Shadownight
Blut zu sich nahm, bei seinen größeren Verletzungen, würde er schon mehrere Liter brauchen. Ich beneidete ihn darum nicht. Uns reichte schon eine kleine Menge Blut. Wir waren nicht wie Vampire, die das zum überleben brauchten.
„Wo bist du?“ Mein Bruder war ganz ruhig.
„Hier, in der Hölle“, meinte ich ungeduldig. „Ich brauche Hilfe! Es sind mindestens zwanzig und sie haben Soul bereits schwer verletzt. Sie folgen bestimmt der Blutspur, die wir durch meinen Leichtsinn gelegt haben. Ich werde nicht mit ihnen allein fertig, Dante!“
Sekunden verstrichen.
Ich hörte den Atem meines Bruders. Ich konnte mir vorstellen, wie geschockt er jetzt sein musste. Vampire. Hier.
„Wie-?“
„Das spielt jetzt keine Rolle!“
„Wo seid ihr?“
„BloodHell,“ – der Name des Flusses – „aber schick auch noch zu Leilan eine Gruppe. Ich glaube sie steckt in Schwierigkeiten“
„Wir sind so schnell wie möglich bei euch!“ Damit hatte Dante aufgelegt.
Ich steckte das Handy wieder in die Innentasche meines Mantels.
„Ian?“
Mein Blick war in die Ferne gerichtet.
„Ich hoffe es war dir eine Lehre“, murmelte ich. „Du musst in Zukunft besser trainieren, Kleiner. Davon hängt dein Überleben ab, wenn du auf Vampire triffst. Verstanden Soul?“
Der Blondschopf nickte nur und schien die nächsten Tränen zu unterdrücken.
„Jungs weinen nicht.“
„Aber was ist, wenn Mutter etwas passiert?“
Ich drehte mich mit einem kühlen Lächeln zu ihm um.
„Deine Mutter ist eine der besten Dämonen unserer Zeit, Kleiner.“
Soul stand langsam auf. Die größeren Wunden hatte er nur notdürftig durch Blut schließen lassen. Ich besah ihn kritisch, wand mich dann aber wieder ab.
Ich wartete auf diesen abscheulichen, süßlichen Geruch der Blutsauger.
„Soul, mein Junge!“ Leilan sprintete, ebenfalls in einer Raubkatzengestalt auf uns zu. Sie schien nicht verletzt.
„Schwester“, begrüßte ich sie, als sie sich zurückverwandelt hatte. Ich schloss sie kurz in die Arme, dann schlüpfte sie schon weiter zu ihrem Sohn, der ihr in die Arme fiel.
„Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst auf dich aufpassen!?“, schimpfte sie ihn unter Tränen. „Es war meine Schuld, Leilan. Ich hätte ihn nicht allein nach Hause gehen lassen sollen“
Sie schien gar nicht auf mich zu achten. Soul lag selig in ihren Armen, murmelte ein „Entschuldigung“ und beließ es dabei.
„Du hast Dante von meiner Lage berichtet, nicht wahr, Ian?“ Sie stand nun an meiner Seite. Soul an ihrer Hand.
Ich nickte nur kurz. „Wir müssen alle töten. Wenn einer von ihnen durch das Portal zurück entkommen sollte und das Geheimnis unter den Vampiren verbreitet, müssen wir die Ausflüge in die Menschenwelt drastisch reduzieren. Was genau gesagt unseren langsamen qualvollen Tod bedeuten würde.“
„Es sind nur Vampire. Bastarde, Ian. Sie werden nicht gewinnen. Sie haben in den letzten tausend Jahren nicht gewonnen und diesmal ebenso wenig“
„Das Blatt kann sich schlagartig wenden, Leilan“, murmelte ich nur leise.
Ich konnte sie riechen. Auch der Körper meiner Schwester schien zu erstarren, bei diesem eklig süßen Duft, der von den anderen Kreaturen der Nacht ausging. Soul versteckte sich hinter dem Rücken seiner Mutter.
„Glaubst du nicht, dass du ihn wegbringen solltest?“, meinte ich leise zischend mit einem Blick auf den jungen Dämon. „Er wird leichte Beute sein“
Leilan versuchte sich zu entspannen. „Was ist, wenn Dante nicht rechtzeitig dazu stoßt und du allein kämpfen musst? Du weißt, wir wollen dich nicht verlieren.“
Ich blickte meine Schwester an. Strich über ihre Wange.
„Ich bleibe zwar immer dein kleiner Bruder, Leilan, aber ich bin jetzt erwachsen und kann selbst auf mich aufpassen. Du dagegen, hast einen Sohn, der dich braucht. Nun geh schon.“
Sie sah mich einen Moment lang voller Zweifel an, drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Pass auf dich auf“
Wieder verwandelte sie sich und Soul kletterte auf ihren Rücken. Sie warf mir nochmal einen besorgten Blick zu, dann rannte sie den Fluss hinauf.
Und dann standen 12 Vampire in einer Pfeilformation vor mir.
„Ein einziger“, kam ein zischender Laut vom Anführer der Truppe.
Ich verwandelte mich und nahm meine Kampfstellung ein. Ich fletschte die spitzen Zähne. „Ich habe euch schon sehnsüchtig erwartet, meine Freunde“
Die Vampire setzten ein höhnisches Grinsen auf. „Hübsch ist es hier, Dämon! Wo hast du deine Gefährten gelassen? Haben sie Angst, weil wir in euer äußerst hübsches Reich eingedrungen sind, durch einen Verräter in euren Reihen?“
„Er ist nicht allein!“, ertönte die mächtige Stimme meines Bruders.
Die Dämonen – 18 an der Zahl – kamen von der Seite näher.
Wütendes Zischen unter den Vampiren. Sie starrten mich und dann wieder Dante und seine Gefolgsleute an. Wahrscheinlich waren sie verwirrt, wie ähnlich wir uns doch in der dämonischen Tiergestalt sahen. Auch in unserer humanen Gestalt ähnelten wir uns sehr. Aber Dante war ein Jahr älter als ich, meine Schwester sogar zwei.
Wir Dämonen konnten zwar wie Menschen altern, aber unsere Lebensspanne betrug mehrer Jahrhunderte. Wir waren nicht wie Vampire, die für immer stehen blieben.
Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie die Vampire die Hölle besiedelten. Sie mussten sich nicht in der Menschenwelt verstecken und nur dorthin um sich Nahrung zu verschaffen. Die Flüsse würden austrocknen, da diese Bastarde das blut ihrer Opfer tranken und sie dennoch am Leben ließen! Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Vampire nur ihre Hauer in die Opfer schlugen, tranken und dann verschwanden, ohne dass das Opfer sich an das Geschehene erinnern konnte. Hatten diese Wesen denn nie den Drang zu töten?
Natürlich hatten sie den, aber jetzt mal abgesehen von Dämonen.
Konnten Vampire Tierblut trinken?
Was zum Teufel!? Ich sollte mir nicht so viele Gedanken um diese Blutsauger – unseren Feinden – machen. Aber es wäre trotzdem interessant mehr über ihre Lebensweise zu erfahren. Man brachte uns zwar in frühen Jahren unserer schwarzen Geburt etwas über unsere Feinde bei, aber ob das der Wahrheit entsprach bezweifelte ich manchmal.
Ich hatte den Platz neben meinem Bruder eingenommen.
Die Vampire waren in die Hocke gegangen und gaben zischende, fauchende Laute von sich. Wir entblößten die spitzen Zähne und gaben ein bedrohliches Knurren – manche ein Brüllen – von uns. Sie waren in der Unterzahl. Sie würden keine Chance haben. Oder hatten sie vielleicht noch andere in den Wäldern versteckt?
Ich hatte keine Zeit mehr darüber nachzudenken.
Sie griffen an und wir… konterten.
Ein Vampir und ich kämpften erbittert. Meine Zähne bohrten sich in die steinharte, eiskalte Haut und ich konnte das brechen von Knochen hören.
Mein Gegner heulte auf, aber Zeit um meinen nächsten Angriff auszuweichen hatte der Vampir nicht. Ich biss ihm den Kopf ab und fing an sorgfältig die Gliedmaßen vom Körper abzutrennen.
Meine Gefährten waren ebenfalls bald darauf mit dem Rest fertig. Zurück in unserer humanen Gestalt verbrannten wir die Leichenteile.
Dunkelviolette Rauchsäulen stiegen in unseren grau-schwarze „Himmel“ – eine äußerst absurde Bezeichnung für die Hölle – auf. Es roch abscheulich süß. Ich stöhnte leise. Der Geruch machte mir wirklich zu schaffen, obwohl ich doch schon mehrere Vampire um die Ecke gebracht hatte und ihnen die ewige Ruhe geschenkt hatte.
Warum waren uns diese Bastarde eigentlich dafür nicht dankbar?
Ich sah auf, als mein Bruder die Stimme erhob: „Wir werden die Wälder durchforsten und das Portal schließen, durch das diese Blutsauger eingedrungen sind! Wir wollen nicht noch einmal ungebetene Gäste hier haben!“
Die Truppe stellte keine weiteren Fragen, sondern verschwand augenblicklich um den Befehl auszuführen. Mein Bruder wandte sich nun mir zu, wobei er mich einen Moment lang musterte.
“Wie konnte das passieren, Ian?“
Ich erzählte ihm nur knapp von Soul und mir.
Dante nickte nur. „Hoffentlich ist uns keiner entkommen. Wir können es uns nicht leisten, ihnen dieses Geheimnis kund zu tun.“
“Sie könnten das Portal nicht rufen, Dante. Sie sind keine direkten Höllenwesen.“
“Mag sein, aber sie werden noch besser auf uns lauern um uns zu zwingen, das Portal für sie zu öffnen“
Er hatte Recht. Vor allem was unsere Kinder anging, mussten wir nun sehr vorsichtig sein. Sie besaßen noch nicht die Erfahrung und die richtige Ausbildung um gegen einen Vampir anzukommen. Sie waren leichte Beute. Das hatte Soul bewiesen.
“Ich werde eine Sitzung der Räte einberufen müssen. Wir müssen Vorsichtsmaßnahmen treffen.“
“Verständlich“, stimmte ich zu.
“Sollte das nicht reichen – und ich hoffe, dass es keine solchen Vorfälle mehr geben wird – muss ich Lucifer persönlich aufsuchen. Und ehrlich gesagt habe ich keine Lust diesem zu begegnen.“
Ich starrte ihn an. „Den Herr der Hölle?“
Dante nickte.
Niemand hatte Lucifer je gesehen. Außer einer. Dante.
Lucifer erschien nur, wenn er den nächsten Führer über die Dämonen ernannte und das war mittlerweile 333 Jahre her.
“Und du glaubst, er kommt mal eben so auf einen Kaffee vorbei?“, fragte ich nun spottend und boxte ihm leicht in die Seite.
Dante lachte nun. „Ich glaube ich kann ihn dazu bewegen mich aufzusuchen, Bruder“
“Das würde ich zu gerne sehen“
“Nur blöd, dass er sich dir nicht zeigen wird“
“Das macht die Sache kompliziert, allerdings“
Wir grinsten uns beide an.
Wie ein Spiegelbild.
Aber es dauerte nicht lange, da fiel uns wieder die ernsthafte Lage ein, in der wir steckten.
“Ich möchte, dass du in die reale Welt zurück kehrst.“
Ich seufzte.
“Wenn ich jemanden vertraue dann dir, Ian. Außerdem zählst du zu den Besten unserer Art!“
Ich sah ihn fast schon genervt an. Immer der