Herzlos lebt es sich besser!
I found myself in Wonderland
Es war mein Pech die Älteste der drei Geschwistern zu sein. Das hieß unter anderem nämlich, dass mir an Putztagen immer die schlimmsten Zimmern übrig blieben. Sowie an dem heutigen Tag.
„Hier, Sophie, der Lappen. Und vergiss den Staubwedel nicht!“ sagte meine Mutter zu mir und reichte mir den Lappen.
Währenddessen ließ ich mir von meinem Bruder einen Eimer voll Wasser nach Oben reichen.
Ich nahm den Eimer entgegen und kletterte die restlichen Stufen hoch. Nun befand ich mich auf dem Dachboden.
Ich stemmte mir die Hände in die Hüften und seufzte.
„Na dann, an die Arbeit!“
Hier wurden alle unsere Koffer und Kisten und unnötige Möbel hingebracht. Dementsprechend herrschte hier pure Unordnung. Zu allem Überfluss war der Raum verstaubt und voller Spinnen.
Ich riss mich zusammen und tauchte den Lappen in das lauwarme Wasser. Nachdem ich meinen Ekel überwand, ließ ich mich nieder und wischte über eine Kommode. Doch sofort fiel neues Staub drauf. Ich warf einen Blick nach oben. Auf einem Spinnweben saß eine kleine, schwarze Spinne, die mich reglos musterte. Angewidert schüttelte ich mich, bei der Vorstellung sie von da oben wegzuwischen. Dann fiel mir ein, dass ich den Staubwedel ganz vergessen, also ging ich auf die Tür zu. Doch noch bevor ich diese erreichte, fiel sie plötzlich mit aller Kraft zu. Ich blieb verwirrt stehen und sah mich um. Ich dachte es sei der Luftzug, aber hier gab es kein Fenster. Ich schüttelte den Kopf und bewegte mich wieder.
Ich griff nach der Türklinge und drückte, doch die Tür schien abgesperrt zu sein.
„Sophie“ flüsterte eine Stimme plötzlich langgezogen.
Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich ruckartig um. Doch da war niemand.
„Wer ist da?!“ rief ich entschlossen.
„Sophie“ zog die Stimme wieder meinen Namen in die Länge.
„Jake?“ wollte ich wissen „Oh, Jake, wenn das wieder eines von deinen und Marleys Streichen ist, könnt ihr was erleben!“ warnte ich meine Brüder.
„Sophie, endlich bist du gekommen“ meinte die Stimme.
„Jungs! Das ist nicht witzig!“
Langsam wurde ich echt wütend.
„Ich habe lange auf dich gewartet“
Ich verzog den Mund und versuchte wieder die Tür aufzukriegen.
Dann hörte ich Stimmen:
„Marley! Kannst du bitte den Regal wegschieben?“ hörte ich eindeutig Jake rufen.
„Mach doch selbst!“ rief Marley zurück.
Ich erstarrte. Wen die Beiden dort unten sind, wer ist dann hier?
„Ich habe keine Angst vor dir!“ sagte ich leise und das stimmte auch. Ich hatte seltsamerweise keine Angst.
„Warum solltest du auch?“ antwortete mir die Stimme. „Nur Kinder fürchten mich“
„Wer bist du?“ fragte ich „Wo bist du?“
„Erkennst du mich nicht?“ fragte Es beleidigt.
„Ich glaube nicht an Dich! Also warum soll ich dich dann erkennen?“ war meine Antwort.
„Tja, dann solltest du mal schnell anfangen zu glauben aus dem ganz einfachen Grund: Ich bin hier!“ meinte das Ding belustigt. „Setze dich auf dem Boden, Sophie, ich möchte nicht zu dir hochschauen! Mein Hals schmerzt schon!
Ich blickte auf den Boden und sah einen Kobold. Aus irgendeinem Grund war ich aber nicht verängstigt, bloß ein bisschen überrascht. Er hatte feuerrotes, nach oben abstechendes Haar und eine Kartoffelnase. Seine kleinen, grünen Knopfaugen musterten mich verärgert. Er war in eine Art Puppenhemd und einen Schottenrock gekleidet. An seinem Gürtel hing ein Miniatur-Buch.
Ich setzte mich zu ihm runter und er baute sich sogleich vor mir mit verschränkten Armen auf.
„Ach, Sophie!“ seufzte er theatralisch „Was soll ich bloß mit dir machen?!“
„Rauslassen, vielleicht“ schlug ich vor und zeigte auf die Tür.
„Das glaub ich kaum!“ erwiderte er. „Erkennst du mich wirklich nicht?“
Ich musterte ihn und zuckte schließlich mit den Schultern.
„Tut mir Leid“
Er ließ den Kopf hängen
„Ich beschütze sie, seit sie ein Baby ist! Ganze 17 Jahre lang und sie erinnert sich nicht an mich!“ rief er verzweifelt aus. „Ich bin dein Boogeyman!“
Ich runzelte die Stirn und unterbrach ihn bevor er sich weiter in Selbstmitleid suhlen konnte.
„Warte, warte! Sind Boogeyman nicht böse und verstecken sich unter den Betten der Kinder, um sie zu erschrecken?“
„Richtig!“ freute er sich, dass ich Interesse zeigte „Das habe ich auch gemacht, als du ein Kind warst! Dann hast du einfach irgendwann aufgehört an mich zu glauben und meine Kräfte wurden immer schwächer und schließlich tat ich nichts mehr außer dich vor anderen Boogeyman zu schützen!“
Ich sah ihn zweifelnd an und versuchte mich daran zu erinnern ob ich ihn jemals unter meinem Bett gesehen habe. Nein, hab ich nicht und gehört habe ich auch nichts. Was für ein schwacher Boogeyman, dachte ich.
„Was für ein herzloses Mädchen!“ antwortete er traurig „Ich kann deine Gedanken lesen, Kind, ich bin ein Dämon!“
Ich verdrehte die Augen
„Okay, du Dämon, und jetzt? Warum hast du dich dazu entschlossen, dich mir zu zeigen?“ wollte ich wissen.
„Weißt du, Sophie, ich bin wirklich enttäuscht von dir!“ meinte er „Ich habe dich dein ganzes Leben lang gestärkt und darauf vorbereitet erwachsen zu werden, mit dem sicheren Wissen, dass du eh aufhörst an mich zu glauben. Ich habe meine Aufgabe erfüllt, aber anscheinend hab ich es übertrieben! Du bist zu stark, Sophie!“
„Das ist doch gut! Warum soll das schlecht sein?“widersprach ich ihm.
„Ganz einfach, du hast vor nichts mehr Angst, du interessierst dich nicht für andere, du denkst du bist besser als andere und du bist einfach nur herzlos geworden!“
Ich verstand es nicht.
„Na gut, vielleicht hast du ja recht. Aber dafür bin ich eben mutig, kümmere mich um mein Leben und mische mich in Nichts ein!“
Er seufzte.
„Du lässt nicht mit dir reden, Sophie. Es ist nicht immer gut. Wann hast du das letzte Mal mit deinen jüngeren Brüdern gespielt?“
„Ich...“ ich überlegte „Ich weiß es nicht. Aber dafür habe ich gute Noten!“
„Hast du Freunde, Sophie?“
„Natürlich!“ rief ich aus
„Ach ja? Wann hast du das letzte Mal mit einer von ihnen telefoniert? Wann bist du das letzte Mal mit ihnen aufgegangen?“ wollte er wissen.
Ich senkte den Blick.
„Wann warst du mit deiner Mutter einkaufen?“
Ich biss mir auf die Lippe und sah ihn an.
Sein Blick schien mich zu durchbohren, als er die letzte Frage stellte.
„Was hat dir dein erster Freund, deine erste große Liebe gesagt, als er Schluss machte?“
Autsch, das hatte gesessen! Meine Hals wurde trocken und ich musste mehrmals schlucken.
„Er sagte“ fing Boogeyman an, doch ich unterbrach ihn.
„Ist ja schon gut! Ich habs ja verstanden!“
Seine klauenbesetzte Tatze tätschelte mein Knie.
„Siehst du, Kleines! Warum hast du es dir nie zu Herzen genommen?“
Ich schwieg
„Es tut mir wirklich Leid, dass ich dir jetzt das antun muss, aber ich habe keine andere Wahl“
Ich blickte auf.
„Was musst du tun?“ fragte ich misstrauisch und er seufzte.
„Ich werde dir jetzt dein Herz stehlen“ sagte er.
Wiedereinmal machte sich meine Stärke bemerkbar. Ich verspürte keine Angst, nur Verwirrung.
„Warum?“ wollte ich bloß wissen.
„Da du schon immer herzlos sein wolltest, werde ich dir deinen Wunsch erfüllen. Nur so lernst du das zu schätzen, was du hast!“
„Werde ich sterben?“
„Natürlich nicht, Satan bewahre!“ rief er aus und erntete einen verständnislosen Blick von mir „Ich bin für dich verantwortlich, da lass ich dich doch nicht sterben!“
„Aber wie...?“ fing ich an, doch er erklärte bereits
„Schau, ich schicke dich in meine Welt. Es wird dir dort gefallen, ehrlich!“ versprach er „Dein Herz werde ich für dich solange natürlich sicher aufbewahren. Ich meine für den Fall, dass du zurückkommst... Denn du musst dort ein Jahr bleiben und kriegst eine Aufgabe. Erledigst du sie, kommst du zurück nach Hause und kriegst dein Herz zurück, bist total verändert und alle sind glücklich!“
Er musterte mich genau.
„Wenn nicht, dann werde ich dein Herz fressen!“
Ich sah ihn schockiert an
„Und du willst mein Beschützer sein?!“ rief ich wütend.
Er machte einen Schmollmund.
„Na hör mal, ich bin auch nur ein Dämon und Mädchenherzen sind mein Leibgericht!“
Ich lachte in dieser unmöglichen Situation auf.
„Na gut, und was für eine Aufgabe? Sowie ich es verstehe, werde ich hier wohl nicht mehr rauskommen, nicht wahr?“
Er lächelte traurig
„So ist es! Du wirst in eine Art mittelalterliche Welt geschickt, nur viel magischer und die Aufgabe ist eigentlich ziemlich klar, wenn man bedenkt, dass ich dir dein Herz stehle.“
„Ich muss also ein Herz finden?“ fragte ich vorsichtig
„Richtig! Ein Ersatzherz muss her! Doch dieses Herz muss dir aus freiem Willen geschenkt werden. Das heißt die Person muss dich wirklich, wirklich lieben, denn sie muss sich im Klaren sein, dass sie stirbt, sobald du ihr Herz akzeptierst und dafür hast du nur ein Jahr!“
„Aha, und was soll mir das Ganze bringen?“ wollte ich wissen
„Nun...“ Boogie sah mich ernst an „Du wirst das, was du hast zu schätzen lernen. Und sei es tägliche Hygiene, Freundschaft, Familie oder Liebe. Ich versichere dir, Sophie, du wirst verändert wieder zurückkommen.“
Ich zuckte mit den Schultern. Ehrlich gesagt, war es mir absolut egal, wohin ich geschickt werde oder warum. Hier hält mich nichts. Und das alles ist sowieso bestimmt nur ein Traum. Aber auch wenn nicht, dann soll es eben so sein.
Ich richtete mich auf.
„Gut, Boogie, ich bin bereit! Wie soll ich mich hinstellen? So?“ ich breitete meine Arme aus „Oder vielleicht so?“ Ich drückte sie eng an meinen Körper.
Er sah mich überrascht an.
„Du hast keine Fragen mehr?“
„Nein“ ich zuckte gleichgültig mit den Schultern, doch dann fiel mir noch eine Sache ein „Oh nein, warte, darf ich irgendwas von hier