Ohne Sprache kein Denken

Ohne Sprache kein Denken

Ohne Sprache gab es kein Denken, erinnerte sie sich, irgendwo gelesen zu haben und versuchte, in ihrem Gehirn nur weißes Rauschen zuzulassen.
Egal was sie tat, was sie versuchte, es klappte einfach nicht. Sie musste Denken, egal wie man es definierte und unter welchem Aspekt man den Begriff des Denkens verstand. Denken ist viel mehr, als sich hinzusetzen und sich seine Gedanken um ein Thema zu machen. Wenn man einem Verstorbenen gedenkt, fällt einem zuerst das Gesicht wieder ein, oder aber gemeinsame Erlebnisse, die zu schönen, aber auch traurigen Erinnerungen führen. Synonyme für das Denken zu finden, ist nicht einfach. Es gab viel zu viele Arten des Denkens, über etwas Nachdenken, etwas Kombinieren, mathematisch Denken und schwierige Aufgaben lösen, chemisches Denken um Reaktionen und Formeln aufzustellen, sich Dinge bewusst machen.
Und das letzte traf ebenfalls auf sie zu. Sich Dinge wieder bewusst machen, es war so schwer, man musste sich wieder erinnern, erinnern an Geschehnisse, die man am liebsten hätte vergessen wollen, auch wenn es nicht ging.
Sie musste nun daran denken, wie sie mit ihr zusammen, an ihrem letzten Tag, im Café saß und sich, mit ihr, über ihre möglichen Probleme unterhalten hatte. Warum hatte sie einfach gelogen? Hätte sie etwas gesagt, wäre sie noch am Leben, es hätte einen Weg gegeben. Und nun war sie weg, sie hatte es einfach so damals erfahren. Urplötzlich wurde sie damals aus ihren Gedanken gerissen und musste stark sein. So stark, dass die Organisation ihren Schmerz nicht mitbekam. Es war fast unmöglich und sie hatte es nicht geschafft, hatte damit gedroht aufzuhören, sollte sie die Beweggründe für die Ermordung nicht erfahren. Doch ihr hätte klar sein müssen, dass die Organisation nicht darauf eingehen würde und trotzdem, das war das Einzige was sie als Andenken an ihre Schwester tun konnte, endlich aufhören, für diese Verbrecher zu arbeiten.
Das junge Mädchen ließ sich nach hinten in ihren Stuhl sinken, zog aus der Tischschublade ein Foto heraus und betrachtete es. Ihre Tränen konnte sie kaum zurück halten und dennoch sagte sie sich immer, sie müsse stark sein, dürfte keine Schwäche zeigen. Dabei war es doch jeden Tag das Selbe gewesen. Jeden Tag versuchte sie, die ganze Zeit, in ihrem, nein im Labor von Professor Agasa, welches sie mit nutzen durfte, an einem Gegenmittel für das APTX4869 zu arbeiten. Alle Strukturen der Moleküle, sämtliche Reaktionen, ihre Bedingungen, dies alles musste sie versuchen nach zu stellen. Die alten Daten existierten nicht mehr, die Arbeit wurde umso mehr erschwert, aber in ihrem Kopf fanden sich noch einige Informationen über das hergestellte Gift, irgendwo in ihr befanden sie sich, verschlossen, vergessen, mit der Hoffnung, dass sie irgendwann wieder an die Oberfläche gespült werden würden.
Es dauerte lange, viel zu lange, es gab schon einige Prototypen, aber die Wirkung hatte sich nach, spätestens, 76 Stunden aufgelöst und Shinichi erwartete, dass es bald wieder ein verbessertes Gegenmittel geben würde, welches es ihm ermöglichte, länger als nur drei Tage wieder er selbst zu sein. Sie wollte ihn nicht enttäuschen, wollte selbst wieder groß sein, auch wenn es hieß, dass sie es schwerer hätte gegen die Organisation, doch Klein zu sein, hatte nicht große Vorteile gehabt.
Ais Forschungen für ein Gegenmittel gingen schon so lange, es war manchmal aussichtslos, hoffnungslos und trotzdem wollte sie nicht aufgeben. Sie tat es nicht nur für sich, sondern auch für alles an das sie glaubte. Sie wollte sich nicht vorstellen, wem die Männer in Schwarz noch das Gift einflössten und welche Wirkung dieses auf die ganze Bevölkerung hatte. Was war nur mit ihr los gewesen? Früher hatte sie doch nicht daran gedacht, was mit den Menschen würde, sollten diese das Gift schlucken, aber nun war alles anders. Alles um sie herum hatte sich verändert, dabei war es doch gar nicht so, nicht ihre Umgebung hatte sich verändert, sie hatte sich verändert. Und dennoch tat sie es nicht für sich, nicht mehr für Conan, sondern für ihre verstorbene Schwester. Sie war immer so verantwortungsvoll, half, wenn man Probleme hatte. Akemi war ein Engel, immer für einen da, egal wie schlecht es ihr selber ging, ihre Probleme stellte sie zurück, andere Menschen waren ihr viel wichtiger gewesen. Und genau, deswegen wollte Ai weiter leben, für ihre Schwester, an ihrem Grab hatte sie es versprochen, auch wenn sie am liebsten bei ihr wäre. Was hatte sie denn noch? Ihre Eltern waren Tod, Akemi war Tod und schon öfters hatte es Shinichi fast erwischt. Sie war wie ein Magnet, der die schrecklichsten Dinge anzog. Alle Menschen, die sie kannte, mussten Leiden und deren gemeinsamer Nenner war Shiho Miyano. Über dem Mädchen hing eine schwarze Wolke, jene, die ihr bewusst alle Menschen weg nahm, die je eine Bedeutung hatten.
Kudo hatte es so viele Male fast erwischt, immer und immer wieder begab er sich in Gefahren und das nur, weil er ihr helfen wollte. Er war ihr wichtig gewesen, auch wenn Ai es nie zugeben würde. Shinichi war der Einzige, der ihre Situation kannte, sie verstand und für sie da war, wenn sie mal nicht weiter wusste. Er wusste einfach, was er sagen musste und schon war sie meistens wieder besser gelaunt gewesen, auch wenn sie es einige Male nur vorgespielt hatte. Doch neben Shinichi hatte sie noch jemanden gehabt. Professor Agasa, derjenige, der sie bei sich aufnahm, damals im Regen liegend vor den Eingangstoren gefunden, kümmerte er sich um sie, pflegte sie, gab ihr alles was sie brauchte. Wenn sie es Recht bedachte, dann war er wie ein Vater für sich, er gab ihr Wärme, Zufriedenheit und was das Wichtigste war, sie bekam Geborgenheit von ihm. Aber es gab auch die Angst, wenn ihm etwas Passieren würde, würde sie sich das nie im Leben verzeihen, die Organisation durfte nichts über ihn in Erfahrung bringen, sie durften es einfach nicht.
Wieder blickte sie auf das Foto, den Anblick konnte sie nicht länger als drei Minuten ertragen. Es musste wieder weg, wieder in der Schublade verschwinden und erst am nächsten Tag das Licht der Lampe wieder sehen. Haibara lehnte sich halb über den Labortisch und massierte ihre Schläfen. Die Erinnerungen waren zu viel gewesen, sie wollte es nicht mehr, konnte diesem aber nicht entkommen.
„Ohne Sprache kein Denken“, wiederholte sie jenen Satz, den sie gelesen hatte. Doch Sprache allein regte nicht zum Denken an. Nachts, das Träumen im Schlaf, auch das war eine besondere Form des Denkens. Träume waren anders, sie entstehen ohne Kontrolle und spiegeln unser Unterbewusstsein dar und bei Shiho war es am Schlimmsten gewesen. Wünsche, Freude, Erlebnisse, aber auch Trauer und Leid wurden so kompensiert und fanden in ihren Träumen ihren Höhepunkt. Jede Nacht wachte sie, schweißgebadet auf, die Gedanken bei ihrer Schwester, ihren Tod immer wieder vor Augen und das Gefühl, nichts dagegen tun zu können.
Psychologisch gesehen wird unser Denken von vielen Erlebnissen, Erfahrungen und Eindrücken unserer Wahrnehmung bestimmt. Denken folgt keinen Regeln, so wie es zu Stande kommt, muss man es einfach hinnehmen, ändern kann man es nicht mehr.
Wie sehr sie sie vermisste. Akemi fehlte ihr so sehr, aber den Zustand konnte sie nicht mehr ändern, ihn akzeptieren ging auch nicht, dafür hasste sie Gin viel zu sehr. Er war Schuld, er hatte ihr das alles angetan und bereute es nicht einmal.
Nun wünschte sie sich, dass es keine Sprache gab, denn dann, müsste sie nicht mehr an das alles Denken. Es sollte aufhören, die schlechten Erinnerungen sollten endlich aufhören, verschwinden, ausgelöscht werden. Das junge Mädchen kam so auf die Idee. Wenn es möglich war, ein Mittel zu entwickeln, welches einen Menschen schrumpfte, dann war es sicher auch möglich gewesen, ein Mittel zu erschaffen, das die Erinnerungen auslöschte oder diese, wie bei einer Amnesie lange genug zurück hielt. Wie sehr wünschte sie es sich, aber sie musste es geheim halten, die Anderen zwei würden es einfach nicht verstehen, nicht akzeptieren und würden versuchen sie umzustimmen. Sie konnte es schon wahrlich vor sich sehen.
„Bist du vollkommen verrückt geworden?“, würde Conan wissen wollen. Er würde es nicht fassen können, was Ai vor hatte. Sie konnte es einfach nicht ernst meinen, ein schlechter Scherz von ihr, das war das, was sie so eben machte.
„Ich weiß genau, was ich tue“, antwortete das Mädchen, sie hatte keine Einsicht zu dem Thema gehabt. Verschränkte die Arme und blickte ihren Gegenüber einfach nur an, in ihren Augen konnte man lesen, dass sie es sehr wohl ernst meinte und sich nicht abhalten ließe.
„Das kannst du nicht machen, Haibara. Die Erinnerungen gehören zum Dasein eines jeden Menschen, auch zu dir. Deine Erinnerungen und Erlebnisse haben dich erst zu dem Menschen gemacht, der du nun bist“, warf Conan ein. Wie konnte sie nur daran denken? „Warum? Warum willst du das machen?“
„Bald ist ihr Todestag...ich will die Schmerzen, die Qual daran denken zu müssen, für immer auslöschen. Ich will nicht mehr!“
„Mach das nicht. Du würdest es nur bereuen und wenn du dich irgendwann wieder erinnerst, nur weil die Wirkung nach lässt, wird es nur schmerzhafter und du leidest mehr. Außerdem ist es dir Wert, dass du dadurch, deine Schwester vielleicht für immer vergisst?“, konterte der Kleine. Etwas Absichtlich zu vergessen, war eine schlimme Angelegenheit und Ai durfte, dies nicht machen. Sie durfte nicht vergessen, musste aufgehalten werden, auch wenn er ihre Handlungen nachvollziehen konnte, aber es durfte nicht sein.
„Nein“, schrie das Mädchen, sank auf den Boden, hielt sich die Hände vor ihr Gesicht. Sie wollte nichts mehr hören, wollte nicht hören, dass auch die Gefahr bestand, dass sie ihre Schwester für immer vergessen würde. Damit gab Conan ihr den Rest, dadurch konnte er sie nur abbringen und möglicherweise hatte er es gewusst
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