Alte Rechnungen
anderer in deinem Alter hätte dieses ständige Babysitten als eine Last angesehen, aber du nicht. Dir hat es Spaß gemacht. Wenn du bei Mokuba warst, hattest du nur noch Augen für ihn. Mich hast du dann überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Es spielte keine Rolle ob ich da war oder nicht. Ich hätte auch genau so gut zuhause bleiben können. Also entschloss ich mich schließlich nicht mehr zu euch zu kommen. Ich wollte einfach nicht mehr ignoriert werden.“
„Unsinn!“, erwidert Kaiba, „Du warst nur eifersüchtig auf Mokuba, weil ich mehr Zeit mit ihm als mit dir verbrachte und dir somit nicht mehr andauernd zur Verfügung stand.“ Missmutig dreht Kaiba sich weg: „Außerdem, woher willst du wissen, was ich für meinen Bruder empfinde? Als großer Bruder war es meine Pflicht auf ihn aufzupassen, mehr nicht. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun; ein Wort, dass dir wahrscheinlich fremd ist. Du solltest endlich der Wahrheit ins Gesicht sehen und die Verantwortung für dein Handeln übernehmen. Alles hat Konsequenzen, auch Fehler. Das solltest du endlich einsehen!“
Nun wirft Atsumi ihm einen langen, kritischen Blick zu. Dann sagt sie: „Sag mir, Seto, welche Konsequenzen meinst du? Wofür soll ich Verantwortung übernehmen? Ich will, dass du es mir sagst!“ Bei diesen Worten zuckt Kaiba auf einmal kaum merklich zusammen. Für einen Moment scheint er mit sich zu ringen. Dann strafft er sich wieder: „Hör mit diesen Spielchen auf! Ich bin es leid! Komm endlich zum Ende, ich habe heute noch anderes zu tun.“ „Kaiba, der Einzige der dem ein Ende machen kann, bist du selber, merkst du das denn nicht?“, mischt sich nun Yami ein, „Ich bitte dich, was immer damals zwischen Atsumi-san und dir gewesen ist, das hier wird kein Ende haben, ehe ihr beide das nicht geklärt habt!“
„Halt dich da raus, Yugi!“, ruft Kaiba verärgert, „Die Angelegenheit geht dich nicht das Geringste an und nur zu deiner Information: Niemand schreibt mir vor was ich zu tun habe, verstanden, und dieses elende, verlogene Weib schon gar nicht!“
„Lass ihn, Yugi!“, meint Atsumi ruhig, „Das bringt nichts bei ihm! Ach und übrigens: Nenn mich doch bitte Yuki!“ Dabei wirft sie ihm ein zwinkerndes Lächeln zu. Doch gleich darauf ist sie auch schon wieder ernst.
„Ich warte immer noch auf deine Antwort, Seto!“, sagt sie. Doch Kaiba steht nur mit verschränkten Armen da und sagt nichts. Schließlich meint er: „Weißt du was dein Problem ist? Du denkst immer noch, dass alles so laufen muss wie du es dir denkst. Du glaubst ich wäre dir auf jeden Fall eine Antwort schuldig. Doch du irrst dich! Ich schulde dir nichts, denn du hast niemals gelernt Verantwortung für dein Handeln zu übernehmen. Ich im Gegenteil schon.
„Wenn ich einen Fehler mache, habe ich zumindest die Größe es zuzugeben. Vielleicht habe ich Mokuba wirklich zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, aber nicht weil ich dadurch zu wenig Zeit für dich gehabt habe. Ich habe ihn so sehr in Schutz genommen, dass er inzwischen völlig abhängig von mir geworden ist. Er hat noch nicht gelernt, dass die Welt ein harter Ort ist, wo nur die überleben, die in der Lage sind sich selbst zu behaupten. Offenbar war ich bisher einfach zu rücksichtsvoll mit ihm. Das ist ein Fehler den ich mir selber ankreiden muss. Doch diesen Fehler werde ich nicht wieder machen. Im Gegensatz zu dir kann ich mir meine Fehler eingestehen und lerne aus ihnen.
„Ein Gutes hat diese ganze Rückblendensache doch. Mir ist nun klar geworden, was ich in Zukunft besser machen werde. Du wolltest doch, dass ich die Wahrheit erkenne. Nun, das ist passiert. War es das, was du hören wolltest? Können wir das hier nun endlich beenden?“
Ungläubig schauen die drei ihn nun an. Yami kann nicht fassen was er da hört. Das kann doch unmöglich die Lehre sein, die Kaiba aus diesen Ereignissen mitnimmt. Er will noch härter zu sich und Mokuba sein? Was ist denn bloß mit diesem stolzen, jungen Mann los?
Doch ehe er etwas dazu sagen kann, kommt Yuki ihm schon zuvor. „Ach Seto!“, seufzt sie, „Du verstehst es noch immer nicht! Glaubst du wirklich mir geht es nur darum, dass du irgendwelchen Unsinn von dir gibst von dem du glaubst, dass ich ihn hören will?“ Nun reicht es Kaiba aber doch. „Was willst du eigentlich von mir, Yuki?“, ruft er aus, „Womit muss ich dich diesmal zufrieden stellen, dass du mich in Ruhe lässt? Hast du noch nicht genug? Macht es dir immer noch so viel Spaß mich zu quälen und zu demütigen? Was muss ich tun, damit du ein für allemal aus meinem Leben verschwindest?“
Sprachlos starrt Yuki ihn an. Mit solch einer Reaktion hat sie nicht gerechnet. Ihr Gesicht spiegelt nun Traurigkeit wieder. Kaiba ist von seinem plötzlichen Ausbruch ebenfalls überrascht. Ihm wird auf einmal schmerzlich bewusst, dass er weit mehr von sich und seinen Gefühlen preisgegeben hat, als er jemals vorhatte. Verdammt! Wenn man sich mal für einen Augenblick nicht unter Kontrolle hat! Was sollen die anderen nun von ihm denken?
Mit traurigen Augen blickt Yuki ihn an. „Du musst wirklich hart daran gearbeitet haben, mich hassen zu lernen“, sagt sie leise, „Aber was auch immer der Grund ist, das kann keine Entschuldigung sein dafür, was du dir und Mokuba antust.“ „Was ich mir und Mokuba antue?“, fragt Kaiba aufgebracht zurück, „Jetzt mach aber mal nen Punkt! Was ich mache geht dich einen Dreck an und was Mokuba betrifft, ich tue das was das Beste ist für ihn. Ich bereite ihn auf eine harte Realität vor in der Gefühle keine Rolle spielen. Das ist meine Aufgabe als großer Bruder. Es ist meine Verpflichtung und davon kann und wird mich niemand entbinden. Ich weiß schließlich was sich gehört!“
Schweigend hat Yuki ihm zugehört, doch ihre Fäuste sind geballt und sie scheint fast vor Ärger zu beben. Schließlich bricht es aus ihr heraus: „Hör dir doch nur mal selbst zu! Wie kannst du nur so etwas sagen? Er ist dein kleiner Bruder nicht dein Schüler und schon gar nicht dein Stiefsohn! Willst du wirklich das aus ihm machen, was dein Stiefvater aus dir gemacht hat: Eine Person die ihre wahren Gefühle vor sich und der Welt versteckt, gefühlskalt, mitleidslos, selbstgerecht und engstirnig; einen Menschen der nur noch funktioniert, ohne Herz und Seele? Willst du, dass er ebenso einsam wird wie du?“
Kaiba schluckt schwer. Verdammt, warum treffen ihre Worte ihn so? Sie hat doch gar keine Ahnung, nicht die Geringste! Wie soll sie auch wissen, was er all die Jahre durchgemacht hat, was er aufgeben musste und was es ihn gekostet hat, all die Verletzungen und Tiefschläge beiseite zu räumen, die ihm zugefügt wurden; die sie ihm zugefügt hat? Woher nimmt sie sich das Recht, ihn jetzt wieder damit zu konfrontieren und ihm solche ungeheuerlichen Dinge zu unterstellen? Nein, dass er sie hassen gelernt hat, war das Beste was er jemals tun konnte.
„Du maßt dir ganz schön was an!“, bringt Kaiba gepresst hervor, „Aber ich habe es nicht nötig mich vor dir zu rechtfertigen. Was ich getan habe, habe ich getan und ich bereue es nicht, nur damit du es weißt!“
Yuki schüttelt leicht den Kopf: „Ich erkenne dich kaum wieder, Seto. Du bist so kalt geworden. Damals bist du völlig anders gewesen. Offen, selbstlos, herzlich. Warum versuchst du denn nicht einmal, dich daran zu erinnern?“ „Warum sollte ich mich an meine Schwächen zurückerinnern?“, antwortet Kaiba, „Ich bin eher froh, dass ich sie so rasch losgeworden bin“, setzt er giftig nach.
„Schwächen?“, blickt Yuki ihn kritisch an, „Ich werde dir etwas zeigen, mal sehen ob du dann noch immer so denkst.“ Mit diesen Worten vollführt sie eine Handbewegung. Wieder formt sich die Umgebung um sie herum neu. Nur ein paar Schritte weiter ist wieder der Baum zu sehen. Kaibas Augen werden schmal „Du hast doch hoffentlich nicht vor, mir das noch einmal zu zeigen!“, meint er scharf. Doch wie zur Antwort entdecken die vier nun neben dem Baum auf dem Boden zwei Personen: Seto und Yuki. Sie sitzen gerade einträchtig nebeneinander auf der Wiese und scheinen sich zu unterhalten, doch in genau diesem Augenblick ertönt gar nicht weit von ihnen ein schriller Schrei.
Sofort springt der junge Seto auf und ruft besorgt: „Das ist Moki!“ fast panisch schaut er sich um. „Ich kann ihn nirgends sehen!“, ruft er beunruhigt. Nun ist auch Yuki auf die Füße gekommen. „Gerade war er doch noch hier“, meint sie ebenfalls besorgt. „Jetzt ist er aber weg!“, stößt Seto aufgeregt hervor. In diesem Moment ertönt ein neuer Schrei. „Mokuba!“, schreit Seto laut und sprintet auch schon los so schnell ihn seine Beine tragen.
Eilig machen die vier Beobachter sich daran den beiden Kindern zu folgen. Von einer Anhöhe erleben sie erneut den verzweifelten Rettungsversuch den der Junge unternimmt um seinen kleinen Bruder den Fluten zu entreißen. Mit steinerner Mine beobachtet Kaiba wie der tropfendnasse, erschöpfte Junge seinen kleinen Bruder auf das Ufer hievt und zitternd um dessen Leben bettelt. Erst als der Kleine wieder nach Luft schnappt merkt Kaiba, dass auch er den Atem angehalten hat.
Wieder beobachten sie wie die zunächst glückliche Mine des jungen Setos sich zu einem wütenden Blick verzieht und dem erschrockenen Mädchen an der Brückenbrüstung zuruft: „Das ist alles deine Schuld! Hau bloß ab!“ Ebenfalls schweigsam verfolgt Yuki, wie das kleine Mädchen sich nun umdreht und davonläuft. Dann sagt sie leise: „Weißt du eigentlich wie sehr mich das damals verletzt hat?“ Kaiba reißt ruckartig die Augen auf: „Wie sehr es dich verletzt hat? Du schreckst offenbar vor gar nichts zurück, was? Mein kleiner Bruder wäre fast ertrunken! Er war gerade erst fünf und er konnte noch nicht schwimmen. Und ich selbst war erst elf. Als ich ihn endlich am Ufer hatte war ich völlig erschöpft. Viel hat damals