Eine Reise mit Folgen
verspeisten es.
Max beobachtete Nils verstohlen aus den Augenwinkeln. Sein Kumpel war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Nicht nur, dass sein Mitreisender nicht sehr gesprächig war, sondern auch, weil viele Gerüchte sich um ihn rankten. Eins dieser Gerüchte war, und das hielt Max für absurd, dass Nils mit einem Jungen zusammen war, aber hundertprozentig war er sich nicht sicher. So fragte er Nils nach etwas anderem, um dadurch auf seine eigentliche Frage zu kommen.
“Sag mal, was hältst du eigentlich wirklich von unserer Klasse und von unseren Klassenlehrern?“
Nils sah von seinem Reis auf und legte sich den Teller mit dem Reis auf seinen Schoß.
“Diese Klasse ist ein Haufen von Chaoten, Deppen und Neunmalklugen. Unsere Klassenlehrerin könnte man gut mit einer Frau in schwarzer Lack- und Lederkleidung mit Peitsche vergleichen und unseren Klassenlehrer als einen kleinen Schisser, der sich immer von unserer Klassenlehrerin unterbuttern lässt. Ich hasse und verachte sie. Du müsstest mal in den Wahlpflichtkunstkurs kommen, die Schüler der anderen Klassen regen sich auch ständig über die Schüler in meiner Klasse auf. Mit denen aus dem Kunstkurs kann ich mich wenigstens vernünftig unterhalten.“ Sagte Nils und schaufelte sich weiter den Reis in den Mund.
Max nickte und fragte dann weiter.
“Warum redest du denn nur mit denen aus deinem Kunstkurs? Warum nicht mit den Schülern aus unserer Klasse?“
Nils sah ihn scharf an, schluckte den Reis, den er noch im Mund hatte, herunter und antwortete, doch jetzt klang seine Stimme bitter.
“Wenn du schon von Anfang der siebten Klasse in dieser Klasse gewesen wärst, dann wüsstest du, dass bei dieser Klasse vernünftige Argumentation nichts bringen.“
Nils` Miene hatte einen verbitterten Ausdruck angenommen. Seine Hände zitterten und er stellte seinen noch halb vollen Teller neben sich. Mit einer Handbewegung erlaubte er den Pokemon seinen restlichen Reis auf zu essen.
Er ging vom Feuer weg und ging hinüber zu der Stelle des Flusses, wo sich dieser aufteilte.
Max wollte seinen Kumpel nicht verärgern und ging jetzt zu ihm.
„Hey, sorry, ich wollte dich nicht verärgern. Du reagierst nur immer so komisch, wenn es um diese Klasse geht. Ich bin zwar erst seit zwei Monaten in dieser Klasse, aber ich habe schon jetzt gemerkt, dass du dort einen ziemlich schweren Stand hast. Viele reden über dich und ich kann dir sagen...!“ sagte Max, doch er wurde von Nils unterbrochen, der ihn ansah und anknurrte.
“So, was sagen denn so unsere ach so tollen Mitschüler? Sagen sie, dass ich ein Idiot bin, dass ich ein Schleimer bin, dass ich ein Streber bin? Ja, dass kenn ich alles schon. Denkst du, dass ich es nicht bemerke, wie diese Idioten über mich reden, wie sie über mich lästern?! Sie erfinden Gerüchte über mich, um mich schlecht zu machen und machen mir das Leben dermaßen schwer, dass ich manchmal keine Lust habe morgens aufzustehen und zur Schule zu gehen.“ Sagte Nils und seine Stimme war immer lauter geworden, bis er die letzten Sätze geschrien hatte.
Max wirkte sichtlich beeindruckt über die gewaltige Lautstärke von Nils` Worten.
“Dann weißt du ja wirklich mehr, als ich gedacht hatte. Ich kenn bis jetzt nur eins dieser Gerüchte, dass in der Klasse umher geht.“ sagte Max und sah in Nils` Gesicht, das blanke Wut zeigte.
“Und welches der zahllosen Gerüchte soll es sein? Etwas das, nachdem ich angeblich mit dieser Frau Voigt eine Beziehung haben soll oder, nein warte, ich kenn da noch ein besseres! Angeblich soll ich ja schwul sein.“ Sagte Nils und schnaubte vor verächtlichem lachen.
Max wirkte irritiert. Er hatte nicht erwartet, dass sein Freund und Kumpel dermaßen viel wusste, was in der Klasse über ihn getratscht wurde.
Nils schien Max` Gedanken erraten zu haben, denn er sagte:
“Du wunderst dich jetzt, warum ich soviel weiß. Tja, die meisten Mitschüler ignorieren mich und das hat für mich den Vorteil, dass die meisten so mit ihren Freunden beschäftigt sind, dass sie mich nicht bemerken oder nicht mit mir rechnen. Durch meine Arbeit als Klassenbuchamt kenne ich die Schule und ihre versteckten Schlupfwinkel, in denen ich mich oft begebe, wenn ich die anderen belauschen will. Dadurch kann ich die Anderen immer belauschen, wenn sie über mich reden und manchmal kann ich mich auch auf einer kleinen Art und Weise rächen, indem ich zum Beispiel meinen Kunstlehrer nicht anlüge, wenn er mich mal wieder fragt, wer von unseren Klassenkameraden gefehlt hat. Denn im Wahlpflichtkunst schwänzen viele unserer Klassenkameraden, die in diesen Kurs sind, den Unterricht, weil es die letzte Doppelstunde am Freitag ist.“ Sagte Nils und blanke Wut und ein kleines bisschen Belustigung schwang in seiner Stimme mit.
Max verstand, warum Nils sich auf diese etwas hinterliste Weise an seinen Klassenkameraden rächte, auch wenn er sein Verhalten noch nicht ganz nach vollziehen konnte.
“Warum tratschen die so sehr über dich? Was hast du denen getan?“ fragte Max.
Nils sah ihn jetzt etwas irritiert an.
“Was ich denen getan habe? Es ist wohl eher die Frage, was ich tue und zwar jeden Tag. Ich bewahre für mich eine grundsolide Höflichkeit und zwar jeden gegenüber und ich habe mich freiwillig für das Amt um das Klassenbuch gemeldet. Das reicht für die schon, aber soweit mal zu überlegen, warum ich mich ums Klassenbuch kümmere, kommen die nicht.“ Sagte Nils und warf einen kleinen Stein übers Wasser.
Max hatte sich auch schon ein paar mal darüber Gedanken gemacht. In seiner alten Schule musste das Klassenbuchamt immer von den Lehrern verteilt werden und es wurde nur so widerwillig und äußerst unzuverlässig ausgeführt. So weit er aber mitbekommen hatte, führte Nils es dermaßen gewissenhaft aus, dass kein Eintrag, sei es über Schulstunden oder fehlende Schüler, fehlte.
Max räusperte sich und stellte dann die Frage, die ihm auf der Zunge brannte.
“Warum hast du denn das Amt um das Klassenbuch übernommen?“
Nils sah ihn nach dem Motto „Na endlich stellst du diese Frage“ an und antwortete dann weniger wütend.
“Ich habe dieses Amt übernommen, weil ich wusste, dass es in meinem Zeugnis erwähnt wird und es wird mir bei meinen späteren Bewerbungen für einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bestimmt nützlich sein. Außerdem hatte ich so immer eine erstklassige Ausrede, um aus der Klasse heraus zu kommen und verschiedene Lehrer aufzusuchen. Aber jetzt erst mal genug dazu. Ich bin saumüde und geh jetzt schlafen. Gute Nacht!“ sagte Nils und ging zu seinen beiden Pokemon, um diese in ihre Bälle zu holen und sich danach im Zelt schlafen zu legen.
Max stand noch eine ganze Weile am Ufer des Flusses und dachte über das gerade zuende gegangene Gespräch nach.
“Jetzt weiß ich zwar, warum er in manchen Situationen so reagiert, wie er es tut, aber ich kenne noch nicht alle Gründe dafür. Wie ich es mir schon gedacht habe, er ist wie ein Buch mit sieben Siegeln. Kaum habe ich ein Siegel gelöst, kommt ein neues und ersetzt das Alte. Es ist so, als ob er das mit Absicht machte, damit niemand etwas von ihm weiß, damit er nicht verletzlich ist. Aber ich werde nicht aufgeben. Er kann mir vertrauen, denn ich glaube, dass er das Vertrauen in seine Mitmenschen verloren hat und ich werde es ihm wieder geben!“ Dachte sich Max, raufte sich die Haare und holte seine Pokemon zurück in ihre Pokebälle und ging dann auch schlafen.
Ende des 2. Kapitels