Fanfic: Verbrannte Erde

Kapitel: Fluss der Tränen

Sie hielt seine Hand. Ein großes Auge starrte ins Leere, das andere war bereits abgerissen worden. Irgendwann vor sehr langer Zeit. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass es jemals anders war.

Vor einiger Zeit war sie noch sehr glücklich gewesen. An diesem magischen Ort. Während draußen der Wind den roten Sand vor sich hertrieb, fanden sie und ihre Familie Schutz in den trutzigen Mauern dieser Burg.

Die Festung stand auf einem hohen Felsen. Von der Brüstung blickte man direkt auf das ausgetrocknete Bett eines Flusses, das sich traurig dahinschlängelte.
Auf der gegenüberliegenden Seite standen verfallene Häuser. Sie stand oft auf der Wehrmauer und blickte in die Ferne. Dann stellte sie sich vor, wie die Menschen in diesen Häusern gewohnt hatten. Was für Spiele die Kinder miteinander gespielt, und welche Kleidung die schönen Damen und Herren getragen hatten.

Eines Tages fand sie ein Buch auf dem höchsten Turm der alten Burg. Es war ein dickes Buch mit vergilbten, fast brüchigen Seiten auf denen verschiedene Bilder lagen. Auf einigen waren sogar Familien abgebildet. Manche waren farbig, andere nur schwarzweiß mit gezacktem Rand. Wieder andere sahen aus wie Bilder großer Künstler. Träume einer besseren Welt, in Pastelltöne gebannt.
Sie zeigte das Buch ihrer Mutter. Diese sagte, dass das Buch ein Fotoalbum sei und die vielen Bilder nannte sie Fotografien. Ihr Vater freute sich über die Handcolorationen, wie er die Pastellträume nannte.
Von da an hütete das Mädchen das Album wie einen Schatz.

„Mama, wie war das früher?“

„Das Tal war grün und in den Häusern lebten viele Familien. Dort unten war ein Fluss auf dem zahlreiche Schiffe fuhren. An den Hängen hat man Wein angebaut. Ich habe von den Trauben gekostet. Sie haben süß geschmeckt.“

„Was ist passiert?“

„Ich weis es nicht, mein Mädchen. Es ist schon lange her.“

„Wird der Fluss wiederkommen? Sag es mir, Mama.“

„Vielleicht, wenn der Himmel genug geweint hat.“


Sie stand noch immer schweigend auf der Wehrmauer. Traurig drückte sie fester seine Hand. Er blickte sie mit seinem einzelnen Auge an. Ihr zerrissenes Kleidchen wehte im Wind.

„Sieh mal, mein Kind, was ich für Dich habe.“

„Was ist es Papa? Oh, bitte zeig es mir!“

„Er heißt ‚Brumm’.“

„Wie niedlich. Was ist das Papa?“

„Ein Teddybär. Ich habe ihn im Kaminzimmer gefunden und dachte, er würde Dir gefallen.“

„Ich habe dich sooo lieb!“
Sie breitete ihre Arme aus und fiel ihm um den Hals.


Eines Morgens war sie aufgewacht und wollte zu ihren Eltern. Ihre Mutter saß auf dem Bett, neben ihrem schlafenden Mann und weinte.

„Mama, was hast Du? Ist Papa noch nicht wach?“

„Papa schläft jetzt, meine Kleine.“

Sie hatten das Kaminzimmer nie mehr betreten.


Sie weinte und vergrub ihr Gesicht in Brumms abgenutztem Plüschfell.

„Mama, erzähl mir eine Geschichte!“

Ihre Mutter sagte nichts.

„Mama, schläfst Du?“

Sie blieb stumm.

„Mama, wach doch auf!“

Sie würde nie mehr aufwachen.


Roter Staub schwebte durch die Luft. Am Himmel zog ein Vogel seine Bahn. Sie drückte ihren Teddy fest an sich. Dann streckte sie ein dürres Ärmchen nach dem Vogel aus, als wollte sie sagen: „Nimm mich mit.“

Sie fiel. Und der Himmel weinte.
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