Mondgott
Prolog
Eine klare, mondlose Nacht hüllte das kleine Dörfchen in Schweigen. Es war wieder so weit, ein weiteres Mal schlich sich Alistos in eines der kleinen Dörfer, diesmal fiel seine Wahl auf Galas, direkt am Rande des Tuman. Nur bei Neumond und nur wenn er neue Soldaten brauchte oder Schutzgelder eintreiben wollte, kam er den langen Pfad der durchs Gebirge führte entlang. Vor drei Monaten war er zuletzt gekommen, die Dorfbewohner kannten ihn bereits recht gut, alle drei Neumonde war es soweit... Zu kämpfen hatten sie aufgegeben, inzwischen versammelten sie sich nur noch schweigend auf dem Marktplatz wenn die Beobachter in den Türmen ihn sichteten. Gleich was sie taten Alistos bekam immer was er wollte. Waffen nützten sowieso nicht viel gegen Amphimen und dieses mal war er nicht allein, zwei andere seiner Rasse folgten ihm lautlos. Langsam aber bedrohlich, wie Schatten waren sie gekommen um das zu tun was sie am liebsten taten: Schrecken zu verbreiten.
An ihren Hälsen saßen Kiemen und zwischen den kräftigen Fingern spannte sich eine, fast durchsichtige, Schwimmhaut. Amphimen, menschgewordenen Fische aus den Meeren der tropischen Südküste... Delphine, Forellen, Welse, Karpfen, Zwergwale und sogar auch Rochen und Haie. Allessamt besaßen sie die Fähigkeit an Land mit ihren Lungen und im Wasser mit ihren Kiemen zu atmen, dazu überragten sie Menschen um fast zwei Köpfe und besaßen eine nahezu unmenschliche Stärke. Eine Plage unter der die einfachen Bürger der Bergdörfer schon seit Jahren zu leiden hatten. Man könnte sagen die unheimlichen Fischwesen waren fast unbesiegbar. Aber wie so vieles eben nur fast ... denn was kaum jemandem bekannt war, sie brauchten zum Überleben ca. alle 12 Stunden ein Wasserbad. Menschgeworden, hin oder her, sie waren noch immer Söhne des Meeres. Doch noch niemand hatte sich in all den Jahren getraut ihren Peinigern eine Falle zu stellen oder sich auch nur gegen sie zu erheben. Dafür waren sie zu feige und die Amphimen zu mächtig.
Jeder von ihnen trug eine Flosse auf dem Rücken, (die Rochen ausgenommen) an ihrer Größe ließ sich die Stärke der Amphimen festlegen, je größer desto stärker. Alistos’ mächtige Haiflosse war zweifellos die größte von allen, und machte ihn unverkennbar zum Anführer. Als Sohn des mächtigen Aquasiox fiel ihm dieses Privileg ohne hin zu.
Seine Zähne blitzten im Licht der Fackeln, die um das Dorf herum standen. Den Bewohnern war klar, dieses mal würde er wieder jemanden aussuchen und mit zu seiner „Schule“ nehmen. Wahrscheinlich war diesmal Umbriel dran. Armer Junge. Er war, seit Alistos letztes Mal Mellmeg mitgenommen hatte, einer der kräftigsten aus dem Dorf und half sogar den Männern bei der Arbeit auf dem Feld, obwohl er gerade mal acht Jahre alt war. Er lebte seit dem Tod seiner Eltern, mit seiner kleinen Schwester Panu in einem alten Haus am Marktplatz
Der Anführer der Amphimen nahm grundsätzlich nur Kinder zwischen fünf und zehn Jahren mit sich, alle anderen konnten sich in Sicherheit wiegen, und somit auch deren Eltern. Ihnen würde nichts geschehen. Aber jene, die ihre Kinder nicht freiwillig hergaben, bekamen Alistos’ Amphimkräfte zu spüren. Meistens jedoch ließ er seine Untergebenen die Drecksarbeit machen, er kümmerte sich um seine Zukünftige Armee aus entführten und gedrillten Kindern, die dann seinem Kommando unterstehen und für ihn rauben und plündern würden. Zumindest war dies sein Plan, den er vor ein paar Jahren im Sinn hatte, bevor er die Küste verließ und sich hier im tiefen Dschungel eine Art Schloss dafür bauen lies. Er nannte es großmütig „das Hauptquartier“.
Hoch erhobenen Hauptes ging er durch die verlassenen Gassen von Galas. Eigentlich war es ein schönes und friedliches Dörfchen, am Rande des Tuman, so nannten die Dorfleute das Gebirge welches hinter dem kleinen Dorf thronte. Riesige Felsen ragten dort empor, eine Quelle entsprang hier oben und lief als Gebirgsbach zwischen Bäumen und Sträuchern zu Galas hinunter. Aber der Frieden wurde gestört sobald Alistos auftauchte.
Ein leises Raunen ging durch die Menschenmenge die sich auf dem Dorfplatz angesammelt hatte während Alistos und seine zwei Verbündeten dort erschienen.
„Oh nein, er wird doch wohl nicht Umbriel mitnehmen wollen“, flüsterte eine alte Frau zu einem jungen Mädchen. Argwöhnisch hielten die Leute ihre Kinder an sich gedrückt. Jeder hatteden Gedanken, dass sein Kind ausgesucht werden könnte, doch beim Anblick der riesiegen Zähnen des Haifisches erinnerte sie sich daran wie nutzlos ein Widerstand sein würde.
„Zur Seite Menschenpack!“, brüllte Alistos den angsterfüllten Leuten entgegen, diese verneigten sich still und traten ehrfürchtig zur Seite. Mit spöttischem Blick sah er zu, wie sich eine Schneise auftat, die ihm den Weg frei bis zu einem halb zerfallenen Haus frei machte.
„Umbriel! So ist doch dein Name. Komm heraus, es ist Zeit für dich mit mir zu kommen!“, posaunte der Amphim zu einem kleinen Fenster hinauf.
Eine Weile verging, still war es geworden, alle hielten den Atem an. In der Ferne bellte ein Hund doch auf dem Marktplatz war es totenstill, keiner wagte es auch nur mit der Wimper zu zucken. Auf einmal knarrte die alte Tür und unterbrach die stille Nacht, ein kleiner Junge mit haselnussbraunem Haar und einem Schwert am Gürtel stand in der Tür.
„Alistos! Lass uns endlich in Ruhe“, rief er tapfer, obgleich das Zittern in seiner Stimme unüberhörbar war. Kaum aber hatte er zuende gesprochen, da lief er auch schon auf Alistos zu, zog sein Schwert aus der Scheide und wirbelte damit wild herum. Doch Alistos, gar nicht beeindruckt, streckte nur seinen kräftigen Arm aus, packte Umbriels Schwert, riss es ihm aus den Händen und schleuderte es hinter sich. Dass es dabei nur knapp einen Mann, der seinen Sohn auf dem Arm hielt verfehlte, war im völlig egal. Die polierte Klinge bohrte sich unbarmherzig in den harten Boden und blieb aufrecht stecken. Das einzige was sich bewegte waren die drei roten Bänder die um den Griff gewickelt waren und nun im sanften Wind hin und her schaukelten. Entschieden packte Alistos Umbriels Hals, zog ihn hoch und schmetterte ihn gegen eine Hauswand. Nach einem kurzen, gedämpften Aufschrei sank Umbriel benommen zu Boden.
„Na geht doch“, meinte Alistos zufrieden und klopfte sich selbstzufrieden den Staub von der Hose, „warum nicht glei-aaaaaahhhh!“ Er lies einen markerschütternden Schmerzenschrei durch die Nacht klingen. Verwirrt blickte er sein schmerzendes Bein herunter. Panu, Umbriels kleine Schwester, hatte sich an ihn herangeschlichen und ihm die Zähne ins Fleisch seines kräftigen Unterschenkels geschlagen.
„Lass meinen Bruder in Ruhe du doofer hässlicher Onkel“, rief sie zu ihm hoch. Sie ging ihm gerade bis zur mitte der Oberschenkel und musste ihren Kopf nach hinten lehnen um ihn böse anzufunkeln.
„Was!? Deinen Bruder?! Das ist aber ein freches Verhalten, für jemanden wie dich, Kleine. Such dir lieber jemanden in deiner Größe zum spielen, sonst kommst du zwischen meine Beißer“, Alistos entblößte seine scharfen Zähne. Panu sah ihn mit einer Mischung aus purem Entsetzen und etwas wackeliger Furchtlosigkeit an. Seine strahlenden Zähne waren so lang wie ihre gesamte Hand.
„Ich habe keine Angst vor dir ... du Fisch!“, brummelte sie mit aufgepusteten Wangen und trat dem Amphim vor sein Schienbein. Oberon, ein muskulöser und intelligent wirkender Teufelsrochen mit langem schwarzen Haar, das er zu einem Zopf gebunden hatte, lachte kurz. Anscheinend gefiel es ihm mit anzusehen wie Alistos sich mit einem Kind stritt.
„Jetzt ist es aber genug!“ Alistos streckte seine Hand nach Panu aus und hob sie hoch. Widerwillig sträubte sich das kleine Mädchen, wirkungslos, Alistos’ Griff war zu stark. Er zerquetschte ihr regelrecht den Kiefer und drehte ihren Kopf jetzt langsam von rechts nach links.
„Hm, ziemlich kräftig für deine Größe und durchaus gewaltbereit. Eine große Klappe hast du auch. Du bist ein roher Diamant wie ich sehe, ich glaube aus dir könnte mal etwas werden, hehe etwas brauchbares. Bei dir mache ich eine Ausnahme, denke ich... Sub! Oberon! Wir nehmen sie mit, sie ist viel talentierter als ihr lächerlicher Bruder. Ich glaube der steht so schnell auch nicht mehr auf.“ Panu, deren Füße noch vor kurzem hilflos in der Luft strampelten, hatte sich endlich freigezerrt und wieder festen Boden unter den Füßen. Beleidigt rieb sie sich das schmerzende Kinn. Noch erkannte sie nicht die Bedeutung der Worte, die Alistos soeben ausgesprochen hatte und die ihr ganzes Leben verändern sollten. Da saß sie auch schon wieder in der Klemme: Sub, ein Amphim mit sehr großen Augen und roten Schuppen (er war wohl ein Art Goldfisch) packte sie am linken und Oberon am rechten Arm.
„Bringt sie zum Hauptquartier“, befahl Alistos triumphierend und ging durch die Menschenmenge zurück zu dem dunklen Pfad der zum Tuman führte. Sub und Oberon folgten ihm, mit Panu die sie rückwärts über den Boden schliffen.
„Was, ihr wollt mich mitnehmen? Nein, großer Bruder, Umbriel hilf mir. Umbriel!“, Panu schrie nach Leibeskräften um Hilfe aber keiner der Leute rührte sich. Sie zappelte umher, konnte sich aber nicht aus den eisernen Griffen der Amphimen befreien. Umbriel aber schien Panus Rufe gehört zu haben, er öffnete benommen die Augen.
„Was? ... mein Kopf“, er strich sich ungeschickt über die blutige Wunde an der Schläfe. Gleichzeitig bemerkte er, dass Alistos dabei war seine Schwester zu entführen, „Pan! Nein Alistos, lass sie in Ruhe! Bitte, sie ist erst vier. Alistos bitte nimm mich an ihrer Stelle. Nein, bitte nicht Pan“, bettelte er. Mühsam versuchte er aufzustehen, doch Alistos hatte ihm beim Wurf gegen die Hauswand, wohl etwas gebrochen. Unter beißenden Schmerzen sank er an dem kalten Stein zurück auf den Boden.
„Nein, Pan!“, verzweifelt