Alte Rechnungen
warum. Er hatte die Augen davor verschlossen. Er wollte es nicht sehen. Seto hat recht, ihm fehlt der Blick für die Realität. Doch nun ist es ihm nur all zu klar. Sein Bruder hat eine Mauer um sich errichtet und er lässt niemanden mehr an sich heran, nicht einmal seinen kleinen Bruder. Die Standpauke eben beweist es.
Mokuba ist niedergeschmettert. Sein Bruder hat mit allem recht. Er hat die Schelte verdient. In Zukunft wird er versuchen sich besser zusammenzureißen. Vielleicht ist sein Bruder dann wieder zufrieden mit ihm.
Er versucht sich einzureden, dass dieser Anschnauzer nur dazu diente ihm seine Schwächen vor Augen zu führen, doch es gelingt ihm nicht. Tief in seinem Inneren spürt er auf einmal eine bodenlose Leere und Verlorenheit. Diese Worte haben ihn härter getroffen als er zugeben will, und es schmerzt ihn sehr, solche Worte aus dem Mund seines Bruders zu hören. Ob er es will oder nicht, er kann nicht verhindern, dass ihm die Tränen in die Augen treten.
„Es tut mir leid, Seto!“, bringt er weinerlich hervor. Noch immer steht sein Bruder mit dem Rücken zu ihm: „Weinen hilft da auch nicht weiter! Reiß dich gefälligst zusammen!“ Mit aller Gewalt versucht Mokuba die Tränen zurückzudrängen die seine Augen zu fluten versuchen. Mit dem harten Handrücken wischt er sich die Feuchtigkeit fort, doch der Kloß in seinem Hals wird nicht weniger.
In diesem Moment betritt einer der Angestellten der Kaiba-Corp das Büro in Begleitung eines weiteren Mannes. „Seto Kaiba, verzeihen sie die Störung, aber hier ist jemand der sie unbedingt sprechen möchte.“
Langsam dreht sich Kaiba um. Seine Mine ist wieder ein Musterbeispiel an Selbstbeherrschung. „Ich schätze es überhaupt nicht, wenn man meine Zeit vergeudet. Ich hoffe also stark, dass es wirklich wichtig ist.“ „Seien sie unbesorgt, Kaiba-san!“, entgegnet der Fremde, „Was ich ihnen mitzuteilen habe, dürfte für sie von großem Interesse sein.“ Unbeeindruckt sieht Kaiba den Mann an: „Das werde ich selbst entscheiden, wenn sie gestatten.“ Mit einem Seitenblick auf Mokuba sagt er: „Siehst du nicht, dass wir hier Geschäfte zu besprechen haben? Du störst!“ Einen Augenblick starrt Mokuba ihn nur mit großen, leicht geröteten Augen an. Dann dreht er sich hastig um und läuft aus dem Büro.
„So, nun können wir zum Geschäftlichen kommen“, sagt Kaiba, „Worum geht es also?“ Er weist dem Fremden einen Stuhl und nimmt selber wieder in seinem Chefsessel platz. „Ich will gleich zur Sache kommen, Kaiba-san, da ich weiß wie knapp ihre Zeit bemessen ist.“ „Das will ich stark hoffen“, lässt sich Kaiba vernehmen.
„Nun gut“, beginnt der Mann, „Ich arbeite für die Firma Gigatech-Enterprise und man hat mich zu ihnen geschickt um ihnen ein Angebot zu machen.“ „Spannen sie mich nicht auf die Folter!“, meint Kaiba dazwischen. „Also gut!“, fährt der Mann fort, „Unsere Firma beschäftigt sich derzeit mit der Entwicklung einer neuartigen Form der Virtuellen Realität. Ein System dass die gesamte VR-Technik revolutionieren wird. Unsere Firmenleitung bietet ihnen nun die einmalige Gelegenheit diese Technik für sich nutzen zu können. Da wir wissen, dass die Kaiba-Corporation ebenfalls mit VR-Technik arbeitet sind wir uns sicher, dass dieses Angebot für sie von großem Interesse sein wird, abgesehen von den technologischen und finanziellen Vorteilen, die es bringen würde.“
Kaiba schnaubt verächtlich. „Wie kommen sie darauf, dass unsere VR-Technik eine Verbesserung bedarf? Die Kaiba-Corp hat es nicht nötig sich außenstehender Technologien zu bedienen. Was soll an ihrer Technik so entschieden anders sein, als an unserer eigenen?“ „Bedauerlicherweise bin ich nicht befugt ihnen darüber nähere Auskunft zu geben“, meint der Mann, „Aber ich habe die Anweisung sie zu einer persönlichen Demonstration in unser Versuchslaboratorium einzuladen. Dort werden sie sich in allen Einzelheiten über die Beschaffenheit und Neuerungen unseres Systems informieren und sich persönlich davon überzeugen können.“
„Für solchen Kinderkram habe ich keine Nerv!“, wert Kaiba ab, „Verschwenden sie nicht länger meine Zeit! Kaiba-Corp hat keinen Bedarf an fremder Technologie.“ Der Mann ergreift seine Aktentasche. „Sehr bedauerlich, dass sie so denken, Kaiba-san. Meine Firmenleitung war der festen Überzeugung, dass sie Interesse zeigen würden, an einem VR-System das mit ihrem Holographiesystem zu kombinieren währe. Meine Vorgesetzten haben eine hohe Meinung von ihnen, deshalb haben sie beschlossen, ihnen zuerst dieses Exklusivangebot zu machen, doch nun werden wir uns eben an die Anbieter anderer VR-Techniken wenden. Ich hoffe für sie, dass sie es nicht einmal bereuen werden unser Angebot ausgeschlagen zu haben“, der Mann erhebt sich, „Verzeihen sie die Störung!“
Kaibas Augen werden schmal. Einen Augenblick ringt er mit sich, dann sagt er: „Warten sie! Ich schätze, einer persönlichen Präsentation dieser Technik beizuwohnen, kann nicht schaden. Hinterlassen sie bei meiner Sekretärin ihre Visitenkarte! Ich werde auf sie zurückkommen!“ Der Mann wendet sich zum Gehen: „Warten sie nicht zu lange, Kaiba-san! Meine Firmenleitung erwartet ihre Entscheidung über einen Besuch innerhalb der nächsten drei Tage.“ Gelassen legt Kaiba die Fingerspitzen aneinander. „Keine Bange! Das Herauszögern von Entscheidungen gehört nicht zu meinem Stil. Ich werde mich spätestens morgen bei ihnen melden.“