Hurra, hurra, mein Bruder brennt
Folter
Es war mal wieder spät, als der Lärm aus dem Keller verstummte. 23.30 Uhr. Mein Bruder übte oft bis spät in die Nacht mit seiner Band. Wenn sie wenigstens leise üben würden... Unsere Nachbarn hatten uns sogar schon mal angezeigt. Die spätabendlichen Proben stören aber nicht nur unsere Nachbarn , sondern auch mich. Wenn heute nicht Freitag wäre, würde ich ihn morgen umbringen. Und dann kommt er auch immer noch mal rein,um mir „Gute Nacht“ zu sagen. Gerade dann, wenn ich kurz vorm Einschlafen bin. Da kommt er schon wieder.
„Gute Nacht, Jasmin. Schlaf gut!!!“, genau das sagte er..., wie jeden Abend.
Wie immer antwortete ich:“Jaja, du auch, Moritz.“
„Hey, warum so sarkastisch?“
„Warum?? Das fragst du noch?!“
„´Tschuldigung, aber wir müssen noch länger proben als sonst. Wegen Konzert, und so. Das musst du verstehen...“
„Jaja, o.k., jetzt kannst du gehen!!- Los, hau endlich ab- Geh doch mal weg!!! ICH WILL SCLAFEN!!!“
Bei diesen Worten verließ er dann schließlich den Raum. Einschlafen konnte ich trotzdem nicht...
11.00 Uhr. So spät war es, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Schlaftrunken taumelte ich die Treppe runter. Mein Bruder lief schon hellwach durchs Haus. Wie kann der jetzt schon so wach sein? Braucht der überhaupt keinen Schlaf?! Putzmunter flötete er mir ein fröhliches „Guten Morgen!!“ entgegen. Ich murmelte nur ein müdes „...............Morgen..................“ zurück. Danach verschwand ich –immer noch schlaftrunken taumelnd- ins Badezimmer.
Ein paar Minuten später ging ich in die Küche, wo Moritz schon wartend am Tisch saß. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich bemerkte, dass Mama gar nicht da war. „ Arbeitet Mama schon wieder am Wochenende?“, fragte ich„Das hat doch schon letzte Woche und vorletzte und die ganzen anderen Wochen davor gemacht.“ Mein Bruder nickte. „Für Mama war es auch ein schwerer Schlag, dass Papa jetzt im Koma liegt. Sie versucht sich doch nur mit der ganzen Arbeit auf andere Gedanken zu bringen.“ „Aber doch nicht am Wochenende“, erwiderte ich.“So kann sie ihn doch schon wieder nicht mit besuchen kommen.“
„Das ist doch jetzt auch egal, Mini. Lass uns jetzt lieber frühstücken.“
„Na gut, aber nur wenn du aufhörst mich Mini zu nennen.“
„Das Brötchen hat dir nichts getan!!“, sagte Moritz, als ich mein Brötchen brutal mit Butter bestrich. Es sah anscheinend aus, als ob ich ihm körperliche Schmerzen zufügen wollte. Eigentlich ich das auch. Ich ließ von dem Brötchen, das inzwischen schon ziemlich ramponiert aussah, ab und schaute zu meinem Bruder. „an irgendjemandem muss ich meine Wut auf die Person, die sich unsere Mutter schimpft, doch auslassen. Wenn du unbedingt möchtest, kann ich auch dich quälen.“
„Nee, lass mal. Quäl ruhig weiter das mit viel Liebe zubereitete, nette, liebe, süße Gebäck, was dir allerdings überhaupt nichts getan hat.“ Daraufhin wendete ich mich wieder dem ‚mit viel Liebe zubereitete, netten, lieben, süßen Gebäck‘ zu. Moritz verdrehte genervt die Augen.
Nach dem Frühstück fuhren wir auf Moritz‘ „heißem Schlitten“, einem 50-km/h-Moped, ins Krankenhaus. Das machten wir jedes Wochenende. Obwohl es wenig Sinn hatte, Papa lag doch sowieso im Koma. Vor allem fand ich es dumm, dass wir mit dem „heißen Schlitten“ fuhren und nicht mit unseren Fahrrädern. Wahrscheinlich, weil Radfahren nach Anstrengung klingt. Und Anstrengung war nicht wirklich Moritz‘ Ding. Er war eine echte Profi-Couchpotatoe. Ich fragte mich öfter, wie mein Couchpotatoe-Bruder es trotzdem schaffte, so sportlich zu sein. Dann hielten wir an. „Mist, wir haben einen Platten. Du bist zu schwer, Jasmin!“, regte Moritz sich auf.
„Hey, wenn hier einer zu schwer ist, dann ja wohl kaum ich!!“, erwiderte ich. So entbrannte ein heftiger Streit, wer nun der Schwerere war. Leider gewann mein dummer Bruder nach 15 Minuten den Streit. Dann schoben wir die lahme Kiste mit dem Platten den restlichen Weg zum Krankenhaus.
Dort angekommen gingen wir unverzüglich in Papas Zimmer. Dort blieben wir zwei Stunden und redeten mit ihm und hofften, dass er jeden Moment die Augen aufschlagen würde und sagen würde: „Uah, so ein Mittagsschlaf ist doch was Schönes.“ Doch nach zwei Stunden waren wir uns so ziemlich einig, dass das heute wahrscheinlich nicht mehr passieren würde.
Gegen drei kamen wir wieder zu Hause an. Ab diesem Moment gingen wir getrennte Wege. Moritz verschwand in den Keller, um seine Gitarre zu stimmen für die Proben heute, und ich ging nach oben und vertrieb mir meine Zeit damit, in Kinderzeitschriften von vor zehn Jahren zu blättern (und ich bin erst 14). Irgendwann viele Stunden später wollte ich in mein Tagebuch schreiben, doch ich konnte es einfach nicht finden... Ich lief durchs ganze Haus. Als letztes kam ich in Moritz‘ Zimmer. Und dort lag es. Also hatte ich nicht nur geträumt, dass mein Bruder am Morgen in meinem Zimmer gewesen war. „Oh Gott, dann weiß er ja, dass ich seinen Freund total süß finde. Hoffentlich hat er´s ihm nicht erzählt“, dachte ich bei mir. Doch dann dachte ich, so gemein konnte nicht mal Moritz sein. Hoffte ich jedenfalls.
Gegen 22 Uhr kam Mama dann endlich nach Hause. Ich ging nach unten, um mich mit ihr zu unterhalten. „Na, hat die Arbeit Spaß gemacht?“, fragte ich so, dass selbst Mama den sarkastischen Unterton hätte raushören müssen.
„Arbeit macht nie Spaß“, antwortete sie einfach nur.
„Warum machst du´s dann am Wochenende“ „Jetzt hab ich sie am Haken. Sie weiß bestimmt kein Argument mehr“, dachte ich.
Doch Mama sagte ganz einfach: “Darum.“
Und wie gerufen kam Moritz genau in diesem Moment aus dem Keller. Nun war ich hin und her gerissen. Auf wen sollte ich denn nun wütend sein? Auf Moritz, weil er mein Tagebuch gelesen hatte oder auf Mama? Um dieses Problem zu umgehen, ging ich einfach in die Küche und servierte das Abendbrot.
„Essen ist fertig!“, brüllte ich. Sofort kamen die beiden anderen ins Zimmer und setzten sich an den Tisch. Beim Essen sprachen wir kein Wort miteinander.