Alte Rechnungen
das war die Wahrheit, nicht das was du dir jetzt so krampfhaft einredest!“
Neben dem Baum erscheinen drei Gestalten. Der junge Seto, Yuki und der kleine Mokuba. Doch auf einmal beginnen die Gestalten zu flackern. Yukis Blick geht zu Kaiba, er wirkt ungeheuer konzentriert und vor allem wütend. „Ich will das nicht sehen, verstanden? Und ich lasse es auf keinen Fall zu, dass du mich dazu zwingst!“ Die Gestalten verschwinden wieder, Kaibas Wille ist stärker als das Programm.
Einen Augenblick lang sagt Yuki nichts, dann atmet sie tief durch und geht langsam auf Kaiba zu. Mit einer angewiderten Mine sieht er ihr entgegen, er ist so angespannt, dass er fast zittert. Schließlich steht sie vor ihm. Erst schaut sie ihn nur mit großen, kummervollen Augen an, dann legt sie ihm sanft die ausgestreckte Hand auf die Schulter und sagt: „Seto, lass es einfach geschehen! Du musst es einfach akzeptieren!“
Einen Momentlang herrscht Stille. Unfähig sich zu bewegen starrt Kaiba sie an. Dann plötzlich mit einem scharfen Ausatmen entweicht der verzweifelte Wiederstand aus seinem Körper und kraftlos lässt er den Kopf hängen und wendet sich ab. Die Gestalten unter dem Baum erscheinen wieder.
„Das ist echt toll hier, Seto!“, ruft Mokuba gerade begeistert, „Vielen Dank, dass du mich mitgenommen hast!“ Der junge Seto lächelt mild. „Schon gut Moki, drinnen ist es eh zu öde bei dem schönen Wetter. Yuki und ich waren schon oft hier draußen. Es ist echt klasse hier! Hinter dem Hügel ist sogar ein Fluss.“ „Was wirklich?“, Mokuba bekommt leuchtende Augen. „Ja“, bestätigt Seto, „Du kannst ja was spielen gehen. Ich muss nur kurz was mit Yuki bereden, dann geh ich mit dir zum Fluss runter!“ „Toll!“, ruft Mokuba und strahlt. Er packt seinen kleinen Papierflieger fester und läuft auf die Wiese.
Unsicher schaut Seto zu Yuki hinüber die ihn scheu anlächelt. Zögernd nehmen sie beide neben dem Baum Platz. „Also was willst du mir sagen?“, fragt Yuki schüchtern. „Na ja...“, meint Seto nun und druckst etwas herum. Dann fasst er sich ein Herz. „Weißt du, ich wollte dir nur sagen, dass ich dir dankbar bin, dass du immer noch mit mir spielst. Ich weiß ja, dass ich nicht mehr so viel Zeit für dich habe, seit mein kleiner Bruder da ist.
„Meine Eltern sind ja nur so selten da und da muss ich ja immer auf ihn aufpassen. Du bist die Einzige die überhaupt noch mit mir spielt. Die anderen Kinder aus meiner Klasse, haben keine Lust darauf zu warten, dass ich irgendwann mal Zeit habe, aber zu dir darf ich immer kommen. Dafür wollte ich dir danken!“
Verdattert schaut das kleine Mädchen ihn an. Schließlich fängt sie sich wieder. „Das... ist doch kein Problem, Seto! Schließlich sind wird doch Freunde und ich... hab dich wirklich gerne! Mit mir will doch sonst auch keiner spielen, die denken doch alle nur weil ich in einer Villa wohne, wäre ich ein Snob, dabei kann ich doch nichts dafür, dass mein Vater so reich ist. Aber mit dir kann man immer so toll spielen, und du bist so ein... lieber Kerl, und du passt immer so gut auf deinen kleinen Bruder auf, das find ich echt toll!“
Verlegen schaut der junge Seto zur Seite: „Ach was, du bist doch kein Snob, Yuki!“, meint er, „Mit dir kann man auch ganz toll spielen. Und ich... hab dich wirklich auch ganz gerne!“ Mit großen, grünen Augen schaut sie ihn an: „Ist das wahr?“ Seto nickt schüchtern. Dann kramt er in seiner Hosentasche und nach kurzem Suchen und umständlichen Verrenkungen fördert er einen kleinen Gegenstand zutage.
„Ich... hab hier etwas für dich! Als Dank dafür, dass du mir den Weißen Drachen mit eiskaltem Blick schenken willst, sobald du ihn hast. Es ist... nichts besonderes und es ist auch kein bisschen so viel wert wie der Drache, aber ich möchte trotzdem, dass du ihn bekommst. Er soll zeigen... wie viel du mir bedeutest und wie dankbar ich dafür bin, dich zur Freundin zu haben!“
Mit einem schüchternen Lächeln streckt der junge Seto seine offene Hand aus. Yukis Augen werden groß. In seiner Handfläche liegt ein kleiner, glitzernder Plastikring mit einem roten Stein. Behutsam nimmt sie den Ring in die Hand. „Seto!“, haucht sie ungläubig, „Der ist ja wunderschön! Vielen, vielen Dank!“ Man kann sehen wie zufrieden der Junge mit ihrer Reaktion ist; ein schwerer Stein scheint ihm vom Herzen zu fallen. Rasch steckt das Mädchen den Ring an den Finger; er passt wie angegossen.
„Den wird ich von nun an immer tragen!“, ruft sie entzückt aus, „Ich weiß gar nicht wie ich dir danken soll, Seto! Du bist wirklich der aller, allerliebste Freund den man haben kann!“ Mit diesen Worten beugt sie sich zu ihm hin und noch ehe er weiß wie ihm geschieht, hat sie ihm einen herzlichen Kuss auf die Wange gedrückt.
Seto errötet, er kann es nicht verhindern. Mit knallrotem Gesicht wendet er sich ab. „Es freut mich, wenn er dir gefällt“, sagt er verlegen. Dann atmet er einmal tief durch und schaut sie wieder an. Behutsam nimmt er ihre Hand mit dem Ring in die Hand und meint dann: „Ich möchte, dass dich dieser Ring immer an unsere Freundschaft erinnert und egal was passiert, wir werden immer Freunde bleiben, das verspreche ich dir!“ Dabei schaut er ihr fest in die Augen.
Die junge Yuki erwidert seinen Blick. In seinen wasserblauen Augen ist nichts als offene Herzlichkeit und Arglosigkeit zu erkennen. Zunächst bringt sie kein Wort heraus, dann drückt sie seine Hand etwas fester: „Versprochen!“
In genau diesem Augenblick ertönt ein spitzer Schrei und beide Gesichter fahren erschrocken herum. Doch im gleichen Moment friert die Szenerie ein und verblasst dann langsam. Aufmerksam haben die vier Beobachter das Geschehen verfolgt. Nun wenden sich alle Blicke Kaiba zu.
Mit gesenktem Kopf steht der junge Mann da. Sein Gesicht ist nicht zu erkennen, aber seine Haltung wirkt kraftlos und er atmet tief ein und aus, als ringe er um seine Fassung. Eine bedrückende Stille liegt über der Ebene. Schließlich bricht Yuki das Schweigen. „Glaubst du mir immer noch nicht, dass wir Freunde waren, Seto?“, fragt sie behutsam.
Nun hebt Kaiba den Kopf. Um seine Mundwinkel zuckt es merklich. Einmal noch atmet er tief ein, dann sagt er mit unverkennbarer Bitterkeit in der Stimme: „Doch, ich weiß, dass wir mal Freunde waren. Das wusste ich die ganze Zeit. Aber seit dem Tag als wir uns zum letzten Mal gesehen haben, habe ich alles versucht um das zu vergessen.
„Besonders diesen Tag wollte ich aus meinem Gedächtnis streichen. Es war der Tag meines Lebens, den ich im nachhinein am meisten bereut habe.“ „Weil du mich nach dem Vorfall im Fluss, so sehr vor den Kopf gestoßen hast?“, fragt Yuki, „Weil du mir nur ein paar Minuten zuvor versprochen hattest, dass wir immer Freunde bleiben würden, ganz gleich was geschieht, und mich dann danach voller Verachtung davongejagt hast?“
Bitter lacht Kaiba auf: „Ganz sicher nicht! Es war ja deine Schuld! Zumindest... hab ich mir das eingeredet.“ Mit leidvoller Mine wendet er den Blick ab. „Im Grunde wusste ich immer, dass es meine Schuld war. Ich hätte auf Mokuba besser aufpassen müssen! Ich war schließlich für ihn verantwortlich. Aber... ich wollte unbedingt einmal etwas Zeit mit dir allein verbringen.
„Ich hatte solche Schuldgefühle, dass ich dich so lange vernachlässigt hatte und ich wollte es wieder gut machen. Mir waren meine eigenen Wünsche wichtiger als Mokuba und so war es mir egal was er machte, solange es nur für einen Augenblick zwischen uns sein konnte wie zu der Zeit wo er noch nicht da war.
„Aber weil ich so egoistisch war, hätte ich beinah meinen kleinen Bruder verloren. Ich habe mir hinterher solche Vorwürfe gemacht. Der Gedanke, ihn zu verlieren, hat mir fast den Verstand geraubt und auch die Tatsache, dass ich dann dafür verantwortlich wäre. Also redete ich mir ein, dass das Ganze deine Schuld war, denn schließlich warst ja du der Grund dafür, weshalb ich mich nicht um meinen Bruder gekümmert habe. Hinterher kam ich mir dumm und töricht vor, deine Gesellschaft vor die Sicherheit und das Wohlergehen meines kleinen Bruders gestellt zu haben und wie sich später herausstellte, war mein Gefühl ja richtig!“
Beunruhigt schaut Yuki ihn an. „Was meinst du damit?“ Sie kommt einen Schritt näher. „Seto, sag mir endlich was mit dir los ist! Ich bitte dich, rede mit mir! Was hat dich so sehr verletzt, dass du es für besser gehalten hast, unsere Freundschaft für immer aus deinem Gedächtnis zu verdrängen?“
Scharf funkelt Kaiba sie an. „Tu doch nicht, als wüsstest du das nicht!“ Mit großen kummervollen Augen hält sie seinem Blick stand, aber sie sagt nichts. „Du willst es wirklich wissen?“, zischt Kaiba, „Ich zeig es dir!“
In die Landschaft um sie kommt Bewegung. Ein heftiger Wind kommt auf der die vier beinah von den Füßen fegt. Yami und Noah haben alle Mühe nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Schließlich kommt die Kulisse wieder zur Ruhe.
Vor ihnen sehen sie erneut das Waisenhaus in dem Seto und sein kleiner Bruder nach dem Tod ihrer Eltern eine Zeitlang verbracht haben. Auf dem kleinen, asphaltierten Spielplatz daneben sehen sie zwei Gestalten: Yuki und Seto. Gerade sagt das Mädchen: „Wer möchte schon mit einer Heulsuse wie dir befreundet sein? Zeig mir erst mal, dass du nicht so ein Weichling bist wie ich immer dachte.“ Dann wendet sie sich kühl ab und geht davon. „Vorher werd ich dich auch nicht mehr besuchen kommen. Leb wohl Seto!“
Erneut beobachten Kaiba und die anderen wie der kleine Junge auf der Schaukel mit Tränen in den Augen und schniefender Nase ihr hinterher blickt. „Nein geh nicht!“, flüstert er, „Ich kann auch anders sein. Ich kann mich verbessern. Eines Tages werde ich es wert sein, dein Freund zu sein!“
Doch das Mädchen, dass mit