Fanfic: Verbrannte Erde
Kapitel: Alpha und Omega
Es war der Tag der Sommersonnenwende. Zu zweit standen sie auf dem ehemals prachtvollen Boulevard und beobachteten, wie die Sonne zwischen den Häusern versank. Rechts und links säumten die Überreste von hohen Gebäuden die Straße. Verwitterte Schilder standen hier und da vereinzelt im Sand.
„Komm, lass uns nach Hause gehen. Die Sonne ist schon fast untergegangen.“ Er streckte die Hand nach seiner Gefährtin aus.
„Ich will es bis zu Ende sehen.“ Sie entzog sich ihm und ging einige Schritte auf die untergehende Sonne zu.
„Du bist widerspenstig!“
„Ich bin nicht Dein Untertan.“ Trotzig ging sie noch einige Schritte weiter.
Wütend kniff er die Augen zusammen und packte sie am Arm.
„In dem Buch steht aber, die Frau sei dem Manne untertan! Oder willst Du, dass wir so enden wie sie?“ Er machte eine weitausholende Geste in Richtung der verfallenen Häuser.
„So, und Du kannst das also lesen, ja Und woher willst du überhaupt wissen, dass dies die Schuld der Frauen ist?“, giftete sie ihn an.
„Das brachte mir mein Vater bei. Und außerdem ist mein Gehirn größer als Deines.“ Er zog sie mit sich fort. „Es war schon immer so“, fuhr er fort, „Ihr Frauen brachtet unseren Ahnen das Verderben!“
Das Heim des seltsamen Paares befand sich in einem zerstörten Hochhaus ganz oben auf dem Dach. Dort gab es einen kleinen Garten, in dem die verschiedensten Pflanzen wuchsen und gediehen. Sie lebten in einem halbzerfallenen Steinhäuschen mit einem flachen Dach.
Ab und an fiel auch Regen; aus diesem Grund hatte er dieses Hochhaus als Hort der Zuflucht gewählt.
*~*~*
„Lilith! Komm zu Bett!“
Lilith saß auf der Steinmauer, die das Gärtchen begrenzte. Es war alles schief und krumm. Ihre Behausung lag einige Meter über der ausgedörrten Erde. Unter ihren baren Füßen pfiff der Wind. Ihr hüftlanges Haar wehte um sie herum, hüllte sie ein, wie in einen Mantel.
Heute, so beschloss sie, würde sie ihn ignorieren. Dieses..., dieses Tier, das sie Nacht für Nacht nahm. Waren sie denn nicht gleichwertig? Es gab doch nur noch sie beide.
Sie war so in Gedanken versunken, dass sie ihn nicht kommen hörte. Er packte ihre roten Haare und zog sie nach oben.
„Du sollst kommen, wenn ich dich rufe, Weib!“
„Adam! Lass mich los!“ Sie versuchte, sich zu befreien, aber er war stärker als sie.
Adam ließ sie tatsächlich los. Dann hob er seine rechte Hand und ließ sie niederfahren. Es klatschte. Ein brennender Schmerz durchfuhr Liliths Wange.
„Damit Du nie vergisst, wo Dein Platz ist. Und nun komm!“, sagte er streng, als Lilith ihn mit großen braunen Augen anblickte und sich die linke Wange hielt.
Wie immer kämpfte sie ihren Zorn und ihre Tränen nieder.
Warte nur, eines Tages befreie ich mich von Dir.
Er packte sie rüde am Handgelenk und zerrte sie zu der verfallenen Hütte im hinteren Teil der Dachterrasse, auf der sie lebten.
Adam schleifte sie in den separierten Schlafbereich. Dort warf Lilith auf das gemeinsame Lager und legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie. Er fixierte ihre Handgelenke über ihrem Kopf. Sie schüttelte in hilfloser Wut den Kopf und strampelte in Todesangst. Tränen des Zorns, der Wut und der Angst rannen über ihre geröteten Wangen, als sie versuchte ihn abzuwerfen. Aber die zierliche Lilith war ihrem blonden Peiniger unterlegen.
„Du solltest mir dankbar sein, dass ich Dich vor dem Tod bewahrt habe. Denk daran, Weib, Dein Platz ist unter mir!“
In dieser Nacht nahm Adam sich einfach, was ihm seiner Meinung nach zustand.
*~*~*
Tag folgte auf Tag, Woche auf Woche. Und in jeder Nacht bewies er ihr seine Überlegenheit. Doch Lilith war nicht gewillt, so einfach aufzugeben. Oh ja, gewiss war sie ihm dankbar. Adam hatte sie gefunden; halb verdurstet und völlig unterernährt hatte sie in dem ausgetrockneten Flussbett gelegen, welches nur einmal im Jahr, für sehr kurze Zeit Wasser führte. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass er sie wie sein Eigentum behandeln durfte.
Schwach erinnerte sie sich an ihre Eltern. Ihr Vater hatte niemals seine Hand gegen sie oder ihre Mutter erhoben. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie jahrelang, wie ein Nomade, durch das ausgedörrte Land geirrt, bis sie bei Adam ein Zuhause fand.
An jenem schicksalhaften Morgen, schickte Adam sie zu den knorrigen Sträuchern, die sie als Feuerholz nutzten. Genau in das Flussbett in dem er sie damals gefunden hatte. Murrend kletterte sie den steilen Hang hinab. Der Fluss war früher sicher einmal sehr tief gewesen.
Der Wind trieb kreisrunde Büsche vor sich her. Gelber Sand tanzte in der Luft, die Sonne ließ ihn glitzern wie Diamantenstaub.
Sie hielt inne und blickte ins Leere. Auf einmal wünschte sie sich, wie der Wind zu sein, der den Sand vor sich her trieb, wie ein Hirte seine Herde. Zu tanzen und frei dorthin zu gehen, wo auch immer sie wollte.
Lilith verbrachte gerne Zeit damit, zu fantasieren und sich Dinge vorzustellen, während sie allein war. Ganz langsam spazierte sie weiter, zu den Dornenbüschen und schlenkerte ihr Bündel hin und her. Ihretwegen konnte Adam so lange warten, bis es Nacht wurde. Die Sträucher kamen immer näher.
Als Strafe hatte er ihr noch nicht einmal Schutzkleidung für ihre Hände mitgegeben. Nur eine lange Schnur, mit der sie das Reis fixieren konnte und ein kleines Messer zum schneiden des Holzes.
Missmutig zog sie das Messerchen aus ihrem Gürtel. Sie würde heute mit blutigen Händen nach Hause kommen.
Lilith machte sich an die Arbeit. Zweig für Zweig nahm sie in die Hand und schnitt sie von der Pflanze ab. Dabei bohrten sich die langen spitzen Dornen tief in ihr Fleisch.
„Du wirst Dein frevelhaftes Verhalten sühnen. Jeden Tag, bis zum großen Regen“, das waren seine Worte, am Morgen danach gewesen.
Er gab ihr die niedersten Arbeiten und gerade genug Nahrung und Wasser, damit sie bei Kräften blieb, um zu arbeiten. Sie hoffte inständig, dass der Regen bald einsetzen würde.
Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Aber sie würde nicht weinen. Grimmig biss sie die Zähne zusammen. Auf keinen Fall würde sie Adam mit rotgeweinten Augen gegenübertreten.
Sie legte Zweig für Zweig auf die Erde. Ab und an wischte sie sich mit dem Arm über die Stirn. Die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herab und ihr langes rotes Haar klebte bereits an ihrem Körper. Lilith blickte zu dem dünnen Seil, das bis jetzt noch aufgerollt neben ihr lag. Sie nahm ihr Messer und trennte ein kurzes Stück davon ab. Dieses schlang sie sich ein paar mal um ihre Haarflut und knotete es fest.
Es vergingen einige Stunden und Lilith war gerade dabei den vierten Strauch abzuernten, als sie gen Himmel blickte. Die Sonne stand im Zenit und die junge Frau suchte sich einen schattigen Platz bei einem der größeren Büsche für ihre Pause.
Sie griff nach ihrem Bündel und zog einen verbeulten Gegenstand hervor, der matt glänzte. An einigen Stellen waren Kratzer zu sehen und der Schraubverschluss war nicht mehr ganz dicht. Erneut wischte sie sich mit ihrem Arm über die Stirn. Dann öffnete sie den Verschluss, hob das Gefäß an ihre Lippen und nahm einen großen Schluck. Das Wasser war zwar, auf Grund der Sonneneinstrahlung, sehr warm, aber warmes Wasser war besser als nichts.
Lilith saß einige Zeit im spärlichen Schatten des Dornbusches, als etwas auf der anderen Seite des Flussbettes ihr Interesse erregte. Sie konnte zuerst nicht erkennen, was sich da befand. Nach kurzem Zögern entschied sie sich schließlich dafür nachzusehen. Nachdem sie die Trinkflasche wieder verstaut und ihr Bündel geschnürt hatte, erhob sie sich und lief zu der Stelle, an der das Ding lag.
Der heiße Sand brannte unter ihren nackten Füßen, aber das störte sie momentan nicht. Ihr war es wichtiger herauszufinden, was das war, das sie gesehen hatte.
Im ausgetrockneten Flussbett lag doch tatsächlich...
Ein Mensch! Lilith war erstaunt. Sie konnte es nicht fassen. Bis jetzt dachte sie, Adam und sie seien die letzten Überlebenden aus dem Geschlecht der Menschen. Sie ging ein Stückchen näher hinan. Zu ihrer großen Überraschung stellte sie fest, das der Mensch, der da im heißen Sand lag, eine Frau war.
Seit dem Tod ihrer Mutter hatte Lilith keine andere Frau mehr gesehen. Diese hier war groß und schlank, genau wie Adam. Das krasse Gegenteil zu ihr. Die langen blonden Haare klebten vom Schweiß durchnässt an ihrem Körper. Sie trug nichts weiter, als ein dünnes, knielanges Kleid aus zerrissenem Naturleinen.
Neugierig ging Lilith näher. Ob sie schon tot war? Zaghaft berührte sie die Haut der Fremden. Sie fühlte sich sehr weich an. Viel weicher als ihre.
Die fremde Frau bewegte ihre Finger. Ganz kurz nur, aber es genügte, um Lilith zu zeigen, dass noch Leben in ihr wohnte. Rasch drehte Lilith die blonde Frau auf den Rücken, kramte ihre Flasche hervor und öffnete sie. Dann hob sie ihren Kopf an und setzte die Flasche vorsichtig an die Lippen der Fremden.
„Trink, aber langsam.“
Die blonde Frau hustete.
„Danke.“ Ihre Stimme war kratzig, nicht mehr als ein leises Röcheln.
Sie versuchte sich aufzusetzen.
„Warte, ich helfe Dir.“
Mit Liliths Hilfe gelang es ihr sich schließlich aufzurichten.
„Kann... kann ich noch einen Schluck haben?“ Ihre blauen Augen blickten Lilith flehend an.
Diese nickte nur und gab ihr die Flasche, worauf sie einen großen Schluck nahm.
„Ich danke Dir. Ich habe schon seit Tagen nichts mehr getrunken.“ Das feingeschnittene Gesicht entspannte sich etwas. Und der schöne volle Mund lächelte.
‚Es ist genau wie damals’, dachte Lilith. Laut sagte sie: „Hast Du Hunger?“
Die andere Frau nickte. Lilith öffnete ihr Bündel und holte einen verschrumpelten Apfel hervor, den sie mit ihrem Messer teilte. Dann gab sie ihr eine Hälfte davon.
„Ich bin Lilith“, sagte sie nach dem die Fremde aufgegessen