie deine Umarmung. Manchmal glaube ich, dass du der Wind wärest und mich umarmst… aber es ist nur eine Illusion. Eine schöne, aber trotzdem eine Illusion.
Ich drehe mich um mich selbst. Werde eins mit dem Nebel. Ich weiß, dass auch das eine Illusion ist. Aber diese Illusion scheint real. Und vielleicht ist das Reale ja zur Illusion geworden. Wer weiß das schon? Vielleicht war ich ja schon immer hier, aber habe Illusionen gehabt und das Reale nicht wahrgenommen. Wer weiß.
Vielleicht habe ich jetzt erst meine Augen geöffnet. Jetzt, wo ich sie geschlossen habe. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Ich muss nicht sehen, um zu wissen, dass der Nebel da ist. Ich spüre es einfach. Der Nebel ist nicht um mir herum; er ist in mir. Der Nebel dreht mich, der Nebel hält mich hier. Hier, auf dieser Welt.
Ich habe Flügel. Ich kann fliegen. Fliegen, mit dem Nebel. Und ich fliege. Fliege fort von hier. Fliege fort von der Welt. Fliege zu dir. Ja, ich fliege. Fliege für immer. Zusammen mit dem Nebel. Unsichtbar, im Nebel.
Jeder ist allein. Das ist mir jetzt klar geworden. Niemand wird glücklich sein können. Jedes Glück ist eine Illusion. Überall ist Einsamkeit. Niemand kann sagen, dass er das Glück gefunden hätte. Es gibt kein Glück. Das weiß ich jetzt. Es ist mir klar geworden.
Du hast mich allein gelassen. Allein, im Nebel.