Nachtläufer
und Peyete wusste, dass er einen Fehler begangen hatte, aber er spürte noch die Unsicherheit des Mannes.
„Sehe ich etwa so aus?“, gab er zurück und sein Gegenüber schüttelte zögernd das Haupt.
„Nein. Ihr habt nicht das Augenfeuer, aber dennoch… irgendwie…“
„Was?“
„Nichts. Entschuldigt. Ich möchte nur keinen Ärger. Die Patrouillen sind häufiger geworden. Sie suchen überall nach ihnen.“, sagte er und seiner Stimme war deutlich sein Mistrauen zu entnehmen.
„Ihr werdet mit mir keinen Ärger bekommen.“, antwortete Peyete schlicht. „Ich werde essen, ich werde Euch bezahlen und ich werde wieder gehen. Mehr wird nicht geschehen. Ich bin keiner von ihnen.“
So ganz war der Wirt offensichtlich noch immer nicht zufrieden, denn er stand noch eine Weile vor Peyete und betrachtete ihn einfach nur skeptisch, schließlich zuckte er jedoch mit den Achseln und trollte sich. Einer der Kartenspieler hatte sich aber inzwischen herumgedreht und ihm war die nervöse Art des Wirts keinesfalls entgangen.
Peyete stand nun doch wieder auf. Er hielt es auf einmal für das klügste, sich auch den restlichen Anwesenden vorzustellen. Seine elfischen Sinne spürten überdeutlich das Misstrauen, das zum schneiden dick in der Luft hing und Peyete konnte gerade jetzt solche Gefühle nicht gebrauchen. Wenn seine wahre Identität aufkam, würde es für ihn schwierig werden, seine Berufung in Havenar zu erfüllen.
Peyete hatte das feine, hellweiße Gesicht einer Nachtelfe, aber – zumindest auf den ersten Blick – nicht die Augen. Die Nachtelfen aus dem Hochgebirge Everens oder Galleriens hatten hellorange, leuchtende Pupillen, mit denen sie selbst in vollkommener Finsternis noch gut sehen konnten. Es waren Wesen der Magie, die abgeschieden von der Menschheit irgendwo verloren in den Wäldern lebten und nur selten den Kontakt zu anderen Rassen suchten. Ihre Haut war hell, ihr Haar dunkel, ihre Ohren spitz und ihre Fortbewegung lautlos. Sie waren gefürchtet, denn sie waren Beschwörer der gefährlichen Waldmagie. Gleichzeitig waren sie aber auch begehrte Objekte der Jagd, denn ein lebendiger, gebrochener Nachtläufer – so wurden sie von den Menschen genannt – konnte immense Summen auf dem Sklavenmarkt einbringen.
Peyetes Statur im Ganzen war eher die eines Menschen, als eines Elflings, aber sein Gesicht war es nun einmal, das die meisten Blicke auf sich zog.
Er näherte sich den Männern und sie hörten abrupt mit ihrem Kartspiel auf, nur um sich ihm zuzuwenden.
Peyete deutete auf den Wirt. „Er dachte ich wäre vielleicht ein Nachtläufer.“, erklärte er und lachte laut auf, dann setzte er sich einige Armlängen vom ersten der Spieler entfernt an die Theke und grinste sie schelmisch an.
Die Männer lächelten flüchtig und nickten verstehend, stimmten aber nicht in sein Gelächter ein. Zuerst schienen sie überhaupt nicht gewillt in das Gespräch einzusteigen, dann aber meldete sich doch einer zu Wort: „Ihr seht aber auch ein wenig aus wie einer.“, meinte er. „Das müsst Ihr zugeben. So ein blasses Gesicht habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Wären da nicht Eure Größe und Eure Augen, würde auch ich Euch für einen Nachtläufer halten.“
„Das haben mir schon viele gesagt.“
„Wundert mich nicht. Kommt Ihr aus einem der Nordgebiete?“
Peyete nickte. „Ich stamme aus einem Ort jenseits des Hochgebirges. Denamos. Kennt ihr es?“
„Noch nie davon gehört. Ihr müsst eine lange Reise hinter Euch haben. Was führt Euch nach Havenar? Sucht Ihr etwas Bestimmtes?“
„Ja. Ich suche eine junge Frau.“
Endlich grinste der Mann und zeigte eine Spur von Freundlichkeit. „Da dürftet Ihr in Havenar fündig werden.“, erwiderte er. „In jeder Seitenstraße stehen sie abends. Aber nur die Hässlichen dürften für jemanden wie Euch bezahlbar sein.“
Seine Kollegen lachten rau auf und selbst Peyete brachte aus Höflichkeit ein zögerliches Lächeln hervor.
„Ich suche eine bestimmte Frau.“, erwiderte er nachdem die anderen ihr Gelächter mit einem Schluck Bier erstickt hatten. „Sie soll im Stadtteil östlich der Wense wohnen.“
„Das ist doch nicht etwa alles, was Ihr über sie wisst? Die halbe Stadt liegt östlicher der Wense. Der verdammte Fluss spaltet Havenar praktisch direkt in der Mitte und windet sich erst ein paar Meilen südlicher zum Meer hin.“
„Ich habe noch ihren Namen.“
Der Wirt brachte das Wasser und die Mahlzeit und setzte sich zu ihnen auf einen Hocker. Der Mann, der bisher als einziger zu Peyete gesprochen hatte, hob kurz die Hände und deutete auf seine Kollegen. „Wir kennen uns in Havenar gut aus. Nennt mir den Namen dieser Frau und vielleicht können wir Euch helfen.“
Peyete biss in sein Brot und schwieg. Wie weit konnte er gehen? Man hatte ihn vor Havenar und der dortigen Bevölkerung gewarnt, andererseits war die Stadt wirklich sehr groß und er hatte nicht gelogen, als er den Männern gesagt hatte, dass er keine weiteren Informationen über die Frau besaß. Sollte er ihnen ihren Namen nennen?
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als die Tür zu Merlin’s Inn plötzlich aufging und ein weiterer Mann die Stube betrat. Peyete wandte sich zuerst nur träge um, einen weiteren Gast erwartend, aber nur Sekunden später wurden seine Augen groß, als er die massige Männergestalt erkannte. Er fegte das Essen von der Theke und sprang entsetzt von seinem Stuhl.