Shadownight
ekelerregend, etwas anderes zu sich zu nehmen. Besonders das.
Schaudernd las ich weiter:
Viele schrecken vor dieser Maßnahme zurück, doch die andere Möglichkeit ist es, selbst zu sterben, und als Geist den Körper des Dämons einzunehmen.
Dies geschieht unter den grausamsten Schmerzen.
Man hat danach die Kontrolle über den Dämon, aber nur für eine kurze Zeit.
Man muss den Dämon durch das Handeln umbringen, um seine Seele zurück zur Hölle zu schicken.
Doch der Vampirgeist selbst ist dadurch verloren, und endet auch in der Hölle, wo er niemals heraus befreit werden kann.
Hier endete das äußerst kurze Kapitel, und damit auch das Buch.
Ich starrte die Seite weiter an, und ein weiterer Schauer durchfuhr mich. Ich fühlte ein seltsamen Prickeln im Nacken und hörte das Summen in der Luft lauter denn je.
Ein seltsames Knistern hatte es verstärkt.
Und plötzlich stand Jemand hinter mir, und ich ließ einen markerschütternden Schrei ertönen.
Meine Pupillen weiteten sich und mir standen die Haare auf den Armen zu berge.
“AH! LASS MICH! HILFE!”
“Sei ruhig du törichtes Kind! Was hast du hier zu suchen? Es ist mitten in der Nacht und die Abteilung ist für Minderjährige verboten! Mach, dass du davon kommst, und sei dir sicher, dass deine Eltern davon erfahren! Lass dich hier nie wieder blicken!”
Es war die Bibliothekarin, und ihre Augen sprühten beinahe Funken vor Wut.
Ich rannte davon, immer noch nicht ganz beisammen, und stürzte schließlich ins Freie.
Da blieb ich erst einmal stehen, und blickte zum Himmel empor, der übersäht war mit Sternen. Der Mond war eine Sichel und der Wind flüsterte leise. Ich seufzte und ließ den Schreck auf mich wirken, bis er verschwand. Dann ging ich langsam Richtung Wald, indem das Haus meiner Familie stand.
Ich dachte nach.
Dämonen, dachte ich. Dämonen müssen wirklich grauenhaft sein. So wie sie dargestellt werden, sind Sie wahre Monster, so wie Menschen schon uns Vampire als Monster empfinden.
Ihre Taten sind furchtbar, und schon allein der Gedanke, von ihnen Besitz zu ergreifen oder sie gar zu verspeisen, ließ mich zittern.
Aber was, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf, die ich noch nie gehört hatte. Was, wenn nur der Hass uns solche Gräueltaten erfinden lässt? Was, wenn Dämonen, wie Vampire, klug, und freundlich, und einfach nur Geschöpfe der Nacht sind?
Was, wenn sie genau solche Geschichten über Vampire ihren Kindern beibringen, sie selbst glauben?
Was wenn das alle Schwachsinn ist, und wir Ihnen eigentlich sehr ähnlich sind?
Ich konnte der Stimme nicht antworten, und dachte eine Weile darüber nach.
Ja, was wenn es so war?
Was wenn alles ein riesiges Missverständnis war?
Wenn sich die Völker bekriegten, weil sie naiv und dumm waren?
Wäre das nicht das scheußlichste, was passieren könnte?
Dass sich Unschuldige umbringen, wegen Gerüchten?
Mythen?
Was wenn Dämonen liebenswürdig und klug waren, und genauso auf Blut angewiesen waren, wie wir?
Sie waren deswegen doch nicht gleich schlechter?
Was, wenn wir sogar mit ihnen verwand waren?
Der Kies und das Laub raschelte unter meinen Füßen, irgendwo weit weg rief ein Uhu.
Ich schloss die Augen und ging weiter, dem Wind lauschend, die Anwesenheit der Nachttiere spürend.
Würde ich je die Möglichkeit bekommen, meine Fragen zu beantworten?
Ob ich je einem Dämonen begegnen würde?
Würde er mich angreifen, oder mit mir reden?
Gab es vielleicht sogar einen Dämon, der sich dieselben Fragen über Vampire stellte, die ich mir über sie stellte?
Nur eins war mir klar: Ich wollte keinen Dämonen mehr töten.
Der Entschluss, der in mir war, seit ich ein kleines Mädchen war, war verschwunden, stattdessen war ein großer Durst nach Antworten entstanden.
Irgendwann verschwand der Weg unter meinen Füßen und ich folgte einem Wildpfad, der mich weiter führte.
Es dauerte lange, da ich langsam ging, aber ich hatte heute keine Eile.
Wieder lauschte ich eine Zeit lang den Tieren, und schließlich stand ich dann doch vor dem alten Backsteinhaus, das von außen unbewohnbar schien.
Dachziegel lagen neben den Mauern und die Fensterläden hingen in den Angeln.
Ich öffnete die Tür, und sie knarrte.
Innen war es warm und vertraut.
Mein Heim.
Der Teppich unter mir atmete nicht bei meinen Schritten, sondern empfang mich mit einer seltsamer Gemütlichkeit. Im Kamin loderte ein Feuer und die knautschigen alten Sessel standen einladend bereit.
Ich setzte mich und zog die Füße aufs Polster, nachdem ich die Schuhe entfernt hatte.
Wo war meine Familie? Normalerweise empfingen sie mich immer.
Doch heute war keiner da, weder mein Vater, noch meine Mutter, und selbst mein älterer Bruder nicht.
Ich blickte durch den Raum.
Auf dem Kaminsims standen verstaubte Fotos, an den Wänden hingen Bilder, atemberaubend schöne Bilder.
Sie waren gezeichnet von Vampiren, und damit so grazil und mit solch einer Fingerfertigkeit angefertigt, dass man glauben könnte, sie wären überdimensionale Fotos.
Manche zeigten das Meer, andere Berge, manche Tiere und eins eine junge Vampirdame, mit braunen Haaren, die ihr bis zur Taille gingen. Meine Mutter.
Man sagte immer, ich wäre ein genaues Abbild meiner Mutter, und es erfüllte mich mit Stolz. Denn während mein Vater ähnlich wie die Vampire heute im Saal war, war meine Mutter weise und ein Vorbild, wie Elias.
Auch mein Bruder sah ihr ähnlich, doch er war größer und sogar breitschultriger als mein Vater. Seine Haare waren außerdem blond.
Während ich so dasaß und das Bild anschaute, sackte mein Kopf gegen die Lehne und ich fühlte mich schließlich völlig entspannt.
Schlafen musste ich nicht, das mussten wir Vampire nie.
Aber es gab Phasen, in dem wir uns ausruhten, und in dieser war ich scheinbar gerade.
Mein Kopf funktionierte wunderbar, nur mein Körper ruhte.
Es war eine Art Wachschlaf.
Irgendwann fing ich an, ein Lied zu summen.
Es war alt und hatte eine wütende Melodie, denn es war ein Schlachtlied. Ich kannte dieses Lied schon ewig, und es hatte immer zu meinen liebsten gehört.
Irgendwann landete ich wieder bei der Frage, wo meine Familie war.
So lange waren die Drei sonst nie fort.
Es kam vor, dass einer von ihnen mal weiter weg ging, um neue Menschen zu suchen.
Aber alle drei?
Ich stand auf, ordnete die zerknautschten Kissen, und ging zum Fenster.
Draußen wurde es langsam dämmrig, also eigentlich sollten die Drei auf dem Heimweg sein.
Ich beschloss, ihnen entgegen zu gehen, und verließ das Haus, aber ohne Schuhe.
Ich spürte die Kühle Erde unter meinen Füßen
Die ersten Vögel sangen schon, das ein oder andere Insekt hing in meinem Sichtfeld.
Ich lächelte und beschleunigte die Schritte, bis ich einen alten Baum erreicht hatte, der größer war als die Anderen.
Ohne Probleme und ohne Scheu schwang ich mich auf den niedrigsten Ast und kletterte weiter.
Wenn jetzt wer in der Nähe war, würde ich ihn sehen.
Und tatsächlich, auf dem Hauptweg – dem Wildpfad – zu unserem Haus war eine große, weißblonde Gestalt zu erkennen.
Diese Gestalt trug einen schwarzen Mantel, der wegen der Haarfarbe noch dunkler wirkte.
Es war ein Mann, aber ein Vampir, denn seine Schultern waren sehr breit und er bewegte sich flink und schnell.
Ich roch das Adrenalin des Mannes, und wunderte mich.
Das war mein Bruder Jamil.
Aber warum war er so aufgebracht?
Warum hastete er so?
Ich beobachtete ihn weiter, während die Blätter um mich herum raschelten.
Ich war so gut wie Unsichtbar und ich hatte Lust, ihn zu erschrecken.
Grinsend schwang ich mich vom Ast auf dem ich saß zum Nächsten, der zu einem anderen Baum gehörte.
Flink und geschickt wie ein Affe hangelte sich mich von Ast zu Ast, meinen Bruder nicht aus den Augen lassend, immer auf die Richtung des Windes konzentriert, damit mein Geruch mich nicht verriet.
Ich war nur noch wenige Meter von ihm entfernt, mein Grinsen größer denn je, die Hand fest um den Ast. Noch ein paar Sekunden, und er würde direkt unter mir sein.
Ich sprang hinab, landete genau hinter ihm, und griff ihm in die Seiten.
Er schrie auf, stürzte sich herum, und presste seine Hand an meinen Hals.
Ich fiel zu Boden, er über mich, seine Augen mordlustig, sein Gesicht perlweiß.
Moment – was ging hier vor?
Warum tat er dass?
Das tat weh!
“Lass das! Du.. AU! Hey, JAMIL!”
Sein Griff wurde erst fester, dann lockerte er ihn, und schließlich ließ er die Hand fallen. Er reichte sie mir, und half mir auf.
“Was sollte das denn?”, fauchte ich ihn an, rieb mir den Hals und klopfte mir den Staub von den Kleidern.
Er sah immer noch erschrocken aus, sein Blick wild und seltsam hastig.
So kannte ich ihn nicht.
Sein Gesicht war seltsam schlaff ohne das höhnische Grinsen, dass er immer trug. Er fuhr sich fahrig durch die Haare und sein Atmen ging zu schnell.
“Tut mir leid. Ich dachte du wärst.”
Er beendete den Satz nicht, sondern legte seine Arme um mich und zog mich schraubstockartig an seine Brust.
“Hey! Du tust mir weh! Jamil, was ist denn los?!”
Und, zu meinem großen Entsetzen, fing er an zu schluchzen.
Mein Bruder!
Ein Vampir!
So höhnisch!
So ungehallten!
Er.. weinte?
Was war nur geschehen?
Ängstlich lehnte ich mich von ihm weg, um ihn anzusehen.
Er sah fast wahnsinnig aus, viel kindlicher als sonst. Sein Gesicht war so fahl, seine Augen rot und seine Nase gebläht.
“Es tut mir leid, Felia...”, murmelte er.
Er strich mir über das Haar und sah mich an, wie nur ein großer Bruder seine kleine Schwester ansehen konnte.
“Kurz nachdem du aus der Bibliothek gegangen warst – wir haben die Rufe der Bibliothekarin gehört – gab es einen Überfall.
Es waren. Dämonen.”
Jetzt war ich es, die fahl aussah. War jemand verletzt worden?
Wenn ja – wer?
Wer war verletzt – ich wagte nicht, weiter darüber zu denken – dass es Jamil so sehr mitnahm?
“Wie-wie