Secret Garden.
ihn. Du bist so oft hier...«
»Ja, weil ich irgendwie das Gefühl habe, hier näher bei meinen Eltern zu sein. Und weil ich zu Hause sonst meistens allein bin, da meine Großmutter beruflich oft weg ist«, erklärte er. Seine abrupter, stechender Blick durchbohrte ihre Augen förmlich. Stechend vor Schmerz. Obgleich hier der Tod seiner Eltern praktisch auf dem Stein geschrieben stand, kam er immer wieder hierher, denn die stille Einsamkeit, welche ihn zu Hause immer ummantelte, war noch sehr viel schmerzhafter für ihn.
»Wohin willst du denn?« Sakura kannte nicht viele Orte in ihrem eigentlich recht kleinen Dorf. Meistens war sie nur hier und hatte somit keine Zeit, andere Plätze zu finden, deren Schönheit der hiesigen gleichkam. Sie wollte sowieso nirgendwo anders hin, hier war sie glücklich und frei. So glücklich und frei, wie man eben sein konnte, wenn man in den Gassen des Dorfes von seinen eigenen Mitmenschen wie ein ekelerregendes Insekt angestarrt wurde.
»Komm mit mir nach Hause! Da ist eh niemand... wenn du magst!« Sakura antwortete mit Schweigen, zumindest verstrichen einige unendlich lang wirkende Sekunden, ehe sie eine Reaktion zeigen ließ - ein sanftes Lächeln und ein leichtes Nicken ihres Kopfes, woraufhin Naruto bis über beide Backen grinste und sich sogleich auf den Weg machte. Vermissen würde ihre Mutter sie eh erst, wenn sie noch ein paar Stunden weg wäre. Das Geräusch des Gras, welches unter ihrem Gewicht immer wieder erdrückt wurde, war das Einzige, was zu hören war. Die Zeit schien still zu stehen und der Wind mit ihr, denn nicht einmal ein laues Lüftchen streichelte die verschiedenen Steine mit ebenso verschiedenen Namen. Sakura musterte jeden einzelnen, an dem sie vorbei gingen, äußerst genau, als wäre dies ein Abschied für immer. Ab und zu ließ sie sogar ihre weichen Fingerkuppen über die mal rauen, mal glatten Oberflächen der Tafeln fahren, die im Grunde immerzu eine traurige Nachricht verkündeten. Tod. Er schien überall in der Luft zu hängen, in jedem Buchstaben geschrieben zu stehen und mit jedem Luftzug seinen Atem über dem Friedhof zu verbreiten, wie ein unsichtbarer, ewig währender Gast.
»Wieso bist du eigentlich hier?«, unterbrach er die Stille, ohne sich umzudrehen, »Deine Familie lebt doch noch. Zumindest sehe ich dich öfters bei ihnen...«
»Ich mag's hier. Hier ist niemand, der mich anstarrt oder hinter meinem Rücken über mich redet. Außerdem ist das ein guter Platz, um Wolken zu beobachten«, sagte sie und blickte demonstrativ gen Himmel. Selbst die Wolken schienen am blauen Himmelszelt fest gefroren zu sein, bewegten sie sich doch kein Stück.
»Du bist seltsam«, meinte Naruto daraufhin nur und zuckte kurz mit den Schultern und Sakura quittierte diese Aussage mit einem schrägen Blick. Ihr war durchaus selbst bewusst, dass sie für ein Mädchen in ihrem Alter ungewöhnliche Vorlieben hatte, aber das machte einen doch noch lange nicht seltsam. Heimlich streckte sie ihm seine Zunge raus, folgte ihm aber weiterhin.
~
Keiner von den beiden musste ein Genie sein, um zu wissen, dass sie angestarrt wurden, wie man wohl zwei Monster anstarrte, wenn sie versuchten, wie zwei ganz normale Menschen durch die Straßen zu laufen. Es führte aber kein Weg herum und so mussten sie versuchen, die verabscheuenden, ängstlichen Blicke zu ignorieren, die an ihnen klebten, wie Fliegen hilflos an einem klebrigen Fliegenfänger. Naruto zwang sich beinahe krankhaft dazu, den Blick immer stur auf den Boden vor ihn zu richten – auf andere musste er sich nicht konzentrieren, denn sie wichen ihnen so oder so aus. Keiner wollte mit ihnen in Berührung kommen, aus Angst, der Teufel könnte auf sie überspringen. Sakura hingegen schaute richtig gehend neugierig jedem in die Augen, als wollte sie die Gefühle analysieren, die in ihnen wie ein loderndes Feuer flackerten. Unweigerlich musste sie an Narutos Worte denken.
»Du bist seltsam.«
Was ist seltsam überhaupt? Jeder Mensch definierte selbst, was er für normal befand und was nicht. Während Sakura ihren Gedanken nachging, merkte sie nicht, wie die Menschen um sie herum anfingen, über die beiden zu tuscheln. Es würde sicher nicht lange dauern und ein neues Gerücht würde seinen Lauf nehmen und sich verbreiten, wie ein Lauffeuer. Offensichtlich gab es nichts, was ihrem Leben mehr Sinn gab, als über Dinge zu reden, die sie nicht verstanden, die sie niemals verstehen würden aufgrund ihrer verklemmten, beschränkten Denkweise, basierend auf mündlich überlieferten „Wahrheiten“, die sie hier und da aufschnappten und die natürlich unmöglich nicht stimmen konnten.
»Wir sind da.« Flüchtige Wortfetzen seitens des Jungen durchtrennten ihre Gedankengänge und leicht benommen blinzelte sie ihm entgegen. Erst jetzt fiel ihr auf, das sie schon längst in einem Flur aus orangefarbenen Wänden stand und die plötzliche Stille, die auf einmal auf sie einzuschlagen schien. Kein Geräusch, nicht der geringste Hauch von Leben war zu vernehmen. Ein Zustand völligen Stillstandes nahm das gesamte Haus ein, als wäre das gesamte Leben in dem Augenblick geflohen, in dem Naruto die Tür geöffnet hatte.
»Und hier wohnst du?« Staunend registrierte sie die immense Größe des Hauses, welche man anhand des übertrieben breiten und langen Flurs erahnen konnte. »Ganz schön groß.« Nun wusste sie, wie einsam es sein musste, wenn man in so einem Haus wohnte. All die leeren, ausgestorbenen Zimmer, Gänge und Außenflure mussten wie ein riesengroßes Gefängnis sein, wenn man niemanden mehr hatte, der all das mit einem teilte.
»Ja. Jetzt weißt du, was ich meinte.« Für ihn schien die Größe schon gar nichts Besonderes zu sein. Man gewöhnte sich schließlich an alles. Müde, als wäre er alt und seine Knochen gebrechlich, ging er voran, nickte ab und zu in einen Raum, dessen Tür offen stand und erklärte diesen mit ein paar Worten, allerdings ohne, dass er dafür stehen blieb. Irgendwie wirkte er auf einmal ganz und gar in einer Gedankenwelt versunken, die so anders aussah, als die der restlichen Menschen. Wie ein kleiner Garten, den nur eine einzige Person betreten konnte, den niemand sonst verstand.
»Wo gehen wir hin?«
»In mein Zimmer, ich will dir was geben«, antwortete er nur knapp.
»Und was?« Die Neugierde hatte sich in ihr breit gemacht und auf einmal lächelte sie verschmitzt, als hätte sie einen Streich gespielt, den sie nun nicht zugeben wollte.
»Für dich ist es vielleicht nichts Besonderes, ich weiß nicht... Du wirst gleich sehen.« Auf einmal öffnete er eine Tür und betrat ein Zimmer. Steril wirkte es, in seiner weißen Farbe und seinem spärlichen Mobiliar - überhaupt nicht fröhlich und ganz gewiss auch nicht so, wie ein normales Kinderzimmer aussah. Ihres selbst war bis auf die rosa farbige Tapete auch nicht das, was man als den fröhlichsten Ort der Welt bezeichnet, aber nicht so... leer, wie dieses hier. Ein großes Doppelbett stand neben einem bodentiefen Fenster, welches Ausblick auf eine kleine Wiese gewährte, die in einen unendlich wirkenden Wald mündete und ansonsten stand nur ein Kleiderschrank aus dunklem Holz und ein kleiner Tisch mit zwei Stühle in dem Raum, auf dem eine Vase mit verwelkten Narzissen stand.
Naruto deutete auf einen der Stühle und so ließ sie sich etwas steif auf diesen sinken. Sie kam sich reichlich albern vor, wie sie sich hier so verkrampfte, weil dieses Zimmer nicht ihres war und sich überhaupt nicht wohl fühlte. Alles wirkte so furchtbar gezwungen, selbst Narutos Schritte. Er lief auf den Kleiderschrank zu und wühlte in der nächsten Sekunde in einer Schublade herum, schien etwas mit angestrengter Konzentration zu suchen. Im nächsten Augenblick hielt er etwas Funkelndes in die Höhe und grinste triumphierend.
»So, ich hab's gefunden!«, stellte er überflüssigerweise fest, setzte sich zu ihr an den kleinen Tisch und schob die Vase fast grob mit einer Hand beiseite. Er schenkte dieser Vase keine Aufmerksamkeit, aber Sakura waren die schönen, weißen Schriftzeichen auf schwarzem Untergrund und die Muster, die sich wie die dürren Stängel einer Pflanzen um die Vase wickelten, sofort aufgefallen. Etwas Vergleichbares stand nicht in ihrem Zimmer.
»Eine Kette?« Verwundert darüber, dass er ihr etwas so wertvolles schenken wollte, obgleich sie sich doch erst seit einer knappen halben Stunde kannten, musterte sie den bläulich wirkenden Stein ein wenig genauer. Er war offensichtlich von außerordentlich talentierten Händen geschliffen worden, denn jede Kante war perfekt symmetrisch zur anderen. Wie ein kleiner Diamant wirkte er, so perfekt und schön und bestimmt ungeheuer teuer, was sie noch mehr erstaunte. »Ist die nicht zu teuer?«
»Nö, meine Großmutter hat sie mir geschenkt, meine Mutter selbst hat sie getragen.«
»Dann solltest du sie mir aber nicht schenken!« Heftig schüttelte sie mit ihren Armen vor ihrem Gesicht hin und her, das Gesicht rot vor Verlegenheit. So ein Geschenk konnte sie nicht annehmen, unter keinen Umständen. Ein Erinnerungsstück an seine verstorbenen Eltern, das wäre grausam, würde sie es annehmen. Ganz gleich, ob er es ihr anbot.
»Ich mag meine Großmutter eh nicht. Sie schreit immer herum und nie kann man es ihr recht machen und mir steht sie außerdem eh nicht... Und sie soll magische Kräfte besitzen! Ich denke, dir wird sie besser stehen«, meinte er und drehte den Stein an seinem dünnen, ledernen Band hin und her, um ihn besser betrachten zu können.
»Ich bin keine Hexe!« Empört plusterte sie ihre Backen erneut auf, angesichts seines Kommentars, dass die Kette magische Kräfte hätte und sie ihr besser stehen würde. Sie ballte ihre rechte Hand zu einer kleinen Faust und gab ihm eine saftige Kopfnuss.
»Aua!«, schrie Naruto daraufhin nur und Sakura musste auf einmal wieder lachen, als dieser mit Tränen in den