Fanfic: Frag nicht nach dem Warum

weinen sehen. Nicht, als wir noch Kinder waren und er sich das Knie aufschlug und auch nicht, als sein über alles geliebter Hund gestorben war. Sei weinte nicht. Sei weinte nie.
Dass er es jetzt doch tat, konnte man vielleicht als Grund dafür herziehen, was ich als nächstes machte: ich zog ihn in meine Arme. Es war keine Ich-liebe-dich-so-sehr-dass-ich-dich-nie-wieder-loslasse-Umarmung sondern ein Wir-werden-das-schon-schaffen-Drücken. Zuerst stand er einfach nur da und regte sich nicht. Wahrscheinlich war er viel zu geschockt, denn wir hatten uns noch nie umarmt. Ich meine, so kleine Kumpel-Drücker gabs schon hin und wieder, aber nicht so intensiv. Doch plötzlich legte er seine Arme um mich, ja, krallte sich regelrecht in mein T-Shirt. Ich spürte, wie mein Shirt dort, wo Sei seinen Kopf angeschmiegt hatte, nass wurde, aber das war mir egal. Sei zitterte am ganzen Körper, doch er gab keinen Ton von sich. Es schien, als würde er sich immer fester an mich klammern, also tat ich das selbe. Vielleicht brauchte er im Moment einfach das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so nebeneinander gestanden waren, als uns plötzlich immer lauter werdende Stimmen auseinander fahren ließen. Die Sportstunde war anscheinend zu Ende! Schnell ging jeder zu seinem Platz und begann, sich umzuziehen, als auch schon die Tür aufging und unsere Klassenkameraden hereinspazierten. Das fröhliche Lachen verstummte, als sie uns sahen. Um die plötzliche Stille zu durchbrechen, fragte ich: „Na, wie ist das Spiel ausgegangen?“ Meine Stimme hörte sich ungewöhnlich hoch an und zitterte auch ein bisschen. Ich hatte bemerkt, dass Sei seinen Blick wieder Richtung Boden richtete, damit niemand sah, dass er geweint hatte. Ich wollte ihm dabei helfen, das zu verbergen, also versuchte ich, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Takeshi kam ein paar Schritte auf mich zu. „Tja, leider konnte ich nicht mehr so viele Tore schießen, nachdem du weg warst“, grinste er und die anderen begannen, zu lachen, „aber meine Mannschaft hat natürlich trotzdem gewonnen!“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, stürmte auch schon Sei an ihm vorbei und rempelte ihn stark an. Das war Absicht, das wusste ich, doch trotzdem – oder vielleicht sogar deshalb? – murmelte er ein leises „Sorry“ an niemand bestimmtes gewandt und verschwand durch die Tür. Nur, weil Takeshi mich mal wieder aufgezogen hatte, hatte ihn Sei angerempelt. Ich seufzte. Er war im Moment doch derjenige, der Hilfe brauchte und trotzdem kümmerte er sich um mich! So war er eben, Sei war ein sehr guter bester Freund, wahrscheinlich der beste der Welt.
Takeshi blickte ihm verwundert hinterher: „Na, wenigstens hat er sich wieder abgeregt…“
Ja, abgeregt hatte er sich schon wieder, doch wirklich okay war er trotzdem noch nicht, also sammelte ich schnell meine restlichen Sachen ein und lief ihm nach. Aus den Augenwinkeln nahm ich im Vorbeilaufen die verdutzten Gesichter meiner Klassenkameraden wahr. Kann ich ihnen auch nicht verdenken, denn Sei und ich benahmen uns heute seltsam, ich meine sogar noch seltsamer als sonst. Jepp, heute war wirklich ein merkwürdiger Tag. Und er sollte sogar noch sonderbarer werden…
Der restliche Schultag verlief ohne weitere besondere Vorkommnisse. Sei war zwar zehn Minuten zu spät in die Mathestunde gekommen, was er damit erklärte, dass er noch mit Herrn Ishimoto sprechen musste. Außerdem hatte er sich offensichtlich das Gesicht gewaschen, denn nichts ließ mehr darauf schließen, dass er noch vor etwa einer halben Stunde geweint hatte. Ansonsten, wie gesagt, kein weiterer Vorfall.

Das Klingeln am Ende der letzten Stunde war noch nie so erlösend für mich gewesen, wie jetzt. Auch wenn ich es nicht wollte und mir immer wieder einredete, dass mit Seichi alles in Ordnung war, konnte ich nicht anders als mir den ganzen Unterricht über Sorgen um ihn zu machen. Er benahm sich wirklich seltsam. Normalerweise rastete er nicht aus, geschweige denn SCHLUG er jemanden! Doch was mich am meisten beunruhigte war, dass er geweint hatte. Ich weiß nicht, ob ich es schon mal erwähnt hatte, aber Sei weinte NIE!
Plötzlich tauchte eine Hand vor meinen Augen auf, die leicht hin und her wackelte. „Hey, Yu, alles okay?“, fragte mich Sei sanft. Eigentlich sollte ich IHN fragen, ob alles okay war, denn immerhin hatte er einen kleinen Zusammenbruch und nicht ich. „Yu… bitte mach dir nicht so einen Kopf wegen dem, was in der Sportstunde passiert ist. Mir geht es gut, auch wenn ich selbst nicht genau weiß, was in mich gefahren ist… Aber lass uns jetzt lieber ein Eis essen gehen, wir waren für heute lange genug in der Schule“, grinste er mich an. Er hatte wieder etwas Farbe im Gesicht und er benahm sich auch wieder wie sonst. Vielleicht war das wirklich nur ein einmaliger Ausrutscher und es hatte nichts zu bedeuten. Sei hatte recht! Ich sollte mir nicht immer so einen Kopf um alles machen! „Komm schon! Sonst isst mir noch wer das ganze leckere Schokoeis weg!! Yuuuuuu!!“ Ich nickte ihm zu und stand leicht lächelnd auf. Ja, er war definitiv wie immer.

Ich zog gerade die Badezimmertür hinter mir zu, als mir meine Schwester entgegen kam. „Hi, Bruderherz!“, flötete sie fröhlich. Ich nickte ihr nur kurz zu und wollte schnell in mein Zimmer huschen, da ich nur ein Handtuch um die Hüften trug, als mein Blick ihr Haar streifte. Als wäre ich mitten in der Bewegung eingefroren, erstarrte ich.
„GRÜN?! Grün?! Welcher normale Mensch lässt sich seine Haare grün färben?!“, rief ich entsetzt aus. Okay, Kaya war ein wenig ausgeflippter als die anderen Jugendlichen in ihrem Alter und sie hatte sich die Haar schon öfters in unmöglichen Farben gefärbt – Dunkelviolett, Feuerrot, Blauschwarz – doch Grün… das stellt alles in den Schatten. Es war ja nicht mal ein Grasgrün sondern ein Giftgrün! Ich konnte es einfach nicht fassen!
Kaya grinste mich an. „Ach Brüderchen! Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht, als hätte ich meinen Kopf unterm Arm!“
„Das wäre allerdings auch nicht viel schlimmer gewesen als das… Wissen Mum und Dad schon von deiner… deinem neuen „Experiment“?“ Sie schüttelte den Kopf, wobei ihre langen Haare hin und her flogen. Auch wenn ich es nicht gerne zugab…die Farbe stand ihr wirklich gut. Das musste man Kaya lassen: sie wusste, was ihr stand und was nicht.
„Sie werden es dann sehen, wenn wir zu den Kuros fahren“, sagte sie in einem unschuldigem Ton.
„Du weißt schon, dass sie da der Schlag treffen wird? Zu Seis 16. Geburtstag kommen auch andere wohlhabende und wichtige Leute und du willst SO auftauchen? Oh Mann! Das gibt Hausarrest, sag ich dir!“ Ich schüttelte den Kopf. Wenn Kaya so bei Seis Familie auftauchte, dann würde unser Ansehen bei ihnen noch weiter fallen – falls das überhaupt noch ging. Wieso sie uns allerdings an dem Tag eingeladen hatten, an dem auch die High Society der Stadt bei ihnen zu Hause sein würde, konnte ich mir nicht erklären. Und dass sie meine ganze Familie zum Geburtstag meines besten Freundes einluden, auch nicht. Normalerweise schmiss Sei eine Party außerhalb seines Anwesens – oh ja, sein Zuhause war ein Anwesen – oder wir beide zogen alleine um die Häuser, doch dass seine Eltern meine Familie einluden, war nun wirklich mehr als merkwürdig.
„Brüderchen, träumst du schon wieder mit offenen Augen? Los, zieh dich an und mach dich hübsch. Vielleicht finden wir ja heute eine reiche Freundin für dich“, lachte mich meine kleine Schwester an, als sie an mir vorbei in ihr Zimmer ging. Ts, als ob ich eine Chance bei einem Mädchen hätte – und dann auch noch bei einem wohlhabenden! Das war schier unmöglich. Trotzdem befolgte ich den Rat meiner Schwester und ging in mein Zimmer. Dort durchstöberte ich meinen Schrank nach dem besten Anzug. Das dauerte auch nicht lange, da es auch mein einziger war. Ich legte ihn vorsichtig aufs Bett und ging auf die Suche nach einem passenden Hemd. Sollte ich wirklich ein weißes anziehen? Das sah doch so nach Hochzeit aus… Und blau? Nein, das hat bestimmt jeder an… Da fiel mir ein, was Sei auf heute Morgen auf dem Weg zur Schule zu mir gesagt hatte: „Komm, Yu! Wir ziehen uns heute Abend beide dieses blau-grüne Hemd an, das wir uns vor ein paar Wochen in dem Einkaufszentrum für die Disco-Night gekauft haben! Da werden meine Alten ausflippen!“ Ich schluckte. Ja, das würden sie allerdings. Und wenn nicht wegen unseren wirklich auffallend bunten – und noch dazu glitzernden – Hemden dann wohl wegen Kayas etwas farbenfroher neuer Haarfarbe…
Ich grinste. Das gefiel mir. So etwas denkt man zwar noch nicht mal, aber ich konnte Seis Eltern nicht ausstehen und ihnen einen kleinen Schreck einzujagen, war bestimmt belustigend. Also griff ich ganz nach hinten in meinen Kleiderschrank, wo ich das augenkrebserregende Teil vermutete. Es dauerte etwas, doch schließlich hatte ich es gefunden. Ich zog das Hemd heraus und besah es mir noch einmal eingehend. Auffallen würden Sei und ich heute Abend ganz bestimmt.

Punkt sieben Uhr trafen wir bei Sei ein. Er erwartete mich bereits mit einem breiten Grinsen und natürlich hatte auch er dieses Glitzerteil an. Meine Eltern hatten mich zwar misstrauisch gemustert, als ich kurz vor Sieben die Treppe runtergekommen war, doch gesagt hatten sie nichts. Kayas Auftritt hingegen nahmen sie nicht so gelassen hin. Sie war erst auf dem letzten Drücker aus ihrem Zimmer gekommen und mir war später auch klar, wieso. Als unsere Eltern nämlich zu einer Standpauke ausholten, meinte sie belehrend, dass dazu jetzt keine Zeit wäre, sonst würden wir zu spät kommen. Ich musste mir ein Lachen verkneifen und stimmte ihr zu. Ich wollte nicht zu spät zu Seis Party kommen, schon allein deswegen nicht, um seinen Eltern einen neuen Grund zu geben, Sei zu bitten, sich nicht mit mir abzugeben.
Als meine Eltern auf Sei zugingen und ihm
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