Der einsame Kopfgeldjäger
Orangensaft und wollte gerade in ihr Zimmer verschwinden, als ihre Mutter noch immer in die Kochtöpfe schauend: "Ich mache jetzt Mittagessen, also unternimm jetzt nichts besonderes, ok?", zu ihr sagte. Thiela blieb stehen, schaute aber nicht zu ihrer Mutter, sondern auf ihr Glas: "Ich habe niemanden getroffen, ja?! Ich war nur eben etwas länger draußen", sagte Thiela stinksauer. Sie lief aus der Küche und knallte die Tür hinter sich zu. Ihre Mutter schaute ihr entgeistert nach. » Na ja, so sind Jugendliche nun mal, « dachte sich ihre Mutter kopfschüttelnd.
Thiela saß in ihrem Zimmer auf dem Sofa und schaute aus dem Fenster. Es war ein wunderschöner blauer Himmel, man sah keine einzige Wolke, nur ein paar Vögel zogen ihre Kreise. Thiela legte sich lang ausgestreckt auf ihr Sofa und konnte nur noch an den Jungen im schwarzen Mantel denken.
Nachdem sie mit ihrer Mutter zu Mittag gegessen hatte, verbrachte sie den Rest des Tages mit Büchern. Thiela las oft und viele Bücher, aber nur, wenn sie mal Lust dazu hatte. Ihre Mutter nahm das alles geduldig hin und versuchte sie, so gut es ging, nicht zu stören. Dann brach der nächste Tag an.
Thiela wachte früher als üblich auf und überraschte damit ihre Mutter mehr als zu Weihnachten. Sie wusste auch nicht so recht, warum sie auf einmal so früh aufgewacht war. Sie hatte zu ihrer eigenen Verwirrung von Kai geträumt, vielleicht konnte sie deshalb nicht so lange schlafen. Thiela war gerade fertig mit Frühstücken und wollte soeben zur Haustür gehen, als sich ihre Mutter rücklings aus dem Badezimmer lehnte und ihre Tochter entgeistert ansah. Thielas Mutter hatte ein rotes Stirnband auf, damit ihr die Haare nicht ins Gesicht fallen konnten und sah so etwas zerzaust aus. "Sag mal, wo willst du denn schon so früh hin? Etwa wieder in den Park?!", fragte sie provozierend. Thiela lächelte ihre Mutter nur neckisch an und verließ das Haus.
Sie war besser gelaunt als üblich und freute sich auf den Park. Nach ungefähr zehn Minuten kam sie im Park an und es war immer noch so wunderschön wie am vorhergehenden Tag. Thiela setzte sich auf eine Bank, sie kam frührer als gestern hierher und somit war der Park fast menschenleer. Es kam ihr fast gespenstisch vor, aber so sah man die vielen Blumen besser. Warum war Thiela eigentlich wieder hierher gekommen? Sie konnte jede freie Minute nicht mehr klar denken. Sie musste unweigerlich an Kai denken und kam deshalb wieder an diesen Ort, sie hatte gehofft, ihn hier wieder zu treffen, aber es war ja niemand zu sehen.
Thiela wartete eine ganze Weile und während dessen füllte sich der Park zusehends. Was ihr diesmal besonders auffiel, fast jeder, der durch oder in den Park ging, hatte eine Zeitung dabei und war eifrig am Lesen. Ein älterer Mann, der auf einer Bank neben Thiela saß, hatte seine Zeitung liegen lassen. Sie lief zu der aktuelle Zeitung und setzte sich gleich auf diese Bank. Eine riesengroße Schlagzeile prangte auf dem Titelblatt: "Mann tot aufgefunden, war es ein kaltblütiger Mord?". Unter dieser Überschrift sah man ein Foto eines Mannes, der blutüberströmt auf dem Boden lag. Genau so eifrig, wie die übrigen Leute, die diese Überschrift gelesen hatten, schlug Thiela die Zeitung auf der entsprechenden Seite auf und war geschockt, als sie das Bild des Ermordeten sah. Es war der Mann, den sie gestern im Park gesehen hatte! In dem Artikel stand, dass neben der Leiche ein schwarzer Mantel gefunden worden ist. Auch von dieser war auf einem Foto abgebildet, kannte sie diesen nicht irgendwo her? Hatte Kai nicht so einen Mantel getragen? Aber das konnte doch gar nicht sein, warum sollte Kai so etwas tun? Diese und noch viele Frage mehr stellten sich Thiela in den Weg. So recht konnte sie diesem Zeitungsartikel nicht glauben und so machte sie sich auf die Suche nach Kai. Dem Artikel zur Folge wurde der Tote in der Seitenstraße der Main street gefunden, also machte sich Thiela auf den Weg dahin.
Dorthin unterwegs fragte sie immer mal wieder Passanten, ob sie diesen Jungen schon einmal gesehen haben. Aber wie sieht Kai eigentlich genau aus: Na ja, er ist groß und schlank. Er ist wirklich gut aussehend mit seinen schwarzen Haaren. Damals hatte er strähnig, strubbelig gegelte Haare und auch einen schwarzen Mantel an, dazu noch ein lässig aufgeknöpftes, blaues Hemd und eine coole gefleckte Armeehose. So müsste er sich finden lassen, aber besser ließ er sich nicht beschreiben, immerhin hatte sie ihn nur ein einziges Mal gesehen. Trotz dieser vagen Beschreibung fand sich keiner, der Kai auch nur einmal gesehen haben wollte.
Nach einigen glücklosen Versuchen Kai zu finden, ging sie trotzdem in die Seitenstraße hinein.
Hier war dieser Mann also umgebracht worden und der Tatort war immer noch abgesperrt. Thiela ließ sich davon nicht abhalten und kroch einfach unter der Absperrung hindurch. Nun stand sie an der Stelle, an der der Tote gelegen hatte. Es war immer noch Blut zu sehen, aber nicht das war es, was Thiela so erschreckte. Sie war wie versteinert, sie hatte so ein Gefühl, dass jemand hinter ihr stand. Sie konnte förmlich den Atem desjenigen hinter sich spüren, aber traute sich nicht, hinter sich zu blicken. Doch auf einmal berührte sie diese Person an der Schulter. Sie wollte gerade aufschreien, als sie sah, dass Kai diese Person war und mit einem Finger vor den Lippen ein »Pst!« andeutete. Er legte die Arme um sie und zog sie in eine Nische hinein. Thiela dachte schon an das Schlimmste, aber als Kai aus der Nische schielte und seine Umarmung lockerte, wusste Thiela, dass seine Berührung etwas anderes zu bedeuten hatte. Plötzlich wurde Thiela aus ihrer Traumwelt gerissen, denn Kai wirbelte erschrocken herum, war total durch den Wind und hielt ihr dabei den Mund zu. Was war nur los, warum verhielt sich Kai bloß so eigenartig? Doch urplötzlich drückte Kai seine Lippen auf ihre. Thiela wurde heiß und kalt zugleich, was hatte das zu bedeuten? Sie wurde knallrot und klammerte sich an Kai. Dann tauchten, wie aus dem Nichts, zwei Polizisten auf und staunten nicht schlecht bei diesem Anblick. "He, ihr zwei Turteltäubchen, ich würde euch sehr bitten, das woanders zu machen", sagte der Polizist, während er sich vor Verlegenheit unter der Nase kratzte. Kai schaute den Polizisten mit einem kühlen Blick an, packte Thiela am Handgelenk und zog sie aus der Nische, vorbei an den zwei überraschten Polizisten, in Richtung Main street.
Er zog sie weiter durch die Straßen zum Park, Thiela blieb keine Möglichkeit, sich auch nur gegen diesen Klammergriff zu wehren. Sie schwebte immer noch im siebten Himmel. Gerade war sie von dem Jungen, von dem sie schon eine ganze Weile träumte, geküsst worden! Im Park angekommen, bleib Kai vor einem Baum stehen, atmete erst einmal durch und ließ dabei Thielas Handgelenk los. Sie war immer noch rot und stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Sie traute sich nicht, Kai anzusehen, irgendwie war es ihr unangenehm. Thiela schaute verlegen auf ihre Uhr und sah, dass es schon ziemlich spät war. "Es ist schon fast Mittag und muss nun gehen, sonst macht sich meine Mutter Sorgen", sagte Thiela betrübt. Am liebsten wäre sie noch hier geblieben, aber das ging leider nicht.
Thiela war schon mitten im Gehen, als Kai sie festhielt und zu sich herumdrehte. Er schaute sie mit so einem unbeschreiblich eindringlichen Blick aus seinen kastanienbraunen Augen an, dass Thiela wie gebannt war. Er sagte kein Wort, sah sie nur an und tat sonst nichts. "Was wolltest du denn in der Seitenstraße? Hast du etwa auch diesen Schund in der Zeitung gelesen?", frage Kai auf einmal ziemlich schroff. So wie er diese Worte ausgesprochen hatte, änderte sich sein Blick schlagartig zu einem kühlen abweisenden Blick. Kai sah plötzlich nicht mehr so unbeschreiblich gut aus, sondern nur noch zum Fürchten. "Ja, ich habe diesen Artikel gelesen und bin hingegangen, um mir das mal anzusehen", sagte Thiela trotzig - "und was sollte das vor den Polizisten?". Thiela war erstaunt, wie selbstbewusst sie ihn das fragen konnte. Sie traute sich trotzdem nicht, ihm zu sagen, dass sie nur wegen des Mantels dort hingegangen war. Thiela schaute Kai an, weil sie ja noch eine Antwort erwartete, aber dieser sah nur erschrocken in die Zeitung. Erst jetzt bemerkte Kai, dass sein Mantel auf dem Foto zu sehen war. Thiela folgte seinem Blick und ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass der Mörder bestimmt ein ausgebrochener Schwerverbrecher ist, denn nur derartige Menschen sind zu solchen grausamen Taten fähig. Kais Gesicht tauchte wieder aus der Zeitung auf und sah nicht glücklich aus. Er ließ die Zeitung einfach fallen und ging langsam auf Thiela zu. Sie erschrak sich vor seinem kalten und gleichgültigen Blick und sie machte einige Schritte rückwärts, bis sie den Baum in ihrem Rücken spürte. Kai kam immer näher, blieb erst einige Zentimeter vor ihr stehen. Langsam hob er die Hand und aber nur, um sich am Baum abzustützen. Zuerst schaute er auf den Boden und sagte mit einer gelassenen Stimme: "So, so. Jetzt weiß ich, warum du in diese Seitenstraße gekommen bist", und er sah Thiela auf einmal mit einem alles durchdringenden Blick an. Er kam noch näher an Thielas Gesicht heran und sagte: "Du hast also das Bild von dem Mantel in der Zeitung gesehen und verdächtigst mich jetzt, nicht wahr?". Es war gruselig, wie gelassen und cool er dabei blieb. Thiela traute sich gar nicht, etwas zu sagen, solche Angst hatte sie plötzlich vor Kai. Sie schaute ihn erschrocken an und krallte sich verzweifelt an den Baum. Kai trat ein paar Schritte zurück und schien dabei die zwischen ihnen bestehende Spannung zu lösen, doch Thiela fasste sich ein Herz und ging auf Kai zu. "Nein, ich glaube nicht, dass du das getan hast. Als ich den Mantel erkannte, habe ich mir einfach nur Sorgen um Dich gemacht. Darf ich dich denn nicht einmal suchen?", fragte sie mit unsicherer Stimme. Dabei schaute sie Kai