Alte Rechnungen
Aussprache
Die digitale Tür öffnet sich und heraus tritt Yuki, gefolgt von einem ziemlich überrumpelten Seto der ihr hinterdreinstolpert. Kaum sind sie hindurchgetreten, als die Tür auch schon wieder verschwindet. Sie stehen auf einer hellen Waldlichtung und um sie her befindet sich ein lichter Laubwald. Verstimmt richtet Seto sich wieder auf. „Was soll das jetzt wieder?“ Nun dreht sie sich zu ihm um und schaut ihn fest an. „Wir müssen reden, Seto!“ Finster erwidert er ihren Blick: „Wir reden schon die ganze Zeit und gebracht hat es nichts, außer schmerzvollen Erinnerungen.“
Sie nickt traurig: „Ich weiß! Und ich kann dir gar nicht sagen wie leid mir das tut. Aber du hast recht. Ich schulde dir eine ehrliche Erklärung dafür.“ Skeptisch blickt der junge Mann sie an: „Da bin ich jetzt aber mal gespannt!“
Sie schluckt einmal schwer. „Weißt du, ich habe dich immer bewundert. Schon vom ersten Tag als wir uns getroffen haben. Du warst unglaublich intelligent und so begabt und genial was jegliche Art von Spiel anging. Man sagte mir zwar auch nach, dass ich hochbegabt sei, aber du hast mich um Längen übertroffen.“ Kritisch lauscht er ihren Worten.
„Man hätte annehmen können, dass ich deshalb eifersüchtig auf dich gewesen bin, aber das war nicht so. Ich habe höchstens mit dir konkurriert.“ Sie hebt den Blick und schaut ihn direkt an. „Im Grunde hat es mit tierischen Spaß gemacht mit einem so ausgezeichneten Spieler zu spielen. Und ich wusste, ich würde niemals deine Klasse erreichen.
„Zunächst habe ich nur dein Talent bewundert, doch dann wurde Mokuba geboren. Ich gebe ja zu, dass ich erst wirklich eifersüchtig auf ihn war, schließlich hatte er nun deine ganze Aufmerksamkeit und Zuneigung. Aber dann mit der Zeit... habe ich gesehen wie liebevoll du mit ihm umgegangen bist und wie rücksichtsvoll, verantwortungsvoll und erwachsen du dich immer verhalten hast und ich war unglaublich beeindruckt davon.“
Schweigend hört Seto ihr zu. Auf einmal fällt ihm einfach keine bissige Bemerkung mehr dazu ein. Stattdessen kriecht nun ein recht mulmiges Gefühl in ihm auf. Worauf will sie eigentlich hinaus? Was will sie sagen und will er es überhaupt hören? Eigentlich nicht wirklich... oder doch? Doch sie fährt schon fort.
„Warum ich immer seltener zu euch gekommen bin, hab ich dir schon erklärt, aber trotzdem bist du doch, immer wenn du mal Zeit hattest, zu uns rüber gekommen. Es hat mir so viel Spaß gebracht, Zeit mit dir zu verbringen, dass ich alles dafür getan hätte, dass das so bleibt. Du warst immer so freundlich und großherzig und ich hatte Angst, dass du vielleicht irgendwann beschließen könntest, dass dir dein Bruder doch wichtiger war als ich. Darum beschloss ich dir den Weißen Drachen mit eiskaltem Blick zu schenken. Ich hoffte, dass wir dann immer Freunde sein könnten. Und als ich dann sah wie sehr er dir gefiel, wusste ich, dass ich mich richtig entschieden hatte. Ich konnte doch damals nicht ahnen, dass niemals etwas daraus werden würde.
„Und dann am Fluss damals...“, sie atmet tief durch, „Mokuba war endlich alt genug, dass du mit ihm zusammen irgendwo hin konntest, also beschlossen wir alle zusammen das schöne Wetter auszunutzen und zum Fluss zu gehen, wo wir beide schon so oft zusammen gespielt hatten. Keiner von uns hätte ahnen können, was für eine schlimme Wendung das noch nehmen sollte.
„Nachdem du dich so schrecklich über die versprochene Karte gefreut hast, war mir klar, dass ich mir wegen Mokuba keine Sorgen machen brauchte. Er war dein kleiner Bruder den du über alles geliebt hast und ich war deine beste Freundin. Und ich akzeptierte, dass dein Bruder einfach für dich an erster Stelle kam. Es machte mir nichts mehr aus. Mir reichte schon, dass du glücklich warst.
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, was mir deine Worte und der Ring den du mir dann an diesem Baum geschenkt hast, bedeutet haben. In dem Moment war mir klar... ,dass wir immer Freunde sein würden.“ Sie schlägt den Blick nieder. Eine Träne stielt sich aus ihrem Auge und rollt über ihre Wange.
Seto schluckt schwer. Sein Herz klopft bis zum Hals und er kann es einfach nicht verhindern. Warum wühlt ihn ihr Bericht so auf? Es ist noch keine fünf Minuten her, da hat er sie von ganzem Herzen gehasst. Er wird einfach nicht schlau aus ihr. Ihr Verhalten ist für ihn vollkommen unverständlich. Sie ist es doch, die für all das Leid in seinem Leben verantwortlich ist und nachdem sie ihn heute am laufenden Bad gequält und gedemütigt hat, steht sie hier und erzählt ihm wie sehr sie ihn mal bewundert hat. Er weiß einfach nicht was er davon halten soll und das irritiert ihn sehr.
Besonders die Tränen in ihrem Gesicht geben ihm Rätsel auf. Immerhin hat sie ihm Unrecht zugefügt und nicht umgekehrt, wie man ihren Worten entnehmen kann. Eigentlich hätte er alles Recht dazu zu weinen, was er natürlich nicht tun wird, obwohl er sich zu seinem Leidwesen eingestehen muss, dass ihm durchaus danach zumute ist.
Letztendlich beschließt er sich einfach Gewissheit zu verschaffen. „Wenn das wirklich stimmt was du sagst“, meint er, „dann versteh ich umso weniger warum du mich nicht zum Bruder haben wolltest. Wenn du tatsächlich so... beeindruckt von mir warst, was hätte ich denn sonst noch tun müssen um es wert zu sein, dein Bruder zu werden?“
Mit großen Augen blickt Yuki auf. „Es wert sein? Oh Seto, verstehst du es denn noch immer nicht? Du wärst es mehr als wert gewesen!“ Verständnislos schüttelt Seto den Kopf: „Aber warum um alles in der Welt wolltest du es dann nicht?“ „Weil...“, Yukis Augen werden erneut von Tränen geschwemmt, „Weil ich... ich konnte unmöglich...“, sie kneift die Augen zusammen und wendet den Kopf ab.
Maßlos irritiert und hilflos steht Seto da. Was soll das? Ist ihm irgendetwas entgangen? Warum gelingt es ihm einfach nicht zu verstehen was sie meint und warum hat er plötzlich den Wunsch sie irgendwie zu trösten? Zögernd tritt er auf sie zu. Unsicher berührt er sie an der Schulter. „Was konntest du unmöglich?“, fragt er. Noch immer mit gesenktem Blick hebt sie ihre Hand und umschließt die Finger seiner Hand auf ihrer Schulter. Kaum merklich zuckt Seto zusammen. Nun hebt sie den Blick und blickt ihn unverwandt an. Ihr Gesicht ist nass von Tränen aber in ihren Augen liegt ein sonderbarer Glanz. „Ich... konnte mich unmöglich damit abfinden, dass wir beide dann... nur Bruder und Schwester wären.“
Setos Herz rast. Unfähig sich zu bewegen oder etwas zu sagen starrt er sie an. Hat er das gerade eben wirklich richtig verstanden? Ist es wirklich das was er denkt? Aber das kann doch gar nicht sein! All die Jahre über hat er sie für ihre Herzlosigkeit gehasst und nun stellt sich heraus, dass sie es getan hat weil... Bei dem Gedanken bleibt ihm schier die Luft weg.
Auch Yuki hat seine Reaktion bemerkt und Furcht steigt ihr ins Gesicht. „Oh bitte Seto, ich hoffe du hasst mich jetzt nicht deswegen!“, fleht sie, „Es reicht doch, dass du mich all die Jahre über gehasst hast, während ich einfach nicht aufhören konnte an dich zu denken. Ich weiß ich hatte deinen Hass verdient und vielleicht war es wirklich egoistisch von mir dir aus diesem Grund nicht zu helfen. Aber... ich konnte einfach nicht anders!
„Ob du es glaubst oder nicht, aber an dem Tag als wir uns das letzte Mal gesehen haben... Du kannst dir kaum vorstellen, was es mich an Überwindung gekostet hat dir solche harten Worte sagen zu müssen. Ich bin damals nur deshalb so rasch verschwunden, weil ich mich nicht länger zusammenreißen konnte. Was die Simulation dir vorhin nicht zeigen konnte, waren die Tränen die ich deswegen vergossen habe, es hat mir fast das Herz zerrissen, so kalt zu dir zu sein. Ich konnte ja damals nicht ahnen, dass ich dir damit weitaus schlimmeres antun würde.“
Nun ergreift sie seine Hand und hält sie mit beiden Händen fest, ihr durchdringender Blick hat etwas so Flehendes, dass es Seto durch Mark und Bein geht. „Ich habe dich so sehr bewundert für deine Intelligenz und deine Reife und deine Warmherzigkeit. Ich war der festen Überzeugung, dass du es auf jeden Fall schaffen würdest aus diesem Waisenhaus herauszukommen, für mich gab es nichts was du nicht hättest schaffen können. Und du hast es tatsächlich geschafft! Du gehörst nun zu den erfolgreichsten, wohlhabendsten und einflussreichsten Menschen der Welt. Ich hätte es auch nicht anders von dir erwartet.
„Aber als ich dann erkannte um welchen Preis das geschehen ist, war ich am Boden zerstört. Ich konnte einfach nicht fassen, dass aus dir solch eine skrupellose, hartherzige und überhebliche Person geworden war. Das hat mir schier das Herz gebrochen, denn ich wusste meine Entscheidung damals war dafür verantwortlich. Ich habe dich zu der Person gemacht die du heute bist. Ich habe all das an dir verletzt und zerstört was ich so sehr an dir... geliebt habe.“
Sie bricht ab. Erneut laufen ihr Tränen über das Gesicht. Mit schwerer Stimme fährt sie fort: „All die Jahre seit dem hab ich verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht um das wieder rückgängig zu machen. Ich hab dich und deine Aktivitäten immer im Auge behalten und ich habe von ganzem Herzen gehasst was aus dir geworden ist..., was ich aus dir gemacht habe.
„Aber dich konnte ich nicht hassen, das konnte ich nie, auch nicht nach allem was du getan hast. Und mir wurde klar, wenn du jemals in der Lage sein solltest mir zu vergeben oder mir auch nur wieder Beachtung zu schenken, dann musste ich jemand werden, der deiner wert war.
„Also arbeitete ich hart um meine Firma aufzubauen. Ich wollte dich unbedingt beeindrucken, so dass du mich wieder zur Kenntnis nimmst. Und ich begann diese Technik zu entwickeln