Die Erkenntnis des Lebens
Reise durch den Abfluss
„Das war klasse, oder?“, „Ich hätte nie gedacht, dass der Kerl 8 Jahre bekommt.“. Lautes Stimmgewirr schlug mir entgegen, als ich aus dem Verhandlungsraum trat. „Trucy, kommst du mit in die Cafeteria?“, fragte mich einer meiner Studienfreunde. Ich schüttelte mit dem Kopf, wollte nach der Gerichtsverhandlung nun etwas Zeit für mich haben. „Vergiss nicht! In einer Stunde treffen wir den Vorsitzenden Richter.“, wurde ich noch ermahnt, bevor man mich alleine ließ. Vorsichtig strich ich mir eine störende, dunkelbraune Strähne aus meinem Gesicht, ehe ich mich auf eine leere Bank, nahe dem Gerichtssaal hinsetzte. Ich schaute mich um. Viele Menschen waren auf dem Gang. Einige trugen die typischen schwarzen Roben, andere hatten schicke Anzüge oder Kleider an. Zudem stand an fast jeder Ecke ein Polizist.
Plötzlich setzte sich eine junge Frau neben mich. Sofort wurde meine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Sie war normal groß, hatte lange, leicht gewellte braune Haare und passende braune Augen. Über ihre Ohren hatte sie Kopfhörer und hörte Musik. Empört über das Verhalten der Frau, tippte ich sie vorsichtig an ihrer Schulter an. Verwirrte Auge trafen meine, ehe sie die Kopfhörer abnahm. „Was ist?“, fragte sie mich. Ich drehte mich nun ganz zu ihr und verschränkte meine Arme. „Wissen Sie nicht wo sie sind? Das ist ein Gericht, also benehmen Sie sich auch dementsprechend!“, irritiert machte sie die Musik aus, ließ ihre Kopfhörer jedoch weiterhin um ihren Hals hängen. „Bleiben Sie ruhig. Wer sind sie eigentlich?“, ruhig stelle ich mich vor: „Mein Name ist Trucy und wer sind Sie?“. Ein Lächeln schlich sich auf ihren geschwungenen Lippen: „Mein Name ist Luna, nett dich kennen zu lernen.“. Ich nickte um ihr zu signalisieren, dass ich verstanden hatte. Mir war natürlich bewusst, das wir uns bestimmt nicht noch einmal über den Weg lauf würden und doch machte ich mir die Mühe, mir ihren Namen zu merken.
„Du warst doch vorhin in einem dieser Verhandlungssälen, oder?“, fragte sie mich interessiert und ließ ihren Blick über das alte Gemäuer schweifen. Insgeheim fragte ich mich, seit wann wir beim Du waren? „Ja, warum?“, noch immer lächelte sie mich an. „Na ja, ist mir halt so aufgefallen. Warst du nur Zuschauer oder hatte die Verhandlung etwas mit dir zu tun?“, Lunas Augen leuchteten mir entgegen. Noch immer lächelte sie und es schien, als währe sie ganz mit sich im Reinen. „Nein, ich war nur Zuschauer. Ich hab sie mir übrigens mit meiner Studiengruppe angeschaut.“, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß. „Cool. Du studierst Jura, oder?“, ich nickte: „Ja und was machst du hier?“. Kurz wurde es still zwischen uns. Luna hatte sich auf der Bank zurückgelehnt und beobachtete die Leute, ehe sie wieder zu mir sah.
„Ich bin ebenfalls mit meiner Studiengruppe hier und studiere Architektur.“, kurz holte die Braunhaarige Luft ehe sie weiter sprach: „ Wusstest du, dass dieses Gericht 1879 errichtet wurde? Das Hanseatische Oberlandesgericht – so finde ich – ist eines der schönsten Bauwerke dieser Zeit.” Ich staunte was Luna über dieses Gericht wusste: “Sag Trucy, wo kommst du eigentlich her?”, normalerweise würde ich nicht darauf antworten. Jedes Kind wusste, das man Fremden nicht verraten sollte wo man wohnt.
„Ich komme von der Insel Sylt.“, gedanklich schlug ich mir auf die Stirn und fragte mich was das sollte. Natürlich dachte ich nicht, dass Luna eine Perverse war, aber angenehm war es mir trotzdem nicht. „Sylt? Ist ziemlich weit weg von hier.“, ich nickte: „Ja, musste mir deswegen eine Wohnung mieten.“. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte sich plötzlich ein älterer Mann niedergelassen. Seine Kleidung schien alt zu sein und er hatte einen grauen Rauschebart. Mich beschlich urplötzlich ein seltsames Gefühl, weswegen ich mich wieder zu der Braunäugigen drehte. Diese hatte es sich nun weiter auf der harten Bank gemütlich gemacht und ihre Beine überschlagen. „Hast du Hobby?“, wollte ich wissen und versuchte dabei krampfhaft nicht zu dem älteren Herrn zu schauen.
„Ja, ich gehe regelmäßig zum Kampfsport und zum Bogenschießen.“, ich überlege kurz, was ich als nächstes sagen konnte. „Das ist ja cool. Ich wäre auch gerne zum Kampfsport gegangen, hatte aber bis jetzt nicht die Zeit und die Möglichkeiten dazu“, verwundert sah sie mich an. „Echt? Das ist ja cool. Vielleicht kann ich dich ja mal mitnehmen, wenn wir uns besser kennengelernt haben?“, fragte sie mich aufgeregt. „Das wäre wirklich super.“, es war seltsam mit jemanden über so etwas zu reden. Überhaupt jemanden wie Luna an so einen Ort zu treffen war ungewöhnlich. Es kam mir alles so irreal vor. „ Stimmt, dann kann ich dir auch etwas von meinem Können zeigen.“, sprach die Braunhaarige und strich sich ihre langen Haare zurück.
Luna und ich redeten noch einige Zeit und es schien, als würden wir uns schon ewig kennen.
Mein seltsames Gefühl verschwand mit jedem Wort das wir miteinander sprachen. Plötzlich stand die Braunhaarige auf. „Was ist?“, fragte ich sie. „Es ist ja schon halb drei und um wollte sich meine Gruppe mit mir treffen.“, ich nickte. Ich hatte ganz vergessen, dass sich meine Kameraden auch in einer halben Stunde mit mir verabredet hatten. „Irgendetwas ist seltsam.“, dachte ich und stand ebenfalls auf. Schon wieder hatten Luna und ich etwas gemeinsam. So schnell das ungute Gefühl verschwunden war, so schnell kam es wieder. Das war mir alles zu suspekt. So viele Gemeinsamkeiten konnte es doch nicht geben! „Trucy, kannst du vielleicht kurz mit auf die Toilette kommen?“, fragte mich Luna zurückhaltend, fast schüchtern.
Ich nickte und folgte der Braunhaarigen. Während ich mit ihr durch die Gerichtsflure ging, überlegte ich, was bei mir dieses eine, unbeschreibliche Gefühl hervorrief. War es vielleicht der ältere Mann gewesen oder waren es doch die Ähnlichkeiten zwischen Luna und mir? Ich konnte es nicht verstehen. Noch immer lief ich hinter der Braunäugigen. Doch schon wieder hatte ich etwas, was ich als seltsam empfand, nämlich neben unserer Ähnlichkeit auch gleichzeitig unsere Gegenteiligkeit.
Ein Beispiel dafür war unsere Kleidung. Sie trug eher lockere, modischere Sachen wie eine normale Jeans, modere Sneakers und ein hübsches Oberteil. Ich dagegen hatte ein schwarzes Kostüm mit weißer Bluse an und Schuhe mit wenig Absatz. Ich schüttelte innerlich meinen Kopf. War ich wirklich so paranoid? Dachte ich wirklich, dass das hier alles geplant war? Ich konnte es nicht fassen, wegen so etwas meinen Kopf zerbrochen zu haben. Plötzlich blieb Luna stehen und sah zu mir: „Kommst du?“. Wieder einmal nickte ich nur und folgte ihr in die Toilette. „Ich geh mal schnell.“, sprach sie noch ehe die Braunhaarige in einer der Kabinen ging.
Ich hatte mich an eines der Waschbecken gestellt und sah in den Spiegel. Auf einmal, hörte ich Gerumpel hinter mir. Sofort drehte ich mich um. „Luna, ist was passiert?“, fragte ich und schritt auf die Kabinen zu. Je näher ich der Kabine kam, in der vor kurzem Luna verschwunden war, desto mehr spürte ich einen starken Windzug an meinen Beinen. „Trucy, hilf mir!“, hörte ich Luna angestrengt Rufen. Mein Herz begann laut zu klopfen, als ich die Klinke der Kabine umfasste. Der Windzug war hier am stärksten und ich fragte mich, was da drin los war. „Ich komm jetzt rein!“, rief ich durch die Tür. Zuerst hatte ich versucht die Tür normal aufzudrücken, doch wie es nun mal so üblich war, hatte Luna diese abgeschlossen. Also blieb mir nur noch eins übrig. Einmal holte ich tief Luft, ehe ich etwas Anlauf nahm und auf die Tür zu rannte.
Als das stabile Holz auf meine Schulter traf, konnte ich mir einen schmerzhaften Laut nicht verkneifen. Ich biss die Zähne zusammen und holte noch einmal Anlauf. Doch auch dieses Mal, blieb die Tür der Sieger. Unruhig sah ich mich um. Wie konnte ich ihr nur helfen? Plötzlich fiel mir etwas ein, man konnte ja über die Trennwände klettern. Schnell lief ich in einer der nebenan liegenden Kabinen. Unsicher, was mich wohl auf der anderen Seite erwartete, stellte ich mich auf den Klodeckel. Meine Beine zitterten und mein Herz pochte schmerzhaft in meiner Brust.
Auf der anderen Seite hörte ich Luna angestrengt atmen. Vorsichtig sah ich über die Trennwand. Ich spürte wie sich meine Augen weiteten und mein Atem für kurze Zeit stockte. Was war hier los? Der Klodeckel stand offen und ich konnte direkt in ein schwarzes Loch sehen. Blaue und lila Blitze zischten durch die Luft. Der Wind, der vorhin zwar schon ungewöhnlich stark war, zog an meinem Körper. Ich musste erst einmal durchatmen, ehe ich mich von meiner anfänglichen Starre befreit hatte.
Ich wendete meinem Blick von dem Loch ab und entdeckte Luna, welche sich nur mit Mühe und Not an der Klinke festhalten konnte. „Luna ich bin hier! Gib mir deine Hand!“, rief ich und streckte ihr meine Arme entgegen. Erleichtert sah sie mich an. An ihrer Wange, konnte ich feuchte Tränenspuren sehen. Mir wäre es wohl nicht besser gegangen, doch darüber konnte ich nicht nachdenken. Mutig streckte sie mir eine Hand entgegen. Zuerst konnte ich diese nicht erreichen und musste mich erst etwas über die Trennwand lehnen. Froh Luna zu haben, lehnte ich mich jetzt etwas zurück. Sofort ließ die Braunhaarige die Klinke los, doch etwas lief schief. Der Sog des Loches wurde noch einmal stärker.
Luna, welche ich nur mit einer Hand festhielt schrie auf. Mit meiner zweiten Hand, versuchte ich ihre zu erreichen. Gleichzeitig drückte ich meinen Körper nach hinten, damit ich die Braunhaarige aus der Kabine ziehen konnte. „Halt durch!“, animierte ich sie. Auf einmal rutschte ich mit meinen Schuhen auf der Klobrille ab und fiel die Trennwand vornüber herunter. Ein Schrei hallte in meinen Ohren. Braune Augen sahen mich