Alte Rechnungen
Dicke Luft
Einige Wochen sind vergangen. Das Battelcity-Turnier liegt nun schon eine Weile zurück. Dominocity ist wieder zur Normalität zurückgekehrt. Nur eine Person kann sich einfach nicht damit abfinden.
Seto Kaiba sitzt alleine in seinem Büro und studiert intensiv den Monitor seines Computers. Von seiner sonstigen überlegenen Ausstrahlung ist nichts mehr zu merken. Eine enorme Unruhe hat ihn erfasst und seine Mine ist finster. Schließlich hält er es nicht länger aus. Mit einem energischen Schwung steht er auf und stößt dabei seinen Chefsessel ein gutes Stück von sich weg. Mit grimmigem Gesicht tritt er an die gläserne Fensterfront seines Büros und lässt seinen Blick über die Stadt gleiten.
„Das gibt es einfach nicht! Das kann unmöglich sein!“, schimpft er leise vor sich hin. Fast ein Monat ist seit dem Battelcity-Turnier vergangen und die Erinnerungen daran lassen ihn einfach nicht los. Immer wieder ertappt er sich dabei, wie er eine schlaflose Nacht nach der anderen durchlebt, in der ihn die vergangenen Ereignisse immer wieder heimsuchen und ihn am Einschlafen hindern.
Er hat verloren... schon wieder! Und schon wieder gegen Yugi! Dabei war er sich seiner Sache so sicher. Seine Strategie war doch vollkommen aufgegangen. Er hatte alle Karten so gespielt wie er es vorgesehen hatte. Und trotzdem konnte Yugi ihn wieder schlagen. Er ballt die Faust.
Nicht nur, dass er erneut den Kampf gegen diesen abergläubigen, kleinen Emporkömmling verloren hat, er hat auch sein eigenes Turnier, den Titel des weltbesten Duellmonster-Spielers und zu allem Überfluss auch noch seine ägyptische Götterkarte an ihn verloren. Verflixt, wie konnte mir das nur passieren?, fragt er sich.
Dieses Turnier sollte mein großer Triumph sein. Es sollte ein für alle Mal zeigen, dass ich der beste Duellant bin, den es gibt. Und nun habe ich mich zum Gespött der ganzen Welt gemacht. Und daran ist wiedereinmal nur Yugi schuld! Wenn ich nur wüsste wie er das immer wieder schafft. Wieso gelingt es ihm immer wieder mich zu besiegen? Was macht ihn so anders als die anderen jämmerlichen Verlierer die das Pech hatten, auf mich als Gegner zu treffen?
Kaibas Stirn legt sich in Falten. Könnte es vielleicht wirklich mit diesem lächerlichen Märchen zu tun haben, an dass Yugi sich so verzweifelt klammert? Dass er ein Pharao sein soll, der bereits vor 5000 Jahren gelebt hat? Und sein albernes Gerede vom Herz der Karten, ist das vielleicht auch mehr als ein kindisches Wunschdenken? Ist da vielleicht doch mehr dran, als ich bisher dachte?
Entschieden schüttelt er den Kopf, als wolle er sich selbst davon überzeugen. Nein, das kann nicht stimmen! So etwas gibt es nicht! All diese Bilder die ich auf dem Turnier in meinem Kopf gesehen habe... das muss irgend ein raffinierter Psychotrick gewesen sein. Dieser verrückte Marik muss irgend eine Technik entwickelt haben mit der man Halluzinationen hervorrufen kann. Es muss irgendein Trick gewesen sein! Dieses ganze Gerede von Magie, Bestimmung und Schicksal diente einzig und allein dazu mich zu verunsichern und zu verwirren!
Kaiba schnaubt aus. Aber damit sind sie bei mir an der falschen Adresse! Ich lasse mir von niemandem vorschreiben was ich zu tun habe! Ich weiß genau wer ich bin, ich muss mir das von niemandem einreden lassen! Ich verlasse mich einzig und allein auf meine Intelligenz und mein Können, und da kann mir niemand das Wasser reichen! Ich brauche keine Hilfe, von niemandem! Und ich brauche auch nicht so etwas überflüssiges wie Freunde. Wer es nötig hat sich auf Freunde zu verlassen, ist einfach nur zu schwach um es alleine zu schaffen!
Außerdem besteht dann immer das Risiko, dass einen seine ach so tollen Freunde verraten und im Stich lassen. Eines Tages wird Yugi schon noch feststellen, dass sein Vertrauen in seine Freunde seine größte Schwäche ist, und ich hoffe ich werde es miterleben.
Yugi lebt in einer Traumwelt. Doch ich habe es nicht nötig mich auf andere zu verlassen. Was ich erreicht habe, habe ich alles aus eigener Kraft geschafft und dank dieser Geschichte mit Noah damals konnte ich das sogar meinem Stiefvater beweisen. Selbst er war mir nicht gewachsen. Ich bin der Einzige der es verdient hat die Kaiba-Corporation zu leiten, wer sonst hätte aus dieser Firma das machen können was sie heute ist?
Alles was ich erreicht habe, habe ich durch mein Können und harte Arbeit erreicht. Ich bestimme alleine über mein Schicksal. Das Leben ist ein einziger harter Kampf und nur die Stärksten überleben, genau wie in Duellmonster. Man darf sich keine Schwächen erlauben. Gewinnen ist alles was zählt, Gefühle stehen dem nur im Weg. Ich pfeife auf solche lächerlichen Ideale wie Freundschaft oder Schicksal! Und diese abartige Behauptung, ich hätte etwas mit Yugis mythologischen Fantastereinen zu tun, dass ich ein Hexenmeister im alten Ägypten gewesen wäre, ist einfach vollkommen absurd!
Bei diesen Gedanken beißt Seto Kaiba ärgerlich die Zähne aufeinander. Langsam wendet sich sein Blick seinem Schreibtisch zu. Ein plötzliches Gefühl der Wut überkommt ihn. In diesem Moment bröckelt seine Fassade der eisernen Selbstbeherrschung ab und der Ärger übermannt ihn. Er braucht ein Ventil sonst platzt er.
Mit zwei langen Schritten ist er am Schreibtisch und mit einer wütenden Geste fegt er den Monitor seines Computers vom Tisch, so dass er krachend auf dem Boden zu liegen kommt. Auf dem Bildschirm leuchtet die Großaufnahme einer Duellmonster-Karte auf. Es ist die ägyptische Götterkarte der geflügelte Drache des Ra. Ein paar mal flackert das Bild noch auf, dann gibt der Monitor den Geist auf.
Seto Kaiba atmet tief ein und aus, während er um seine Fassung ringt. Grimmig starrt er auf den kaputten Monitor. Warum, um alles in der Welt, kann ich dann diese alten ägyptischen Schriftzeichen lesen, als wären sie in meiner Muttersprache geschrieben? Wie kann das sein? Das ist einfach unmöglich!
In diesem Moment fliegt die Tür auf und eine vertraute Person kommt hereingelaufen. Es ist Mokuba. „Was ist los, großer Bruder? Was war das gerade für ein Krach? Ist etwas passiert?“, ruft er besorgt. Seto Kaiba wendet sich verstimmt zu ihm um: „Es ist nichts. Nichts was dich interessieren braucht.“ Verwundert blickt Mokuba auf den zerstörten Monitor. Zunächst ist er etwas irritiert. Dann meint er: „Hast du den Computer kaputt gemacht? Ist alles in Ordnung mit dir, Seto?“ Gereizt dreht sein Bruder sich wieder der Fensterfront zu. „Ich sagte doch bereits, dass alles in Ordnung ist. Es ist wirklich nicht nötig, dass du mich weiter mit Fragen löcherst.“
Betreten blickt Mokuba auf den Rücken seines älteren Bruders. „Schon gut, war ja nur eine Frage“, meint er dann. Doch sein Bruder gibt keinen Ton von sich, sondern starrt nur weiter aus dem Fenster. Ein wenig verlegen steht Mokuba in der Mitte des Raumes und weiß nicht was er tun soll. Sein Bruder scheint in keiner guten Stimmung zu sein. Irgendwie muss er versuchen ihn aufzumuntern.
Schließlich fasst er sich ein Herz und versucht es erneut. „Du bist bestimmt noch immer sauer weil du im Battelcity-Turnier nicht gewonnen hast. Aber du musst das nicht so ernst nehmen. Für mich wirst du immer der beste Duellant der Welt bleiben! Schließlich bist du mein Bruder. Beim nächsten Mal gewinnst du bestimmt wieder. Ich bin ganz sicher!“
Seto Kaiba strafft sich. Dann dreht er sich um. Ärger steht ihm im Gesicht. „Du bist ja immer noch hier!“, funkelt er, „Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten. Es ist wirklich nicht nötig, dass du mich auch noch an meine schmähliche Niederlage erinnerst! Ich wurde in meinem eigenen Turnier besiegt, damit habe ich mich zum Gespött der ganzen Welt gemacht und du sagst mir, ich soll das nicht so ernst nehmen?
„Du kannst dir dein unsinniges Mitgefühl wirklich sparen! Zu deiner Information: es interessiert mich kein Stück für was für einen Duellanten du mich hältst! Die Realität sieht nun mal so aus, dass ich ganz offensichtlich nicht der beste Duellant bin. Also hör gefälligst auf, mir irgendetwas anderes einreden zu wollen! Sieh der Wahrheit ins Gesicht, ich werde erst dann der Beste sein, wenn ich endlich Yugi besiegt habe.
„Wach endlich auf! Nur weil ich dein Bruder bin, heißt das noch nicht, dass du mich permanent wie ein kleines Kind anhimmeln musst. Auf solch kindisches Verhalten kann ich gern verzichten! Wie willst du jemals erwachsen werden, wenn du nicht lernst den Blick für die Realität zu behalten. Solche Gefühlsduselei ist das letzte was ich jetzt brauche, also verschone mich gefälligst damit und verschwinde!“
Einen langen Moment herrscht Schweigen. Mokuba starrt seinen Bruder wie vom Donner gerührt an. Sein Gesicht ist bleich geworden und seine Lippen beben. Er hat es doch nur gut gemeint. Nie zuvor ist er von seinem Bruder so heftig runtergeputzt worden. Sein großer Bruder war immer jemand gewesen, zu dem er aufgeschaut hat. Immer hat sein Bruder ihn beschützt und sich für ihn eingesetzt. Dieser Ausbruch kommt so völlig unerwartet.
Nein, nicht wirklich. Mokuba lässt den Kopf sinken. Schon damals auf dem Battelcity-Turnier und in der Virtuellen Realität von Noah gab es immer wieder Hinweise dafür, dass sein Bruder sich verändert hat.
Er ist hart geworden. Hart und unnahbar. Mokuba erinnert sich. Er war einmal anders. Doch sein Lächeln ist an dem Tag verschwunden, als Gozaburo Kaiba sie beide adoptierte. Die Zeit seit dem war hart gewesen und Seto Kaiba wurde ebenfalls hart. Sein kleiner Bruder war der Einzige für den er noch so etwas wie freundschaftliche Gefühle hegte... so dachte Mokuba. Doch die Wahrheit sieht anders aus. Er hätte es längst bemerken müssen. Sogar Yugi und seinen Freunden ist das aufgefallen. Warum nur hat er diese Veränderung an seinem großen Bruder nicht früher bemerkt?
Er weiß