Schwarz und Weiß
geben.
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Stolz und stark reckte der Baum seine Krone in den dunklen, nächtlichen Regenhimmel. Es schien, als kümmere ihn das Gewitter nicht, der Baum war mächtig und strotzte den schweren Tränen des Himmels.
Kagome stoppte in ihrem Lauf und sah sich um. Die gelegentlichen Blitze gaben ihr Licht, doch finden konnte sie niemanden. War das alles nur eine Täuschung gewesen? Alles nur eine Illusion? Aber wenn ja, woher wann dann jene Stimme in ihrem Kopf gekommen?
„Von mir. Nur weil Ihr mich nicht seht, heißt das nicht, dass ich nicht da bin, Kagome-sama.“
Sie zuckte zusammen. „Wo… wo bist du?“, fragte sie leise.
„Hier. Hinter dem Baum. Kommt her, hier regnet es nicht ganz so sehr. Oder mögt Ihr die Wäsche?“
Kagome schnaubte leise und stapfte auf die Rückseite des Baumes zu. Er hatte Recht gehabt. Hier regnete es nicht ganz so sehr. Kagome richtete den Blick gen Boden und sah ihn dort sitzen, zwischen den Wurzeln und in die Ferne starrend. „Bitte, setzt Euch doch, heilige Kagome-sama“, sagte er leise, ohne den Blick zu wenden.
Einige Sekunden noch sah sie ihn an, dann ließ sie sich auf die Erde sinken. „Bist… bist du Inuyasha?“, fragte sie vorsichtig. Sie sah ihn eindringlich an.
„Ja.“
Kagome konnte kaum glauben, dass der Teufel sich so einen… ja, gar unschuldig wirkenden Körper ausgesucht hatte. Diente das alles der Verwirrung? Oder hatte Satan keinen Einfluss darauf gehabt?
„Ich will Antworten, Inuyasha. Ich will alles hören, was dich und mich betrifft.“
Jetzt endlich wandte er den Kopf zu ihr.
„Aus keinem anderen Grund sind wir hier, Kagome-sama.“
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„Wie konnte es sein, dass ich deine Stimme in meinem Kopf hören konnte?“
Ihre braunen Augen ruhten auf dem jungen Mann neben sich. Er wiederum hatte den Kopf wieder der Ferne zugewandt und starrte ins Leere.
„Weil wir beide je eine Seite der Medaille sind.“
Es war nicht mehr gewesen, als ein Hauch, nur ein Wispern, das schon wieder vom Wind davongetragen wurde, bevor es real wurde.
„Wie meinst du das? Je eine Seite der Medaille?“
Kagome legte den Kopf schief und blinzelte den jungen Mann neben sich an. Warum in Gottes Namen sprach er nur so seltsam, so wirr? Konnte er nicht einfach klipp und klar den Grund nennen?
„Schon mal etwas vom Prinzip des Yin und Yang gehört, verehrte Kagome-sama? Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, das alles gehört zusammen. Und so auch Gott und Satan. Und wir beide, Kagome-sama, verkörpern Gott und Teufel. Wir… wir gehören zusammen. Ohne einander können wir nicht existieren. Wenn Ihr sterbt oder ich endlich den Tod finde, und nicht sofort wieder eine Heilige oder ein Teufel geboren wird, dann gerät die Welt aus dem Gleichgewicht. Ihr müsst Euch das wie eine Waage vorstellen, heilige Kagome-sama. Nehmt Ihr von der einen Seite etwas, kippt die Waage. Nehmt Ihr auch von der anderen Seite etwas, dann kommt sie wieder ins Gleichgewicht.
Je heller der Tag ist, Kagome-sama, desto dunkler ist die Nacht. Entweder wird jemand neues geboren, der Eure Stelle einnimmt, wenn Ihr sterbt, oder ich vergehe mit Euch. Was würde aus der Welt, in der nur das Licht regiert? Man dürfte nicht sterben, denn das gehört zum Teufel. Umgekehrt würden unter Satans Herrschaft keine Kinder mehr geboren werden. Gott und Teufel müssen gemeinsam über diese Erde regieren, sonst geht sie zugrunde. Ich hoffe, Ihr habt mich verstanden?“
Kagome hatte den Blick hoch gewandt, durch die Blätter hindurch auf den dunklen Regenhimmel der Nacht. „Das erklärt meine Frage nicht.“
Sie hörte, wie Inuyasha einen undefinierbaren Laut ausstieß, der zur Freude gehörte.
„Ihr könnt das gleiche bei mir tun. Doch mich wird es nicht erschrecken, Kagome-sama. Ihr hättet Euer Gesicht sehen sollen.
Versucht es. Sprecht mit mir. In Euren Gedanken. Versucht es, es ist nicht schwer.“
Er nickte ihr aufmunternd zu. „Denkt an mein Gesicht und an das, was Ihr mir sagen wollt.“
Die Miko schloss die Augen und rief sich Inuyashas Gesicht aus ihrem Geist hervor. Zaghaft dachte sie einige Worte:
« Ha... hallo? Hörst du mich? Oh Gott, hoffentlich blamiere ich mich nicht! »
« Ich höre Euch, keine Angst. Ihr müsst versuchen, Eure eigenen Gedanken von dem zu trennen, was Ihr mir sagen wollt. Versucht es noch einmal. »
« Ich denke nur an das, was ich ihm sagen will, ich denke nur an das, was ich ihm sagen will... hörst du mich? »
« Schlecht. Ich meine, ich höre Euch gut. Aber auch das, was Ihr nicht sagen wolltet… vielleicht braucht Ihr nur Übung. Versucht es immer wieder, aber immer nur mit mir. Es geht auch bei anderen, doch diese würden sich nur erschrecken. Ich bin darauf gefasst. Hört Ihr? Übt das, aber nur mit mir. Versprecht mir das. »
« Dir, einem Teufel? Wer weiß, ob du nicht in meinen Gedanken rumschnüffelst! »
„Wenn ich das wollte, hätte ich es jederzeit schon tun können, ohne dass Ihr es gemerkt hättet.“ Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Seine goldenen Augen ruhten auf ihr.
„Wirklich?“
„Ja. Ihr habt mich erst bemerkt, als ich zu Euch sprach. Ich hätte in Eurem Kopf… „herumschnüffeln“ können, wie Ihr es nennt, ohne, dass Ihr etwas davon gewusst hättet.“
„Kann ich das auch?“
„Das liegt bei Euch, Kagome-sama. Ich verstecke meine Gedanken gut… doch vielleicht seid Ihr in der Lage, hinter diese Mauer zu sehen. Probiert es einfach bei jemandem, ohne mit ihm zu sprechen. Erst mit Kindern, dann mit Erwachsenen.“
Kagome nickte, und Inuyasha wandte den Kopf wieder der Ferne zu.
„Siehst du gern in die Ferne?“
Inuyasha schwieg. Lange, sehr lange. Leise prasselte der Regen auf die weiche Erde, und weichte sie auf. Die Sterne waren verdeckt und auch dem Mond wurde keine Chance gelassen, das Dorf in sein schwaches Licht zu tauchen. Nur die Blitze ließen die Welt erhellen und ein Donner erschütterte das Leben.
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„Ich würde gerne ans Meer gehen“, sagte er irgendwann leise.
„Warum tust du’s nicht?“
Inuyasha sah Kagome an.
„Ich kann nicht“, war seine schlichte Antwort.
Kagome seufzte. Männer schienen wirklich kompliziert…
„Würdet Ihr mitkommen?“
Nun verstand Kagome gar nichts mehr. Warum sollte sie mitkommen?
„Warum gehst du nicht allein?“
Inuyasha richtete den Blick wieder nach vorn. Das war wieder eine der Fragen, die er erwartet hatte. Kagome-sama war so… naiv, unwissend. Aber… wenigstens konnte sie es. Fragen. Er hatte all das allein erfahren müssen. Er wusste noch, wie sich dieser Schmerz anfühlte. Eine Heilige sollte das nicht fühlen.
„Das… das geht nicht. Wisst Ihr… Ihr und ich sind verbunden. Einer von uns kann nicht einfach an das andere Ende der Welt gehen. Es… es würde wehtun, uns beiden. Wisst Ihr, einst ging ich fort, fort von dem damaligen Engel, und es schmerzte. Es schmerzte sehr. Ich weiß nicht, was mein Gegenpart fühlte, doch ich bekam mit, dass sie bald nach meiner Abreise verstorben war. Ich… ich konnte nicht in Erfahrung bringen, weshalb. Und ich hoffe, dass es nicht wegen der Distanz zwischen uns war. Ich kannte diese Frau nicht, und habe sie immer nur aus der Ferne gesehen. Und… jetzt will ich es besser machen, um uns beiden diesen Schmerz zu ersparen.“
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Kagome hatte inzwischen ihre Knie umarmt und tat es dem anderen gleich, in die Ferne zu starren. Sie wusste nicht, was sie sagen oder gar tun sollte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie unwissend sie über ihr Schicksal gewesen war. Sie war nichts weiter als ein Ersatz für ihren Vorgänger und würde sie sterben, käme jemand anders, um ihre Nachfolge anzutreten. Inuyasha war so alt, so alt… so alt würde sie sicher nie werden können. 666 Jahre… das war eine beachtliche Zahl, der sie mit ihren zarten fünfzehn Jahren nicht beikommen konnte. Doch, recht bedacht… wollte sie das überhaupt?
„Bist du unsterblich, Inuyasha?“
„Das weiß allein der Teufel. Ich bin zu alt für einen Menschen, doch zu jung, um als Knecht der Hölle zu gelten. Wenn ich sterbe, werde ich kein Mensch sein – und auch kein Dämon. Ich werde gar nichts sein, wie ich es immer schon war. Jemand, der nicht sterben kann, ganz gleich, was ihm passiert… er ist weder Gott noch Satan. Und auch kein Dämon. Was soll so jemand schon sein?
Ihr, Kagome-sama, werdet ein Engel sein, wenn Ihr sterbt. Ihr werdet ins Paradies zu Gott gehen.“
„Sag mir, wie alt wurde mein Vorgänger? Und wie alt der deine?“
„Euer Vorgänger? Ich weiß es nicht mehr so genau, doch at wurde sie sicher nicht. Vielleicht etwas zwischen hundert und zweihundert Jahren.
Mein Vorfahr? Das weiß ich nicht. Vielleicht älter als ich, vielleicht aber auch jünger als ich. Wer weiß das schon… ich wurde schließlich erst an seinem Tode geboren. Und fragen kann ich auch niemanden… höchstens Satan, aber das mache ich besser nicht.“
Kagome sah ihn verwundert an. Mit dem Teufel…?
„Du redest mit dem Teufel?“
Inuyasha lachte. Nicht laut, eher zum leisen hingeneigt, doch er lachte. „Indirekt. Er sagt mir, was ich tun soll. Tut Gott das bei Euch nicht auch? Gewiss, Ihr könnt keine Worte hören, die höre ich auch nicht. Aber habt Ihr nicht manchmal den Impuls, etwas Bestimmtes zu tun? Das ist Gottes Wille.“
Kagome sah ihn an. Er wusste viel. So viel… wer hatte ihm das alles beigebracht? Er hatte gesagt, er hatte ihre Vorgängerin nicht gekannt. Und seinen logischerweise auch nicht. War ihm das Wissen vom Himmel in die Arme gefallen? Sie versuchte, sich das bildlich vorzustellen und kicherte dabei etwas.
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Der Wind wehte leise, der Regen fiel immer noch kalt vom Himmel. Einige Blätter lösten sich widerstrebend von ihren Zweigen, um vom Wind weggetragen zu werden. Die dichten Wolken gaben kaum eine