NCIS meets X-Files
Wolken am Horizont
Dichte grau-weiße Rauchschwaden kräuselten sich träge von dem glimmenden Zigarettenstummel zur Decke und hüllten die ohnehin schon unscharfen Bilder des kleinen Fernsehers in Nebel. Um ihn herum standen mehrere Männer, allesamt älteren Semesters und in teure Anzüge gekleidet. Sie verfolgten die Szenen schweigend, doch es war deutlich zu spüren, dass das Gezeigte großes Unbehagen bei den Anwesenden hervorrief.
In kurzen Ausschnitten war die Fundstelle der SeaCrawler zu sehen, das rege Treiben einiger Arbeiter, die mehrere große Feldzelte errichteten und Transporter voller technischer Einrichtungen entluden, und eine mehrköpfige Ermittlergruppe, die sich um einen nachtschwarzen Truck des NCIS scharte und heftig miteinander diskutierte.
Wer auch immer diese Aufnahmen gefertigt hatte, vergrößerte die Einstellung langsam und holte jedes einzelne Mitglied dieser Gruppe bis auf Erkennbarkeit heran. Missbilligend schnaufte der unnatürlich schlanke, ja beinahe schon dürre Mann mit der Zigarette und warf sie achtlos in den übervollen Ascher zu seiner Rechten.
„Mulder!" Der geseufzte Ausruf seines Kollegen machte die Unzufriedenheit laut, die jeder der Anwesenden bei dem Anblick des hochgewachsenen FBI-Agents empfand. „Wir hätten wissen müssen, dass ihn eine Zwangsversetzung in den Innendienst nicht abhalten wird."
„Wir haben es gewusst." Die Zigarette wurde jetzt mit tiefgründiger Genüsslichkeit zerdrückt, der letzte noch aufsteigende Rauch im Keim erstickt. „Mulder ist hier nicht das Problem. Ihn haben wir noch immer in der Hand."
Die Kameraeinstellung schwenkte weiter über die Gesichter einiger junger Agents und blieb dann an dem offensichtlich Dienstältesten hängen. „Er wird uns wesentlich größere Schwierigkeiten bereiten, wenn wir nicht aufpassen. Beim FBI haben wir unsere Leute an den entscheidenden Stellen, die Mulder und Scully an die Kandare nehmen, sollten sie zu aufdringlich werden. Aber er..."
„Wer ist er?"
Ein weiterer der Männer meldete sich zu Wort. Er war untersetzt und sein Haar bereits vollkommen ergraut. „Leroy Jethro Gibbs, Senior-Agent beim NCIS. Wir dürfen ihn auf keinen Fall unterschätzen. Der NCIS hat sich bislang äußerst geschickt unseren Einflüssen entzogen, und noch eine Bundesbehörde zusätzlich zu berücksichtigen macht unsere Aufgabe nur ungleich schwieriger."
„Eliminiert ihn."
Die Männer schienen einen Moment über diese Möglichkeit nachzudenken, doch der Untersetzte erhob Einspruch. „Nein. Wir können ihn unmöglich ausschalten, ohne die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen."
„Aber wir können sie genauso wenig weitermachen lassen!" Die Dringlichkeit dieser Aussage ließ die Stimme des Sprechers forscher klingen als beabsichtigt. „Es hätte niemals so weit kommen dürfen. Der NCIS darf in keinen Fall auch nur im Ansatz erfahren, um was es hier tatsächlich geht."
„Wir müssen handeln, das steht außer Frage. In erster Linie geht es jetzt um Schadensbegrenzung. Alle weiteren Schritte müssen warten."
Schweigen trat wieder ein und die Männer blickten weiterhin gebannt auf die sich wiederholenden Bilder. Der Dürre griff nach seiner roten Schachtel Morleys und zündete sich eine weitere Zigarette an. Tief sog er den heißen Rauch in seine Lungen. „Ich kümmere mich darum."
Über dem kleinen Feldlager in Tennessee senkte sich die unbarmherzige Sonne nun langsam gen Horizont und kuschelte sich bereits zur Hälfte in die endlos reichenden Mais- und Kornfelder. Flüssigem Feuer gleich leckten ihre letzten Strahlen und tauchten die ihr zu Füßen liegende Landschaft in unwirkliches Licht. Mit einer nennenswerten Abkühlung für die Nacht war nicht zu rechnen.
Mulder und Scully waren noch einmal zur SeaCrawler zurückgekehrt, um auch aus dem Laderaum Proben für Abby zu besorgen. Der Rest half bei den letzten Handgriffen des Aufbaus.
Tatsächlich waren sämtliche Ebenen der Lagerräume wie verwaist gewesen. Lediglich in einem der Räume hatten sich Anzeichen für erst kürzlich entwendete Ladung befunden und am Boden hatte sich in den Schleifspuren eine Flüssigkeit gesammelt, die zu untersuchen Scully und Mulder aufgebrochen waren.
Der Maschinenraum hatte sich in einem desolaten Zustand befunden und Gibbs hatte bereits die ersten Schritte eingeleitet, um den Kreuzer im Anschluss an ihre Ermittlungen verschrotten zu lassen. Man würde ihn an Ort und Stelle auseinander schweißen müssen. Allein diese Vorstellung brach dem ehemaligen Navy-Gunny das Herz.
Er lächelte schief, als die Zeltplane zurückgeschlagen wurde und ein ebenfalls bereits etwas betagterer Mann hereinkam, den Hut abnahm und sich blinzelnd umsah. „Ducky! Es ist gut, dass ihr es tatsächlich so schnell geschafft habt, hier her zu verlegen." Er half seinem Freund aus dem hoffnungslos verschwitzen Mantel.“Wo ist Abby?"
Der Rechtsmediziner, der einen guten Kopf kleiner war als Gibbs, klopfte sich den Staub aus der Kleidung und nahm dann dankend das angereichte Wasser entgegen. „Oh, sie ist bei Kate und Tony draußen. Hört sich bereits die ersten Neuigkeiten an, vermute ich mal." Er setzte sich.
„Jethro, was um Himmels Willen ist bloß in dich gefahren, uns derart überstürzt hier her zu fordern? Ich hoffe doch mal, du hast einen guten Grund dafür, denn andernfalls sehe ich mich gezwungen dich mit mir nach Hause zu nehmen, damit du meiner Mutter das alles erklären kannst. Du solltest nämlich wissen, sie hat für den heutigen Abend ein gemeinsames Essen organisiert, bei dem ich eigentlich nicht fehlen darf. Dort wird es dann..."
„Ducky." Gibbs lächelte und unterbrach ihn sanft, aber bestimmt. „Wir beide wissen doch genau, dass deine Mutter nicht einmal den Unterschied zwischen einem Kochtopf und ihrem Sonntagsausgeh-Hut erkennen würde. Wie soll es da ein gemeinsames Essen geben? Ganz davon abgesehen das niemand so wahnsinnig ist, um freiwillig einen Abend mit dir und deiner Mutter zu verbringen."
Ducky stellte das Glas zur Seite und stand wieder auf, um zu den Tischen hinüber zu gehen, auf dem sich verhüllt mehrere Körper wölbten. „Du vergisst ihre fünf engsten Vertraute, die japanischen Cockerdackel. Sie hat für sie alle neue Futternäpfe aus Blumentöpfen gekauft und das Geschnetzelte von vor drei Tagen extra im Kühlschrank aufbewahrt. Und das nur für heute Abend. Ich selber habe sogar einen extra großen Blumentopf bekommen. Bis vor kurzem war das noch die Heimat einer stolzen Yucca-Palme gewesen, die sie von ihrer verstorbenen Nachbarin vermacht bekommen hat." Er zuckte mit den Schultern. „Sie hat es nunmal nicht so mit Blumen."
Gibbs lachte leise. Das hieß also nichts anderes, als dass Ducky ihm dankbar war, den heutigen Abend nicht bei seiner Mutter verbringen zu müssen. Er zündete die Petroleum-Lampen im Zelt an und trat dann neben den Mediziner. Die Sonne hatte sich mittlerweile hinter dem Horizont zur Ruhe begeben.
„Nun, was ist diesen wackeren Marines denn überhaupt zugestoßen?" Er schlug das schwere Leinlaken mit Schwung zurück und musterte den nackten Mann mit geschultem Blick. „Du willst mich doch auf den Arm nehmen, oder hast du etwas von heute Abend gewusst, Jethro?" Vorwurfsvoll blickte er über seine Brille hinweg. „Dieser Mann ist offensichtlich erschossen worden."
Der Agent neigte den Kopf zu Bestätigung, hob aber sofort eine Hand, um die Beschwerde seines Gegenübers zu unterbinden. „Du wirst diese Verletzungen bei allen hier Liegenden finden, Duck. Deshalb habe ich dich auch nicht kommen lassen. Ich möchte, dass du dir das Innenleben dieser Männer genau ansiehst und auf alles achtest, was nicht normal ist."
„Naja...tue ich das denn nicht immer?"
Gibbs knurrte. „Ja, aber dieses Mal besonders. Du wirst nicht allein arbeiten. Eine Dame des FBI wird dir zur Seite stehen. Sie hat auch nähere Infos zu dem, was ihr eigentlich sucht." Er hob eine Augebraue. „Wo ist überhaupt dein Assistent?"
„Mr. Palmer ist daheim geblieben, was ihm angesichts der hier herrschenden Hitze als erstrebenswerter erschien. Und außerdem muss doch zumindest einer von uns den Kontakt zur Basis wahren." Er nickte zerstreut und machte sich auf die Suche nach seinen Obduktionswerkzeugen. „Kannst du mir denn erzählen, um was es hierbei geht?" Mit einer Hand fuchtelte er in die grobe Richtung des Navy-Kreuzers. „Das es etwas damit zu tun hat, kann ich mir soweit selbst denken."
„Wir suchen nach Hinweisen auf einen Virus, der die Organe eines Körpers und dessen Zellen angreift und sie langsam Stück für Stück zersetzt."
Überrascht drehten sich Gibbs und Ducky zu der Stimme um. Scully hatte unbemerkt das Zelt betreten. „Sie müssen Dr. Mallard sein, nehme ich an?"
Der Angesprochene rückte seine Brille zurecht und musterte die FBI-Agentin aufmerksam. „In der Tat, der bin ich. Und Sie sind..."
„Agent Dana Scully." Sie lächelte und schüttelte dem Mann, der nicht viel größer als sie selber war, die Hand.
„Dana Scully." Ducky murmelte vor sich hin, als würde ihn dieser Name an etwas erinnern. Dann plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. „Aber sicher doch. Scully! Ihr Vater hat auch bei den Marines gedient, richtig?"
Sie nickte langsam.
„Ich kannte ihn gut, wissen Sie? Ein vorbildlicher Marine, nur leider viel zu sehr in dieser Bestimmung gebunden." Sein Blick wurde traurig. „Es tut mir wirklich ausgesprochen leid, Miss Scully. Es ist eine Schande, dass er so früh von uns gehen musste."
Einen Moment lang schwiegen sie sich unangenehm an, bis Scully sich als Erste aus der Starre befreite und zu den Tischen herüber kam. In der linken Hand schwenkte sie ein durchsichtiges Glasröhrchen. „Hiernach suchen wir. Ich denke nicht, dass wir tatsächlich noch Rückstände finden werden, aber ich hoffe es. Mulder wird die anderen Röhrchen nebenan zur Fornesik bringen, damit wir möglichst bald Vergleichsmaterial haben."
Gibbs klopfte Ducky auf die Schulter und schickte sich