Desolated House
weiter. Hände zu beiden Seiten ausgebreitet, um sich seinen Weg ertasten zu können. Dann plötzlich lief er gegen einen Widerstand. Sein Körper ruckte zurück und er wusste nicht was los war.
Er streckte die Hände nach vorne und tastete.
Was er berührte war kalt und rau, wie Backsteine einer Mauer.
Erneutes Schlucken.
Er müsste doch eigentlich bei einer grünfarbigen Holztür sein.
Er tastete weiter. Hoffte, dass seine Hände, sein Tastsinn ihm nur einen Streich spielten, doch dem war nicht so. Seine Finger fuhren über die kalte Oberfläche von Gestein.
Da war keine Tür, kein Zimmer, das zu dem Mädchen führte, von dem er die ganze Zeit geträumt hatte.
Schmerz.
Es fühlte sich an als würde etwas in ihm zerbrechen, es fühlte sich an, als würde er in diesem Moment, in dem er herausgefunden hatte, dass er sich alles nur eingebildet hat, an Sehnsucht vergehen. Er wollte doch dieses Mädchen retten. Wollte sie beschützen und bei ihr sein. Doch dieses Mädchen existierte nicht. Sie war nie lebendig. Die Träume, die Nachricht. Es war alles nicht real.
Er fing an zu schluchzen. Tränen rannen über seine Wangen.
Langsam drehte er sich weg.
Und nun spürte er es. Zum ersten Mal, seit er hier war. Es war kalt.
Es war eiskalt. Dies war kein Ort, an dem er jemanden finden konnte. Dies war ein einsamer, verlassener Ort. Einzig und allein die verlorenen Geister von Verstorbenen würden sich hier sammeln um hier etwas zu suchen.
Er senkte den Kopf, beruhigte sich langsam wieder.
Was hatte ihn bloß dazu gebracht, hierher zu kommen?
Er wusste es nicht mehr.
Da waren die Träume und das Mädchen, und sie riefen und lockten ihn. Doch…
Er schüttelte den Kopf.
Es machte keinen Sinn, darüber nachzudenken.
Immerhin war hier nichts.
Nur ein verlassenes, runtergekommenes Haus und eine Backsteinmauer.
Gesang.
Er hielt inne.
Eine dünne und leise Stimme drang an sein Ohr.
Er konnte ganz deutlich die Stimme des kleinen Mädchens hören.
Träumte er wieder?
Von Neuem erwachte in ihm die Sehnsucht und er drehte sich wieder zur Mauer, ging ganz nah heran und legte sein Ohr gegen die Steine.
Und er konnte sie hören.
Leise wispernd, aber deutlich und klar.
Sie rief nach ihm. Sie bat ihn um Hilfe. Bat ihn, sie zu befreien.
Dann hörte er ein Knacken.
Ein Lichtstrahl fiel durch ein Loch in der Backsteinmauer und mit einem Mal fielen die roten Steine zu Boden.
Er sprang zurück.
Sein Herz hämmerte und als er aufsah, sah er den Raum, von dem er die ganze Zeit geträumt hatte.
Ein kalter Schauer lief seinen Rücken hinab.
Die Dielen ächzten unter seinem Gewicht auf.
Schlucken.
Nach so langer Zeit hatte er endlich das Zimmer gefunden, aber das Mädchen war nicht da.
Trostlos fielen die letzten Sonnenstrahlen des Tages durch die verdreckten Fenster und beschienen das verlassene Zimmer, und sie war nicht da.
Er fühlte sich einsam und ausgelaugt.
Wo war sie?
Musste er nun doch aufgeben und gehen?
Langsam setzte er sich auf das von Motten zerfressene Gitterbett.
Er brauchte etwas Ruhe und Zeit um wieder klar zu werden, um rauszufinden, ob dies nur einer seiner Träume war, oder real.
Doch dann hörte er es wieder.
Die leise Stimme, die dieses seltsame Lied sang, das in ihm die Sehnsucht weckte.
Er stand auf, folgte der Musik, ließ sich von ihr leiten, bis er vor zwei großen Holztüren stand, die zu einem großen Kleiderschrank gehörten.
Schlucken.
Er spürte wieder, wie schnell sein Herz schlug, spürte, wie aufgeregt er wurde und die steigende Angst, enttäuscht zu werden. Aber er musste es wissen, musste wissen, ob er das Mädchen endlich finden würde, ob er es retten könnte.
Seine Fingerspitzen berührten leicht die Tür und es war als würde ein Blitz in ihn fahren.
Die beiden Türen schwangen auf und sein Herz setzte einen Moment aus, als er sie erblickte.
Ihre Haare waren schwarz und hingen nur noch in einzelnen Strähnen vom Schädel. Ihr Körper war nur noch ein Skelett, bekleidet mit alten, zerrissenen Kleidern und Fleisch, das in verrotteten Fetzen vom Knochen hing. Ein fauliger, Übelkeit erregender Geruch stieg aus dem Wandschrank zu ihm hoch und ihm wurde schlecht.
Er wollte sich wegdrehen, wollte wegschauen, doch er konnte nicht. Er musste sie sehen, musste sehen, was mit ihr passiert war.
Bilder rollten über ihn hinweg. Bilder der Vergangenheit.
Er sah das Mädchen, wie sie leise in ihrem Zimmer vor sich hin sang, ein Kuscheltier in ihren Armen, sitzend auf dem alten Bett. Er sah, wie die Eltern des Mädchens auf einmal zu ihr ins Zimmer kamen und sie anschrien. Sah wie das Mädchen weinte und geschlagen wurde. Sah Wut und Hass… und Angst.
Er sah, dass das Mädchen Angst hatte, als sie von dem Mann an den Haaren gepackt wurde und zu dem Wandschrank gezogen wurde. Er sah, wie der Mann dem Mädchen die Schlinge um den Hals legte und daran zog. Er sah sie weinen und flehen. Sah, wie das Mädchen mit ihrem letzten Atemzug um Vergebung bettelte, doch es half nichts.
Es half alles nichts und er konnte nichts dagegen tun.
Er schrie und tobte, versuchte den Mann aufzuhalten, doch man hörte ihn nicht. Er versuchte ihn von dem Mädchen weg zu zerren, doch er fasste nur durch ihn hindurch.
Er konnte nichts tun, nichts unternehmen, um das Mädchen zu retten.
Stille.
Dunkelheit senkte sich über den Raum.
Die Sonne war fast verschwunden und nur wenige Strahlen fanden ihren Weg in das Zimmer.
Vor ihm im Schrank hing das kleine Mädchen.
Ihre halb verwesten Finger hielten immer noch das Kuscheltier fest.
Schluchzen.
Tränen rannen wieder über seine Wangen.
Er konnte nicht mehr.
Langsam drehte er sich weg.
Er wollte nach Hause, wollte das alles vergessen, und hoffte, dass er nie wieder von diesem Mädchen oder dem Haus träumen würde. Halb verdammte er das Haus und das Mädchen.
Warum ausgerechnet er?
Er wollte helfen und nicht zusehen müssen, wie jemand starb.
Kichern.
Er hielt inne.
Hatte er gerade gehört, wie das Mädchen gelacht hatte?
Aber das konnte nicht sein.
Angst befiel seinen Körper und er hatte das Gefühl, sich nicht mehr bewegen zu können.
Er zitterte und es fühlte sich an, als wäre jede Faser seines Körpers betäubt, als wäre er nicht mehr Herr über sich selbst.
Schlanke, knochige Finger umklammerten plötzlich seinen Oberarm und er spürte, wie sie ihn zogen.
Immer mehr zum Schrank.
Er versuchte, sich zu wehren, versuchte, dagegen anzukämpfen, doch er konnte nicht.
Doch er konnte nicht.
Er wurde gezogen, immer stärker, immer mehr zum Schrank.
Und der faule Geruch wurde immer stärker, die Dunkelheit nahm zu.
Er hörte sie lachen und weinen, hörte, wie sie ihn anschrie und zu sich lockte.
Sie wollte ihn. Wollte, dass er bei ihr blieb, wollte, dass er ihr Schicksal mit ihr teilte.
Die Dunkelheit nahm zu.
Ihr kichern und lachen wurde lauter.
Und dann, dann wurde alles….
~The End?~
Storybord: (c) Josephine Grzechnik
Gesang: (c) Josephine Grzechnik
Melodie: (c) Misas Song aus Death Note
Bilder: (c) Ismail Kücikhan
Korrektur: (c) Andre Götte
Video: http://www.youtube.com/watch?v=haSFGiYqee4