Schwarz und Weiß
Weise.
Inuyasha war durch die Gassen geschlendert, triefend nass. Er hatte sich grade gesagt, dass er morgen wohl eine Erkältung haben würde, als ihm plötzlich heiß und kalt zugleich wurde.
„Inuyasha.“
Der Junge hatte innegehalten. Er hatte sich nicht bewegen können, nicht ein einziger Muskel hatte ihm gehorcht. Und auch etwas erwidern, das hatte er nicht gekonnt. Inuyasha hatte nur dastehen können und mit aufgerissenen Augen nach vorne starren können.
„Ich bin Satan.“
Seltsamerweise hatte ihn das weder überrascht, noch geschockt. Auf eine Art und Weise hatte er das schon geahnt… doch noch immer unterlag es ihm, zu antworten, etwas zu sagen. So also hatte er weiter schweigen müssen.
„Weißt du, was ich hier tue? Weißt du, was ich von dir will? Dreh dich um, Knabe. Ich will dich ansehen.“
Und endlich, endlich tat der nasse und kalte Körper Inuyashas wieder das, was er wollte. Langsam drehte er sich leicht um. „Nein, ich weiß es nicht. Aber da du schon so fragst, wirst du es mir sicher verraten, hm?“ Inuyasha war ein höflicher Mensch, doch er konnte nicht „Ihr“ zu Satan sagen. Es… es ging einfach nicht. Zum Teufel sagte man Du. Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz.
„Ganz recht. Inuyasha, du wirst mein Repräsentant sein. Du wirst die Hölle auf Erden verkünden. Schon viele taten es vor dir, seit die Erde sich dreht. Und ihr werdet an meiner Seite sein, wenn ich durch das Höllenhorn zur letzten Schlacht rufe.“
Inuyasha schwieg. Satan hatte keinen sichtbaren Körper, da war nur seine finstre Aura. „Du redest von Ragnarök? Und überhaupt: Warum sollte ich dein Diener werden? Du hast kein Recht, über mich zu bestimmen. Das erhältst du erst nach meinem Tod.“
„Eine gute Frage, wahrlich. Auf den Kopf gefallen bist du ja nun wirklich nicht. Das ist gut, Kleiner. Zu deiner kleinen Frage: Es wird festgelegt, weder ich noch du noch irgendein anderer kann das bestimmen. Stirbt der Vorgänger, wird der Nachfolger der, der an diesem Datum geboren wird. Frage mich nicht, wer das bestimmt hat, es ist einfach so. Du hast keine große Wahl, mein Junge. Es ist nichts Großes, was du tun musst. Einfach nur das, was ich dir sage. Ich werde keine Massaker von dir verlangen. Nur, dass du ab und zu ein paar Menschen vom rechten Weg abbringst. Es wird nicht schwer. Vertrau mir.“
Er wusste den Grund nicht mehr, doch er war herumgefahren, um Satan zu sehen.
Die Straße hinter ihm war leer gewesen. ---
Und doch wusste Inuyasha, dass das nie ein Traum gewesen war. Denn seit jenem Tag konnte er nicht mehr sterben. Ganz gleich, wie lange er nichts mehr gegessen hatte oder wie schlimm er verletzt war. Am nächsten Tag war alles wieder beim alten gewesen. Irgendwann hatte er diese Fähigkeit verflucht. Er sah Leute auf die Welt kommen, leben, altern, sterben. Doch Satan hatte auf seine Bitte, ihn endlich sterben zu lassen, nicht gehört, sofern er sie überhaupt wahrgenommen hatte.
Wann würde er endlich seine ersehnte Erlösung finden?
~~~~~~~~~~~~
„Komm zu mir, Kagome“, befahl Gott nun eindringlicher. Der Diener Satans erinnerte ihn an die Schlange im Paradies, die Eva verführt hatte. Wenn er die Schlange war, und Kagome Eva, wer war dann Adam?
„Sie wird es nicht tun“, bemerkte der Teufel nüchtern. Es behagte ihm, zu sehen, dass sein Diener eine Heilige verführt hatte. Inuyasha war schon von Anfang an klug gewesen. Sicher war er ein Holzkopf, und impulsiv, doch auch klug. Dies war einer der Grund gewesen, die Satan dazu verlockt hatten, Inuyasha Unsterblichkeit zu verleihen. Und der Hohlkopf hatte sie loswerden wollen! Menschen wollten immer die ewige Jugend. Und kaum hatten sie sie, da fingen sie schon an zu meckern. Huh! Die wussten auch nicht, was sie wollten.
„Ich lasse keine zweite Schlange zu. Nicht einmal hier auf der Erde“, grollte Gott. Satan bemerkte die Wut des Schöpfers. Oho, der konnte sauer werden? Das war ja mal ganz was Neues. „Ohne die Schlange würde die Erde nicht existieren. Du hättest Adam und Eva nie verbannt.“ Doch Gott nahm Satans Worte nicht einmal wahr. Er würde es nicht zulassen, Eva erneut zu verlieren!
~~~~~~~~~~
Kagome spürte die Wut des Herrschers, doch das war nicht wichtig. Inuyasha, Inuyasha! Warum wachte er nicht auf? Er musste… die Frau… Die Miko spürte Tränen ihre Wangen herunter laufen. Wie konnte es sein, dass Inuyasha so an ihr Herz gewachsen war? Nur, weil er sie normal behandelte? Nein, es musste noch mehr sein. Noch nie hatte sie geweint. Was hatte er mit ihr gemacht? Was hatte sich bei ihr geändert? „Inuyasha“, wisperte sie. „Inuyasha.“
~~~~~~~~~~
Noch hielt Gott sich zurück. Er sah schon längst nicht mehr, dass er nicht im Paradies war, vor so vielen Jahren. Er sah nur Eva und die Schlange, wie sie die naive Frau verführte. Niemals würde er so etwas noch einmal zulassen! Menschen, sie hatten nichts dazugelernt. Sie hatten Zeit gehabt, und solange war alles gut gewesen. Und nun? Nun ging der ganze Zauber von vorne los.
Nun spürte der Teufel doch so etwas wie Unbehagen. Gott und wütend? Hatte es nicht gereicht, dass er die Erde schon mal überschwemmt hatte? Dadurch hatte er ewig lange Zeit keine neuen Bewohner bekommen. Immer wieder wanderte des Teufels Blick auf die Miko und seinen Knecht. Inuyasha und Kagome hatten wahr gesprochen: Da war eine Verbindung zwischen ihnen, die vorher weder jemand erkannt, noch wahrhaben wollte. Beinahe so etwas wie Stolz stieg in Satan auf. Er fragte sich, welches Wissen sich noch in Inuyashas Kopf staute. Alles, was der Bengel wusste, hatte er sich selbst beigebracht. Unter Schmerzen, unter Tränen. Doch das war dem Teufel egal gewesen. Sterben konnte der Junge ja schließlich nicht.
In diesem Moment fällte Gott in seiner blinden Wut eine Entscheidung. Er würde die Schlange auslöschen, bevor sie Eva vollkommen verführt hatte. Entschlossen trat er in Satans schwarze Aura. Diese wich vor ihm zurück, um sich längs weiter auszudehnen. Auch der Schöpfer hatte nicht die Kraft, die Aura des Herrn der Hölle zu reinigen. Denn so würde er sich unweigerlich selbst mit den Untergang schicken.
~~~~~~~~~~
Die Heilige spürte Gottes Nahen. Und sie ahnte, was er vorhatte. NEIN! Das konnte sie nicht zulassen! Inuyasha, Inuyasha! Ihr Herz schlug schnell, ihre Aura bildete wie einen Schutzwall einen Ring um die Aura Inuyashas. Gott durfte ihm nichts tun, ER DURFTE NICHT!
„Geh weg da. Ich werde die Schlange ein für alle Mal auslöschen!“
Dann schien alles gleichzeitig zu passieren.
Gott wollte sich auf den Bewusstlosen stürzen, Satan stürmte heran und Kagome kreischte ein lautes „NEIN!!“
Gott schaffte es nicht, die Schlange zu berühren, stattdessen erwischte er die erlöschende Aura der Frau, die dadurch wieder aufflammte. Zu ihrem eigenen Glück aber nicht so weit, dass sie aufwachte, denn sie wäre sicher sofort wieder in Ohnmacht gefallen. Der Allmächtige fluchte leicht, denn eigentlich hatte er die Schlange berühren und somit reinigen und auslöschen wollen.
Satan eilte zu der Miko und seinem Diener und natürlich zu Gott. Dieser Idiot! Er war blind. Er konnte diese Sache im Paradies nicht vergessen. Warum sah der Schöpfer nur das Schlechte darin? Ohne die Schlange würden die Menschen immer noch im Paradies leben, und die Erde gäbe es nicht. Warum erkannte dieser alte Guru das nicht? Es war doch so offensichtlich! Versteh einer die Götter.
Satan bekam Gott nicht wirklich zu fassen, doch wenigstens lenkte er ihn von seinem Diener ab. Eine Berührung von Gottes Hand und Inuyasha wäre Geschichte, ganz gleich, ob er nun unsterblich war oder nicht.
„NEIN!!“, kreischte Kagome und warf sich schützend über den bewusstlosen Mann. Allerdings vermied sie direkten Körper- bzw. Aurakontakt. Hauptsache war, dass Gott Inuyasha nichts antat! Er hatte eine wichtige Rolle in ihrer Welt. Eine sehr wichtige. Niemand würde diese Stelle ersetzen können!
Sie wusste nicht, wieso, aber Gottes Hand zischte über Inuyasha hinweg und traf die schon fast tote Frau. Ihre Aura flammte dadurch wieder etwas auf und Kagome konnte die schwachen Atemzüge von ihr hören. Vielleicht war sie jetzt gerettet, aber in Sicherheit noch lange nicht.
~~~~~~~~~~~~
„Gott, du alter, armer Narr.“ Der starrte Satan energisch an. „Was?“, zischte er. „Beruhige dich. Inuyasha ist keine Schlange und Kagome nicht Eva. Außerdem fehlt hier Adam. Sieh es ein! Ohne meine Schlange hättest du Adam und Eva nie verbannt, und diese Welt hier würde nicht existieren! Ich werde dir nicht erlauben, Inuyasha zu töten. Allein ich darf das entscheiden. Du hast genauso wenig Recht auf Inuyashas Leben wie ich auf das Kagomes. Fall nicht aus. Besinn dich. Du bist Gott. Durch den Regenbogen hast du geschworen, die Menschen nie wieder auszulöschen. Aber wenn du Inuyasha tötest, und Kagome nicht mit ihm stirbt, dann zerbricht diese Welt. Vergiss das nicht, Gott!“
Satan kam sich lächerlich vor. Ausgerechnet er musste Gott eine Predigt halten! Eindeutig war da was falsch geworden. Ja: Gottes Sicherungen waren durchgeschmort.
Langsam wagte Kagome es, den Blick zu heben. Gottes und Satans Aura bewegten sich nicht. Satan war ihr relativ schnuppe, wichtig war nur, dass Gott keinen neuen Versuch startete, Inuyasha auszulöschen. Die Miko erlaubte es sich, leicht auszuatmen. Vielleicht würde sie Glück haben und Satan könnte Gott hinhalten. Zumindest setzte der Herr der Hölle zu einer Predigt an. Satan und Predigt? Wie konnte das in einem Satz auftauchen?
Die Miko beschloss, darüber nicht weiter nachzudenken und wandte sich Inuyasha zu. Sie konnte ihn zwar nicht sehen, dafür aber sehr viel deutlicher fühlen. Und Kagome wusste, dass er immer noch bewusstlos war. Das machte ihr Angst. Warum war er immer noch besinnungslos? Wieso erwachte er nicht endlich, sprach wieder mit ihr? Sie vermisste es, wie er ihren Namen betonte.