Licht und Schatten
Die Welt hinter dem Spiegel
„Mmmmmmh……, wo… bin ich?“
Jin hob die Hand vor ihr Gesicht, um ihre Augen vor dem grell blendenden Sonnenlicht zu schützen. Als sie sich an das helle Licht gewöhnt hatten, stand das Mädchen auf und betrachtete die Gegend, in der sie sich befand. Sie konnte nichts genaueres entdecken, da hohes Getreide um sie herum wuchs und ihr die Sicht versperrte.
Wie bin ich denn hierher gelangt? Ich war doch gerade noch in meinem Haus auf dem Dachboden!
Da Jin nur das Getreide vor sich sehen konnte, machte sie sich auf den Weg, einen Ausweg aus dem, wie sich herausstellen sollte, riesigen Getreidefeld zu finden. Da sie nicht wusste, in welche Richtung sie gehen sollte, ging sie einfach der Nase nach – irgendwann würde sie schon aus dem Feld herausfinden!
Nach einer Weile hatte Jin es dann auch endlich geschafft! Sie war aus dem Feld heraußen und hatte nun eine riesige Hochebene vor sich. Sie schaute zum Himmel empor, streckte sich erst einmal und atmete tief durch, um die Weite des Gebietes zu genießen.
Nachdem sie das Glücksgefühl, das sich in ihr ausgebreitet hatte, vollends genossen hatte, schaute sich Jin genauer um: Sie befand sich auf einer weiten Hochebene, worüber sich immer wieder große Felder erstreckten, welche sich mit weit gezogenen Wälder und wunderschönen im sonnenlicht glänzenden Seen und Flüssen abwechselten. Von den Gewässern gingen immer wieder verschiedene, kompliziert aussehende, Bewässerungsanlagen weg, die ihnen das nötige Wasser spendeten. Als Jin ihren Blick weiter schweifen ließ, entdeckte sie am Horizont eine große Mauer, die wohl das ganze Gebiet umschließen musste, da kein Ende zu erkennen war.
Nachdem sie sich einige Schritte von den Feldern hinter sich entfernt hatte, drehte sich Jin um, um sich nun auch auf der anderen Seite umschauen zu können. Was sie da erblickte, ließ ihr den Atem stocken: Hinter den Getreidefeldern befand sich ein großes Schloss, dass weiß in der Sonne schimmerte und das Licht der Sonne noch heller reflektierte. Es war größer und prachtvoller, als alle Schlösser, die sie je gesehen hatte. Jedes einzelne Detail war genauestens ausgearbeitet worden!
Das Schloss bestand aus einem Material, das Jin nicht bekannt war. Es glich dem Perlmut von Muscheln, jedoch war es noch heller und glänzender als dieses.
In dem Schloss wohnen bestimmt Leute! Vielleicht können die mir sagen, wo ich bin und wie ich hierher gelangen konnte!
Jin sah sich um und entdeckte einen Weg, der zwischen den Feldern zum Schloss führte. Langsamen Schrittes ging sie den Weg entlang zum Schloss und schaute sich genau um, noch immer überwältigt von der Schönheit der Gegend in der sie sich befand.
Als sie wieder Aufblickte sah sie einen Gestalt auf sie zukommen. Das helle Sonnenlicht verhinderte aber, dass sie die Statur und das Gesicht genau erkennen konnte.
Der kann mir bestimmt verraten, wo ich hier bin und vielleicht auch weiterhelfen, wie ich wieder nach Hause kommen kann!
Frohen Mutes ging Jin auf die Gestalt zu. Sie erschrak, als sie merkte, dass das, was da auf sie zukam kein Mensch war! Es hatte zwar den Oberkörper eines Menschen, aber der Rest glich eher einem Pferd oder einem Bullen!
Als Dosha das Mädchen bemerkte, griff er sofort nach seinem Speer, welchen er immer bei sich trug, da man nie wissen konnte, was auf einen zukommen würde, vor allem nicht in diesen gefährlichen Zeiten, in denen sie sich gerade befanden. Die Prinzessin hatte die Krieger und ihre Gefährten darauf aufmerksam gemacht, niemandem zu vertrauen und sie gebeten, falls sie jemanden begegnen sollten, ihn sofort zu ihr zu bringen, damit sie überprüfen konnte, ob diese Person Freund oder Feind sei.
Nun, da er das Mädchen erblickt hatte, explodierten in ihm die verschiedensten Gefühle. Wer ist sie? Könnte sie eine Gefahr für uns darstellen!? Wie ist sie überhaupt in das geschützte Gebiet der Prinzessin gekommen! Hier kommt niemand so einfach herein, vor allem nicht, da das Gebiet durch eine magische Mauer geschützt wird! Das kann doch nur heißen, dass dieses Mädchen eine starke Magierin sein muss, die alle Schutzzauber umgehen konnte!? Sie sieht aber so schwach aus! Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie auch nur ein klein bisschen Magie in sich trägt!
Er stockte in seinen Gedanken, um die Worte der Prinzessin zu verinnerlichen: Jedes Wesen, auch wenn es schwach aussieht, kann gefährlich für uns werden! Es ist unmöglich vom Aussehen eines Wesens auf seine Kraft zu schließen. Geht jeden kleinen Verdacht nach, um für die Sicherheit in Gen zu sorgen!
Er hielt inne und musterte das Mädchen, welches nun direkt vor ihm stand, genauer. Ihre langen dunkelbraunen, schon fast ins schwarz gehenden Haare, reichten ihr bis kurz unter die Schultern. Das Mädchen starrte ihn erschrocken und verwirrt an, aber nicht wie jemand, der gerade bei etwas unerlaubten ertappt wurde, sondern wie jemand, der nicht wusste, was geschehen war. Der fragende und verwirrte Ausdruck in ihrem Gesicht, verdeckte aber nicht ihre sanften Züge. Die wunderschön strahlenden blauen Augen, welche schienen, als könnten sie sein Innerstes ganz genau wahrnehmen und darin alles lesen, machten den Zentaur unsicher. War sie wirklich ein Feind der Prinzessin? Er konnte es sich nicht vorstellen.
Nach kurzem stocken ließ Dosha seinen Blick zu den fremdartigen, ihm unbekannten Kleidern schweifen. Wo stellt man solche Kleidungsstücke her? Ich habe so etwas noch nie gesehen!
Er ließ seinen Blick noch einmal über das unbekannte Mädchen schweifen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie eine Gefahr für uns darstellen wird! Aber ich werde mich versichern, dass es auch so ist, damit ich uns nicht unnötig in Gefahr bringe!
In einem sanften und ruhigen Ton stellte er seine Fragen: „Wer bist du und wie bist du hierher gekommen!“
Das Mädchen vor ihm machte keine Anstallten ihm eine Antwort zu geben. Sie starrte ihn nur weiterhin mit ihren durchdringenden blauen Augen an, aber diesmal schwenkte eine spur von Angst mit.
Sie hat Angst!?
Er sprach nun in einem beruhigenden Ton weiter, wählte seine Worte aber mit bedacht, um das Mädchen nicht noch mehr zu verschrecken: „Hör mir zu! Ich möchte dir nichts böses! Wie du sicher weißt, leben wir in schwierigen gefährlichen Zeiten, und ich muss mich versichern, ob du uns wohlgesonnen bist oder nicht!“
Das Mädchen wich einen Schritt zurück. Anscheinend wusste sie nicht, wie sie auf den Zentaur reagieren sollte.
„Ich versichere dir, dass du nichts von mir befürchten musst! Ich werde dir nichts tun! Ich möchte nur die Wahrheit herausfinden!“
Das Mädchen schien nun noch verwirrter als zuvor, aber sie hob den Kopf und sagte etwas, was Dosha nicht verstehen konnte.
Die Hoffnung, die in Jin entflammt war, als sie das Wesen auf sie zukommen sah, verlosch abrupt wieder, als der Zentaur – es konnte nur ein Zentaur sein; wie sehr sie sich auch gegen diese Erkenntnis strebte, es konnte nur so ein Wesen sein, von denen sie in Fabelbüchern gelesen hatte, die doch eigentlich in Wirklichkeit gar nicht existieren durften - zu reden begann. Sie konnte kein Wort von dem verstehen, was er ihr zu sagen versuchte. Aber sie konnte durch den Tonfall des Zentauren schließen, dass er ihr nichts böses wollte.
Als Jin den Speer in der Hand des Zentauren erblickte, war sie einen Schritt zurückgewichen. Daraufhin wollte sie eigentlich nur weg von dem unbekannten Wesen, aber sie hatte den Drang unterdrückt, weil sie verhindern wollte, dass der Zentaur ihr nachgaloppierte und sie mit dem Speer angriff. Danach hatte sie sich auf die unverständlichen Worte des Zentaur konzentriert, musste aber mit bedauern feststellen, dass sie außerstande war, sie zu verstehen.
Ich weiß weder wo ich bin, noch wie ich hierher gelangen konnte! Und dann ist da noch dieser Zentaur, den ich nicht verstehen kann. Ich hatte doch gehofft, dass er mir helfen könnte wieder nach Hause zu kommen! Was soll ich nur tun!?
Zögernd, in der Hoffnung, dass der Zentaur vielleicht ihre Sprache verstehen konnte, begann sie zu sprechen: „Ich… ich weiß nicht wie ich hierher gelangt bin! Das alles hier ist mir unbekannt, und ich habe so ein Gebiet auch noch nie gesehen! Wo sind wir hier überhaupt?“
Sie schaute den Zentaur an, der ihren Blick zwar erwiderte, aber nicht reagierte. Nach einer kurzen Pause schloss er seine Augen und legte sein Gesicht in Falten – er musste sich wohl sehr stark konzentrieren.
Verwirrt über die komische Reaktion des Zentaur, schluckte sie den nächsten Satz, der ihr auf der Zunge brannte, hinunter.
Jin seufzte. Anscheinend kann er mich doch nicht verstehen! Ihre letzte Hoffnung erstarb.
Dosha war nur kurz verwirrt gewesen, als er das Mädchen in einer fremden Sprache etwas sagen hörte. Eigentlich sollte es ihm die Magie, die überall in der Welt existierte, ermöglichen, jegliche Sprache dieser Welt zu verstehen, aber anscheinend war es hier anders! Er würde das Mädchen nicht verstehen können, aber er wusste jemanden, der es konnte: Die Prinzessin! Kein anderer, außer vielleicht vereinzelte der hiesigen Magiern, war in der Lage über eine größere Entfernung in einen Geist einzudringen und mit einer Person zu sprechen. Da er aber den Magiern kein großes Vertrauen schenkte, konzentrierte er sich auf die Prinzessin, um sie auf sich aufmerksam zu machen.
Er war kein Magier, aber er wusste, wie man mit einem anderen Geist Kontakt aufnehmen konnte. Da es aber schon lang her war, dass er das letzte Mal so etwas gemacht hatte, musste er sich sehr stark konzentrieren um überhaupt die Magie in sich zu finden und zu aktivieren. Als er sie endlich gefunden hatte, konzentrierte er sich auf die Prinzessin, die er erreichen wollte. Es dauerte eine Weile bis er es geschafft hatte. Der Geist der Prinzessin drang nun in seine Gedanken