Harmonie der Stille im Schnee
--eine Erfahrung an einem 23.12.--
Die Stille, sie war absolut.
Absolute Stille
Ein wunderbarer Zauber liegt über der kleinen Stadt, die so klein ist, dass ihr Name nicht genannt werden kann. Denn kaum würde man jenen Namen nennen, würde man ihn wieder vergessen haben.
Vergessen. Ja, diese Sache mit dem Vergessen war schon so eine Sache., und immer war sie gleich. Doch irrwitzigerweise kam man einfach nicht dagegen an. Geschäftiges Treiben, und plötzlich hält man nur für zwei Momente und ... der Gedanke ist weg. Weg.
Als wäre er niemals da gewesen.
Kleine Fußspuren von Vögeln im Schnee,
Katzen, die versuchen die Kälte zu meiden,
Tropfen vom warmen Tee und Glühwein auf dem weißen Boden.
Kleine Kinder rennen lachend und kreischend durcheinander, seifen sich mit Schnee ein. Vielleicht werden sie zu nass, kommen nicht schnell genug ins Trockene und holen sich eine Erkältung ... doch ist egal in jenem Moment.
Das einzige was zählt, ist der Zauber des Schnees.
Kennt ihr das Gefühl, wenn man morgens durch den Schnee geht? Man merkt, er fällt, doch er ist ungehört. Leise, mehr als leise, still ... nicht hörbar, ungehört . Wie kommt es, dass Schnee so leise ist?
Inmitten dieser Stille, steht man unter der schummerig leuchtenden Straßenlaterne, um die Uhrzeit abzulesen. Man wollte nur einen Moment stehen bleiben, eigentlich hastig weiter ... doch plötzlich erklingt die Turmuhr:
sanft
leise
beruhigend
wie Schnee. Eine wunderschöne Melodie, die das erstarrte Herz trotz der Kälte tauen, und den hastigen Menschen innehalten lässt. Die vollkommene Harmonie des Moments ist absolut ... wie Schnee. Ein Moment, der in deinem Herzen wiederklingt.
Die Stille, der Moment ist absolut.
Inmitten auf diesem Platz, mit den vielen, lachenden Menschen, den vielen Spuren im Schnee und der Harmonie des „Glücklichseins“ , stehe ich unter jener Laterne, und bemerke die Stille des Moments, in dem die anderen glücklich sind, obwohl sie über den Platz hasten. Inmitten dieser Menschen, ich, eine kleine, unscheinbare Figur ... diese besinnliche Stille ist wie ein Käfig.
Jene Stille, die eigentlich besinnlich sein sollte, die uns unsere innere Zufriedenheit finden lassen sollte ...
Ich jedoch finde nur Leere.
Leise stehe ich dort, an jener Laterne gelehnt, und schaue dem fallenden Schnee im schummrigen Laternenlicht entgegen. Er fällt ganz leise, man sieht ihn kommen, man hört ihn nicht und ... er schmilzt in meinem Gesicht. Den Tränen gleich, liegt er auf meinem Gesicht, fällt zu Boden.
Trotzig blickte ich dem Schnee entgegen, bemerke meine glückliche Umgebung nicht. Nachdenklich runzle ich die Stirn, bemerke das Wasser in meinem Gesicht nicht, was sich zusehends mit den Salz meiner Tränen mischt ... doch ich bemerke es nicht. Meine durchnässte Kleidung, meine nassen Schuhe, die kalten klebrig-feuchten Socken, dich mich bis in mein Innerstes erzittern lassen.
Doch ich bemerke es nicht.
Jene eine Person, die ich gefunden hatte, doch die mich wieder verließ. Seit Jahren konnte ich nicht mehr weinen ... Ich war nicht „Ich“. Naja, ich war schon „ich“, aber eben nicht das „volle Ich“. Man weiß sicher schon, was ich meine.
Ich weiß nicht, wie lang es gedauert haben muss, bis ich mich von dieser Laterne losriss. Auf jeden Fall hat es eine kleine halbe, gefühlte Ewigkeit gedauert, bis ich wieder in der Realität ankam und bemerkte, dass nun ich mir garantiert eher einen Schnupfen holen würde als jene kleinen, fröhlich ihre Schneeballschlacht spielenden Kinder, die sich dort vorm Rathaus eingeseift hatten.
Seufzend saß ich auf meinem Sofa, mit einer Tasse Tee mit Milch, meiner liebsten Kuscheldecke und einer Packung Taschentücher, die mich sicher durch die nächsten paar Tage unentwegt begleiten würden. Geschäftig richtete ich mir alles; das Buch lag bereit, die Decke wurde gerichtet. Doch schnell, gerade als ich mit einem Seufzer nach dem Buch greifen wollte, erstarrte ich mitten in der Bewegung.
In meine Augen trat wieder jene Leere.
Dabei machte Schnee doch offensichtlich die anderen Menschen alle glücklich?
Ich verstand es einfach nicht.
Ich verstand alles nicht.
Ich verstand mich nicht.
„Ich bin doch bald wieder da.“
Kleiner Abschiedskuss, kleine Ermahnung wie „Fahr vorsichtig.“, „Grüße an die Arbeitskollegen.“, ein kleines Winken. Doch das, was wirklich groß in jenem Moment war, war die Sehnsucht, die einsetzte, noch eh die letzte Berührung mit ihm vorbei war.
Die Sehnsucht nach ihm.
Der Schnee hatte angefangen zu fallen, als er fuhr. Es war ein kalter, klarer Morgen gewesen, Vorbote des ersten Schnees. Kaum fuhr er fort, bemerkte ich die Kälte, die an meinen Füßen hochkroch, und ich ging zurück ins Haus. Froher Dinge schlug ich die Haustür zu. Tick Tac. Tick Tac. Das einzige, was die Stille störte, war jenes grässliche Monstrum einer Uhr, was er mit in diese Wohnung gebracht hatte. Er, der jene Uhr nun hier zurückließ, mit mir.
Es gibt drei verschiedene Arten von Stille.
Die Erste war jene Stille zwischen zwei Liebenden, die in stillem Einverständnis sich zu sagen schienen „Ich liebe dich.“
Die Zweite war jene Stille zwischen zwei Diskussionsparteien, die sich in einem hitzigen Augenduell anstarrten.
Die Dritte war jene, in der er mich zurückließ. Jene unerträgliche Stille, die dann eintritt, wenn zwei Liebende merken, es ist vorbei, es ist bereits alles gesagt; die dann eintritt, wenn in einem hitzigen Duell plötzlich der eine beschämt zu Boden blickt, und der andere das Ausmaß seiner Dreistigkeit erkennt.
Es ist jene Stille, die nicht gefüllt werden muss, sondern die eine, die sich von selbst füllt; die sich ausbreitet wie ein Stück Gummi, bereit jedes kleinste Stück Platz zu kriegen, den es kriegen kann.
Sie ist aufdringlich, und man kann sich noch nicht einmal wehren.
Jene Stille, die einem die Luft zum Atmen nahm, die einen in sich zusammenrollen ließ, und bewegungsunfähig machte.
Dies war die Leere, in der er mich zurückließ.
„Hallo, hier bin ich wieder.“
Freudig und leise lächelte ich, und beugte mich aus der Küche hervor. Es roch nach gebratenen Pilzen und Fleisch, während ich mich nach seiner Fahrt erkundigte. Die Wohnung roch wieder nach „Zweisamkeit“ und „Harmonie“. Eine Stille der ersten Natur.
Doch dies war nur so, als er noch da war.
Und ich lächelte leise traurig, als ich die Ironie des Ganzen erkannte.
Die Stille des Schnees war eine Stille der harmonischen Natur. Es war die erste Stille.
Die Stille meiner Wohnung war eine Stille der aufdringlichen Natur. Sie war die dritte Stille.
Er war gefahren, als es anfing zu schneien, doch es schneite schon zu lang. Was war passiert? Ich hatte mein Gefühl für Zeit verloren. Ich nahm die Welt nicht mehr wahr. Das einzige was zählte, war sein Verlust.
„Ich bin wieder da.“
Überrascht blickte ich auf. Ich hatte doch abgeschlossen ... mit einem Seufzer und nicht ohne eine Spur der Gleichgültigkeit erwachte ich aus meiner Starre, begann mich aus meiner Decke zu schälen. Wer sollte das schon sein? Ich rechnete nicht mit jemand großartigem. „Hallo, was kann ich für Sie tun?“ - „Ich bin der neue Mieter von nebenan.“ Überrascht blickte ich auf, vergaß etwas zu sagen. Dann lächelte ich leise.
Es war schon damals eine Stille harmonischer Natur gewesen.
„Ich bin wieder da.“
Überrascht blicke ich auf. Ich hab doch abgeschlossen ... Komisch, wer kann das denn um diese Uhrzeit noch sein? Langsam gehe ich zur Tür, bis ich überrascht stehenbleibe. Lasse vor Schrecken die Decke fallen.
„Was ist? Kein Lächeln, keine Umarmung?“
Dort steht er, leibhaftig, und ist wieder da. Wie konnte das sein? War er doch nicht so lange weg gewesen?
Und mit einem Mal durchläuft mich ein Ruck. Setze mich in Bewegung und falle lächelnd in seine Arme.
„Da bist du ja wieder.“, sage ich leise.
Es klingt ein wenig heiser. Erst da fällt mir auf, dass es die ersten Worte sind, die ich seit langem zu reden scheine.
Doch es ist egal. Er hält mich nur im Arm und wärmt meinen zitternden Körper.
Erst jetzt, in Nachhinhein, begreife ich. Er war gar nicht lange fort, noch nicht einmal einen Tag ist es her, als er gegangen war. Doch im Schnee des Platzes vergaß ich alles um mich herum, als ich unter jener Laterne stand. Vor allem aber vergaß ich die Zeit, denn es war die Stille die mich gefangen hielt.
Und ja, es war eine Stille erster Natur. So wie auch jetzt.
Die absolute Stille.
Der Moment der Harmonie.
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Hallo,
da ihr nun am Ende seid, hoffe ich, dass es euch gefallen hat. Nur um das klarzustellen ... die Ich-Perspektive bezieht sich nicht auf mich >.< Nicht, dass ihr etwas missversteht. natürlich fließt meine Erfahrung mit ein, doch trotzdem bin "Ich" das nicht 1:1.
Naja, genug der Worte ... ich bitte umkonstruktive Kritik (und wenn ich nichts zu meckern findet ... schreibt auch einen Kommi ;D)
liebe Grüße, eure hydrangea