NCIS meets X-Files
Rätsel
Die Luft, die ihnen aus dem Innern des Schiffes entgegenschlug, war kühl und ließ die fünf Menschen frösteln. War es draußen in der sommerlichen Sonne jetzt am Mittag viel zu heiß, so war es hier drinnen noch immer empfindlich kalt. Es war, als würden sie durch ein verborgenes Tor in eine vollkommen andere Umgebung treten.
Selbstverständlich war das absurd. Doch diese Kühle trug zu der unheimlichen Aura des Kreuzers bei.
Ihre Schritte hallten scheppernd durch die leeren Gänge. Tiefe Dunkelheit erstreckte sich scheinbar endlos weit ins Nichts und wurde nur ungenügend durch die Lichtkegel der Taschenlampen durchstochen. Jenseits dieses Lichtes schien diese Dunkelheit sich noch zu verdichten.
„Wir checken zuerst die Unterkünfte und die Messe.“ Wie ein unsichtbarer Geist hing Gibbs Stimme in der Stille und wurde hohl von den Metallwänden zurückgeworfen. Er hatte seine Stimme gesenkt, so wie manche Menschen ihre Stimmen in einer Kirche ehrfürchtig senken. „Danach gehen wir weiter zur Brücke. Den Maschinenraum und die Ladedecks nehmen wir uns zum Schluss vor.“
Die anderen nickten schweigend und folgten ihm dann tiefer in den Bauch des Schiffes hinein. Mit beinah traumwandlerischer Sicherheit leitete Gibbs die kleine Gruppe durch die Eingeweide der SeaCrawler, durch das unüberschaubare Labyrinth aus Gängen, Treppen und Decks.
Wie ein Geisterschiff präsentierte sich der Kreuzer. Verlassen. Ohne einen einzigen Hinweis auf Leben. Und überall bot sich ihnen das gleiche Bild wie draußen: Die metallenen Wände waren überzogen von einer grünen Patina oder bereits angefressen von Rost. Stellenweise gähnten sogar fransige Löcher und gaben den Blick auf die dahinter liegenden Hohlräume und Verkabelungen frei. Die Metallroste, über die sie hinweggingen, knarrten ebenfalls bedenklich und leise rieselte Staub von ihnen herab. Bei den schmalen Treppen bestand Gibbs darauf, dass nur einzeln auf das nächste Deck gegangen wurde, wobei er jedes Mal als erster behutsam die Stufen hinauf oder hinabstieg.
Sie erreichten die ersten Unterkünfte nach nicht allzu langer Suche. Großunterkünfte mit Schlafgelegenheiten für sechs Mann, Duschen, Toiletten und Aufenthaltsräumen. Offensichtlich waren sie zum Zeitpunkt des Verschwindens in Benutzung gewesen, denn sowohl in den Schafräumen als auch in den Aufenthaltsräumen fanden sich unzählige persönliche Gegenstände der Besatzungsmitglieder. Tassen, Bücher, Zeitschriften, Fotos, Spiele, Kleidung. Die Betten waren bezogen und zerwühlt von ihren Benutzern.
Tony griff nach einem dem der Glanzmagazine, zog es zu sich heran und schlug es mit einem süffisanten Grinsen auf. „Ja, ein solch langandauernder Aufenthalt auf See, ohne Aussicht auf einen baldigen Landgang, wäre eine wahre Folter, wenn es diese netten kleinen Zeitschriften nicht gäbe. Man sollte den Herausgebern eine Auszeichnung dafür geben, dass sie unsere Jungs bei solch unwirtlichen Einsätzen bei Laune halten.“
Er blinzelte geblendet, als Kate ihn zusammen mit dem Magazin fotografierte und der grelle Blitz die tiefe Dunkelheit für wenige zehntel Sekunden vollkommen vertrieb. So konnte er auch ihr böses Lächeln nicht sehen, mit dem sie ihn über die Kamera hinweg bedachte und das sich in ein vergnügtes Kichern verwandelte, als sich die Papierseiten unter seinen Fingern mit einem leisen Rascheln zersetzten. „Wie man einmal mehr sehen kann, ein Vergnügen ohne Dauer.“
Perplex starrte er auf die Krümel an seinen Fingern und die jetzt ausgefransten Seitenränder. „Das war die Mai-Ausgabe!! Nicht einmal ein halbes Jahr her. Boss...“
„Ja Tony, ich weiß.“ Er hob eines der aufgeschlagenen Bücher hoch und drehte es mit den offenen Seiten zum Boden. Die Blätter lösten sich nach einem winzigen Augenblick des Zögerns vom Rücken des Buches und segelten lautlos zu Boden. Wieder zerriss der Blitz von Kates Kamera die Dunkelheit.
Mulder schritt indes von einem Tisch zum nächsten, ließ seinen Finger über deren Oberflächen gleiten oder berührte Stühle und Regale. „Nirgends ist Staub, nicht das kleinste Körnchen.“ Er blieb bei einigen lose herumliegenden Fotos stehen und leuchtete sie mit seiner Taschenlampe aus. „Agent Todd?“
Kate kam zu ihm herüber und lichtete das vorliegende Gesamtbild ab. Dann beobachtete sie neugierig, wie der FBI-Agent eines der Fotos behutsam auf seine Handfläche legte und betrachtete. „Sehen Sie. Es ist brüchig, genau so wie die Zeitschriften und Bücher hier. Aber es besitzt noch immer die volle Farbenvielfalt und Intensität, als wäre es grade erst entwickelt worden. Es ist weder verblasst, noch vergilbt, so wie es sich für ein Foto gehören würde, welches so alt ist, dass es in den Fingern zu Staub wird.“
Erstaunt hob Kate einen Moment den Blick und schaute in die glitzernden Augen von Mulder. Dann wandte sie sich den anderen Fotos zu und untersuchte sie. Er hatte recht. Und auch die Zeitungen sahen aus wie druckfrisch. „Aber wie kann das sein? Ich meine...“ Sie verstummte als ihr bewusst wurde, dass ja nicht einmal der gesamte Kreuzer so alt war, dass er diese extremen Alterserscheinungen haben durfte. Und schließlich hatten sie auch dafür keine Erklärung. „Wie ist sowas nur möglich?“
Mulder ließ das Foto zurück auf den Tisch gleiten, wo es mit einem Mal in tausende kleine Schnipsel zerfiel. Dann folgte er Gibbs weiter in die Duschräume, die überzogen waren mit weißem Kalk und schwarz-grünlichem Schimmel. „Ein Zeitsprung. Oder genauer eine Zeitschleife, in die das Schiff geraten ist und nur durch einen Zufall wieder heraus kam. Es hat dadurch wesentlich mehr Zeit verloren als wir in unserer Zeitrechnung. Wahrscheinlich hat es Jahrzehnte damit verbracht einen Weg nach Hause zu finden.“
Scully beobachtete mit Unbehagen, wie Gibbs sich steif aufrichtete und nur ganz leicht den Kopf in Richtung ihres Partners wandte. Aber er sagte nichts. Glücklicher Weise lag sein Gesicht im Dunkeln, aber sie könnte schwören, dennoch das verärgerte Funkeln seiner Augen zu sehen.
„Ein solches Phänomen ist äußerst selten und wird daher eher als Spukgeschichte verkannt. Aber es gibt Orte, an denen solche Falten in der Zeit sehr häufig auftauchen. Orte wie das so genannte Bermuda-Dreieck. Die Vereinigten Staaten haben sogar einst mit diesem Phänomen experimentiert. Mit Sicherheit ist Ihnen das Philadelphia-Experiment ein Begriff.“
Jetzt drehte sich Gibbs vollkommen zu Mulder um. „Hören Sie auf uns für dumm zu verkaufen, Agent Mulder! Oder glauben Sie diese Märchen, die Sie da erzählen, etwa?“
„Wirklich bewiesen wurden derartige Zeitfalten noch nicht, Agent Gibbs.“ Scully räusperte sich und begegnete dem NCIS-Agent dann mit einem leichten Lächeln. Sie selber hatte einst diesen Blick auf Mulder geworfen, so voller Fassungslosigkeit und Unglauben. Sie hätte nicht gedacht einmal diejenige zu sein, welche die abenteuerlichen Geschichten ihres Partners wissenschaftlich untermauerte, um damit das Bild eines vollkommen übergeschnappten FBI-Teams noch zu verstärken. „Wissenschaftlich betrachtet sind derartige Vorkommnisse allerdings durchaus im Bereich des Möglichen. Sogar Einstein hatte diese Erkenntnis bereits und ist damit an die Öffentlichkeit getreten. Selbstverständlich hat ihm damals niemand geglaubt.
Dabei treten Zeitfalten immer noch häufiger auf als Zeitschleifen. Eine Zeitschleife würde erklären, wie die SeaCrawler hier her gelangt ist. Sie überfuhr auf ihrem Weg in den Nahen Osten solch einen Riss in der Zeit, wurde aus unserer Zeitrechnung herausgerissen und übersprang gleichzeitig mehrere Jahrzehnte. Raum und Zeit sind eng miteinander verbunden und können niemals voneinander getrennt werden. Geschieht das aber dennoch, so kann es passieren, dass das davon betroffene Objekt an einem vollkommen anderen Ort wieder zurück in unsere Zeitrechnung gelangt. Dabei entscheidet der Zufall, an welchem Ort dieses Planeten das Objekt wieder auftaucht.
Wir hatten Glück, dass es in diesem Fall tatsächlich auf dem Boden der Vereinigten Staaten gewesen ist.“
Tony zog hinter dem Rücken der rothaarigen Agentin den Kopf zwischen die Schultern und warf Kate einen vollkommen entsetzten Blick aus weit aufgerissenen Augen zu, den sie mit offen stehendem Mund beantwortete. Dann wandten sich beide ihrem Boss zu, doch die erwartete Katastrophe blieb auf wundersame Weise aus.
„Tatsächlich?“ Gibbs verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Scully belustigt an. „Sie sind Wissenschaftlerin, nicht wahr?“
Scully seufzte unbehaglich. „Ich bin Ärztin. Aber meine jahrelange Arbeit an der Seite Agent Mulders führt automatisch zu einem wissenschaftlichen Grundwissen. Meine Aufgabe ist dabei stets gewesen die Glaubhaftigkeit seiner Theorien zu beweisen oder zu widerlegen.“
„Also ist es in Wirklichkeit seine Idee?“
„Agent Mulder schließt bloß in Frage kommende Ursachen nicht von vornherein aus, nur weil sie zu abenteuerlich sind, um vor der Allgemeinheit zu bestehen. Es hat sich aber erwiesen, dass er erstaunlich häufig das richtige Gespür für derlei Dinge besitzt.“
Mulder wandte ihr verwundert den Kopf zu und konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. Doch Scully dachte gar nicht daran zu ihrem Partner zu schauen, geschweige denn von dieser Geste Notiz zu nehmen. Warum zum Teufel sah sie sich in letzter Zeit ständig genötigt seinen Hintern vor zu viel Ärger zu retten?
Gibbs schwieg einige Zeit, als würde er über das Gesagte nachdenken. Dann zuckte er mit den Schultern und verließ den Raum. „Sie sollten sich einmal mit unserer Wissenschaftlerin darüber unterhalten. Ich bin sicher, sie wird ihre helle Freude daran haben.
Kate, mach ein paar Fotos von dem Zustand der Nasszellen, wir gehen weiter zur Brücke.“
Den weiteren Weg legten sie in tiefem Schweigen zurück. Zu bedrückend war die Atmosphäre in diesen düsteren, kalten