Fanfic: Frag nicht nach dem Warum
mein Herz deutlich in beschleunigtem Tempo in meiner rechten Brust schlagen. Moment… Herzen schlagen doch normalerweise in der linken Brust, oder? Hatte ich in Bio mal wieder gepennt? Auch mein Körper hob und senkte sich in schnellen Abständen. Dabei atmete ich doch momentan ganz ruhig, weil ich mich sehr wohl in Seis Nähe fühlte!
Und da ging mir auf einmal ein Licht auf. Nicht ich war es, der so heftig atmete und auch nicht mein Herz versuchte, auf zehn Schläge in der Sekunde zu kommen…. Nein, es war Sei. Sein Körper benahm sich so, als hätte er einen Marathon hinter sich. Doch wieso? War er so wütend auf mich? Okay, ich hatte ihn geschlagen, aber das hatte er doch verdient! … Oh mein Gott! Ich hatte Sei geschlagen! ICH HATTE SEI GESCHLAGEN!!! Na gut, wir hatten schon unzählige Rangeleien hinter uns, aber so richtig geschlagen hatten wir uns nie! Zumindest bis jetzt. Ich konnte gut verstehen, wenn er sauer auf mich war. Aber ich konnte mir erst ganz sicher über seinen Gemütszustand werden, wenn ich seine Augen sah. Also nahm ich all meinen Mut zusammen, stützte die Hände seitlich von Sei ab und erhob mich langsam, allerdings nur so weit, dass mein Gesicht wenige Millimeter über Seis schwebte. Und was ich darin lesen konnte, raubte mir für einen Moment den Atem.
Seis Mund stand vor Erstaunen etwas offen, er war ziemlich rot um die Nase herum und seine Augen strahlten Verwirrung pur aus. Doch noch etwas war in ihnen zu lesen, etwas, das ich niemals zuvor in seinem Blick gesehen hatte. Wut war es nicht, nein, und auch Überraschung konnte es nicht sein. Mich hatte noch nie jemand so angesehen, mit solchen Augen… Sie hielten die meinen gefangen, ich konnte einfach nicht wegsehen. Wenn ich nur wüsste, was dieser Ausdruck zu bedeuten hatte! Doch eines konnte ich mit Sicherheit sagen: dieser Blick ließ mich am ganzen Körper erschaudern.
Sei bemerkte sehr wohl, dass ich zitterte. Seine nicht mehr ganz so harte Miener wurde weicher und mit sanfter Stimmer hauchte er meinen Namen: „Yu…“.
Sei! Das war mein Sei! Er war wieder er selbst! Unwillkürlich entspannte sich mein Körper, ich lächelte leicht und die Tränen liefen mir vor lauter Erleichterung die Wangen hinab. Seis Blick verwandelte sich in Erstaunen, doch innerhalb weniger Sekunden sah er mich so liebevoll an, wie er es noch nie getan hatte. Seine rechte Hand hob sich zu meinem Gesicht und sanft, ganz sanft, fast so, als würde Sei fürchten, ich könnte zerbrechen, strich er über meine tränennasse Wange. „Yu…“.
Plötzlich riss jemand zu meiner Linken die Zimmertür auf. Seis Mutter, Keiko, stand auf einmal im Zimmer. Für einen Moment blickte sie uns überrascht an – wie ich da auf Sei am Boden lag, mussten wir ein seltsames Bild abgeben -, doch sofort wandelte sich ihr Gesichtsausdruck in kalten Hochmut, den sie tagtäglich zur Schau trug. Sie rümpfte die Nase und richtete ihr Wort an Sei. Wie immer war ich Luft für sie.
„Seichiro, Liebling, wolltest du nicht schon längst lernen? Und wieso ist dein… ist ER noch hier? Ich dachte, du wolltest dich von ihm verabschieden? Endgültig?“
Nun richtete sich ihr Blick auf mich und ich konnte ein spöttisches Lächeln in ihrem Gesicht erkennen. Mir blieb die Luft weg. Sei hatte ihr also erzählt, dass er vorhatte, mir die Freundschaft zu kündigen, ja, mir sogar den Umgang mit ihm zu untersagen! Also konnte das wirklich kein spontaner Scherz seinerseits sein! Er musste das schon länger vorgehabt haben! Dieser Mistkerl hatte es geplant!
Schnell drehte ich mich wieder zu Sei um, mit Tränen der Wut in den Augen. ‚Mistkerl! Du verdammtes Arschloch!’, mussten sie schier schreien. Doch Sei sah mich nicht an. Unentwegt starrte er auf seine Mutter und machte es mir ¬¬so unmöglich, in seinen blauen Ozeanen zu lesen. Außerdem konnte er nicht meine vor Zorn sprühenden Augen sehen und ich wollte, dass er sich meiner Wut bewusst war! Ich richtete mich etwas auf, setzte mich auf seine Hüfte, grapschte mit beiden Händen nach seinem Kragen und begann ihn zu schütteln. ‚Du Arschloch, sie mich gefälligst an! Sie mich an, verdammt noch mal!’ Mein Innerstes schrie diese Worte, so laut es konnte, doch ich selbst brachte keinen Ton heraus.
Dann – endlich! – wandte Sei mir sein Gesicht zu. Ausdruckslos starrte er mich an. Nichts ließ mehr auf meinen Sei schließen, der noch vor wenigen Minuten meinen Namen geflüstert hatte. Ich hörte auf, ihn zu schütteln. Langsam veränderte sich seine Miene, ein spöttisches Lächeln, wie das seiner Mutter breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Hättest du nun endlich die Güte, dich von mir zu erheben, Matsuo? Entgegen deinem zierlichen Äußeren bist du nämlich ganz schön schwer!“ Nicht nur, das spöttische Lachen hatte sein von Keiko übernommen, sondern auch den überheblichen Tonfall. All die dinge, die er an seinen Eltern so hasste, fanden sich nun in ihm wieder.
Ich verharrte noch einen Moment in meiner Stellung, dann schloss ich kurz die Augen und atmete einmal lange aus, um mich zu beruhigen. Ein letztes Mal sah ich meinen von nun an ehemaligen besten Freund an, darauf bedacht, ihm nicht meinen Schmerz zu zeigen. So wie ich mich allerdings kannte, ging dieses Vorhaben gründlich daneben. Ich musste Sei mir solch traurigen und verletzten Augen angesehen haben, wie noch niemals zuvor.
Danach erhob ich mich einfach, griff nach meiner Jeans, zog sie schnell über die Shorts, straffte mein schwarzes Shirt, in dem ich geschlafen hatte, schnappte mir mein Handy und rauschte an Seis Mutter vorbei aus dem Zimmer. Schnellen Schrittes lief ich aus dem Haus. Sobald ich das Grundstück verlassen hatte und um die nächste Ecke gebogen war, blieb ich stehen. Ich schnappte nach Luft. Genau hinter dieser Ecke hatten sich Sei und ich gestern versteckt, als wir die feine Gesellschaft verlassen hatten. War das wirklich erst gestern gewesen? Am Tag zuvor waren wir noch die allerbesten Kumpels und heute…? Was waren wir denn ab heute, wenn wir keine Freunde mehr waren? Doch nicht etwa… Feinde?
Ein lautes Schluchzen entrang sich meiner Kehle, meine Knie wollten mich nicht mehr tragen. Ich ging in die Hocke, die Unterarme auf die Oberschenkel aufgestützt und beugte mich nach vorn. Mir war mit einem Mal speiübel. Sanft bewegte ich mich hin und her, schloss dabei die Augen und atmete langsam ein und aus. Plötzlich hatte ich wieder Seis abweisendes Gesicht, seine kalten Ozeane und sein spöttisches Lächeln vor Augen. In meinem Kopf hörte ich seine überheblich klingende Stimme.
‚Du musst sofort nach Hause, Matsuo.’
‚Sprich mich ab heute nie wieder an oder lass dich gar bei mir blicken, verstanden?!’
‚Hör auf damit! Hör auf, verstanden? Frag nicht nach dem Warum! Ich werde dir sowieso nicht antworten. Niemals.’
‚Vergiss es. Ich meine es todernst, Matsuo.’
Ich erbrach mich. Ob es an dem übermäßigen Alkoholkonsum gestern oder an den heutigen Ereignissen lag, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Die heißen Tränen, die sich unaufhaltsam ihren Weg über mein Gesicht bahnten, waren immer noch nicht versiegt. Sie liefen auf meinem Kinn zusammen und fielen dann geräuschlos zu Boden. Ich ließ mich nach hinten fallen, lehnte mich gegen Seis Grundstücksmauer und begann zu schreien. Zuerst leise und dann immer lauter, hallte mein Geschrei durch die Straßen. Ich musste wie ein Verrückter aussehen, doch das war mir egal. Ich hatte meinen besten Freund verloren, den ich seit ich gerade mal laufen konnte, kannte! Da durfte man doch wohl mal kurz ausflippen, oder?!
Plötzlich hörte ich schnelle Schritte, die sich in meine Richtung bewegten. War durch meine Schreie etwa jemand aus dem Haus gekommen, um nachzusehen, wer hier so einen Krawall veranstaltete?
Trotz der mir sich nähernden Person konnte ich nicht aufhören, meine Stimme durch die Straßen zu jagen. Es ging einfach nicht. Ich hatte das Gefühl zu platzen, wenn ich meiner Wut, meiner Trauer und Verzweiflung keinen Platz machte. Ich hatte meine Augen immer noch auf den Boden gerichtet, als auf einmal zwei Schuhe in mein Blickfeld traten.
„Was?... Y-Yuri, bist du das?“ Ich kannte diese warme Stimme doch. „Mein Gott, hast du… hast du dich etwa übergeben?“
Kurz verstummte ich, hob mit aller Kraft meinen Kopf und erblickte… Taki. Dieser starrte mich über alle Maßen entsetzt an und ging dann – in sicherer Entfernung zu meinem Rückwertsessen – neben mir in die Hocke. Er sah mich so voller Mitgefühl an, dass ich nicht mehr an mich halten konnte. Ich schmiss mich ihm regelrecht in die Arme, krallte mich an seinem weißen Hemd fest, und begann abwechselnd zu schluchzen und zu schreien.
„Schsch, beruhige dich, Yuri. Sch… alles wird gut. Was ist denn los? Ist was passiert? Ach, blöde Frage, natürlich ist was passiert, sonst wärst du nicht in dieser Verfassung. Komm schon, Yuri, sag mir, was los ist. Oder soll ich raten? Aber du weißt, im Raten bin ich nicht allzu gut.“ So nett ich Taki auch finden mochte, aber er war eine Quasselstrippe.
„S-Sei… S-Sei ist“, brachte ich zwischen meinen Schrei- und Heulkrämpfen hervor. Ja, was war er? Gemein zu mir? Das hörte sich doch total kindisch an und traf die Sache auch überhaupt nicht. Aber wie konnte ich Taki begreiflich machen, was los war? Ich begriff es doch selbst kaum.
„Was ist mit Seichi? Ist ihm etwas passiert?! Hatte er einen Unfall?!“ Sofort war Taki in höchster Alarmbereitschaft. Wenn es um seinen Schützling ging, kannte er kein Pardon. Ich nickte, Taki zog scharf die Luft ein, und dann schüttelte ich den Kopf.
„N-Nicht ihm ist etwas p-passiert, sondern MIT i-ihm“, stotterte ich schluchzend. Verwirrt betrachtete er mich von oben herab. Dann, ich konnte es ganz deutlich erkennen, ging ihm ein Licht auf. „Oh… Verstehe. Das… tut mir wirklich sehr leid für dich, Yuri“.
Bitte?! Was verstand er? Ich hatte ihm doch überhaupt noch nicht