Wieso Herr?
war der Jugendpastor.
Zuerst sagte er nichts, doch dann begann er zu erzählen, dass ich sicher noch eine Aufgabe hätte, dass meine Eltern nicht bestraft wurden und dass Gott mich nicht bestrafen wollte, denn sein Sohn sei für unsere Sünden gestorben.
Dafür stehe der heutige Ostersonntag.
Ich solle nach meiner Berufung suchen und nicht weiterhin der Vergangenheit nachtrauern, denn sonst würde ich nie glücklich werden.
Dann verliess er den Saal.
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.
Er hatte leicht reden. Er hatte seine Familie nicht verloren. Er hatte nicht auf einen Schlag seine gesammte Existenz, alles was ihm etwas bedeutete, in Trümmern vorgefunden.
Stumm ging ich nach unten zu den anderen.
Spielte ihnen das Theater vor, dass es mir den Umständen entsprechend gut ginge, obwohl es in mir drin vollkommen anders aussah.
Inzwischen waren die Ferien zu Ende, ich hatte die letzte im Tessin verbracht, wo ich meine besten Freunden wie allen anderen ein Theater vorgespielt hatte.
Ich sei in Ordnung, würde in die Zukunft sehen, meine Berufung suchen.
In Wahrheit könnte mein Herz leerer nicht sein.
Ich war hohl. Eine leblose Puppe, die nur funktionierte um alle zu beruhigen.
Den Schmerz verbarg ich tief in meinem Innern.
Ich ritzte nicht wie andere. Das würde den Zweck dieser Farce zunichte machen.
Obwohl ich mir manchmal wünschte tot zu sein und mit dem Gedanken spielte mich umzubringen.
Ich war nach den Ferien in die neue Schule gegangen.
Man hatte mich ein Jahr tiefer eingestuft, damit ich keine Probleme haben würde. Man hatte mir auch erlaubt meine Matura-Arbeit nächstes Jahr zu beenden mit dem gleichen Thema.
Meine Klasse war freundlich zu mir und ich hatte, im Gegensatz zu meiner alten Klasse, viele Freunde.
Ich war zudem beliebt bei den Jungs. Das war noch nie zuvor der Fall gewesen.
Ich ging seit dem Vorfall jeden Sonntag in die Gemeinde. Freunde aus der Umgebung holten mich ab und nahmen mich mit.
Ich sollte glücklich sein, bin es aber nicht.
Ich fühle mich als ob mir etwas fehlte.
Vielleicht war es die Nähe zu Gott. Vielleicht war es einfach nur die Tatsache, dass niemand mich mehr kannte.
Alle kannten bloss meine Hülle.
Ich lag in meinem Zimmer und hatte die Tür abgeschlossen. Das war inzwischen Gewohnheit.
Genau wie das folgende anschalten des Macbook meines Bruders und des Anschaltens der Musik.
Ich hörte seit ich die Festplatte wieder hatte alle Songs einmal durch. Noch war ich nicht durch, doch ich würde dann einfach wieder anfangen, denn ich hatte keine Lust neue Songs herunterzuladen. Das würde mich einfach weiter weg von meiner Familie bringen.
Meine Patin, die mich inzwischen adoptiert hatte, tat alles damit ich ein angenehmes Leben hatte, doch sie konnte nicht ersetzten, was ich verloren hatte.
Wieder stimmte ein neues Lied an.
Es war das erste Mal, dass dieses Lied kam, seit dem Tod meiner Familie.
One Day.
Damals hatte ich den Sinn dieses Liedes nicht richtig verstanden, doch trotzdem Trauer empfunden.
Heute trieb es mir die gut versteckten Gefühle wieder an die Oberfläche und somit die Tränen in die Augen.
Ich hatte alles falsch gemacht.
Meine Familie wollte sicher nicht, dass ich immer um sie trauerte.
Ich sollte die Erinnerung an sie in mir wahren, doch nicht in der Vergangenheit leben, denn sonst würde ich noch etwas verlieren, dass mir wichtig war.
Ich musste vorwärts gehen.
Endlich begann die Leere in mir sich zu schliessen.
Das Lied endete und das nächste begann.
Ich hatte eigentlich zurückschalten wollen, doch dann erkannte ich es.
ChAngE.
Jetzt verstand ich.
Gott hatte mich nicht verlassen. Er war stehts neben mir.
Ich hatte ihn verlassen. Oder schlichtweg einfach nicht gesehen.
Er hatte mir so viele Leute zur Seite gestellt, damit ich die Zukunft sehen würde, doch ich klammerte mich weiter an die Vergangenheit.
Ich flüsterte ein Danke und lauschte der Musik, denn nun wusste ich, was ich zu tun hatte.
Denn als das Lied endete und ein neues begann, schloss ich die Tür auf und verliess den Raum und somit das Gefängnis der Vergangenheit, dass ich um mich herum errichtet hatte.
I don't cry anymore.
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Englische Übersetzung der Songs: http://www.jpopasia.com/lyrics/39832/the-rootless/one-day.html
http://makikawaii-jklyrics.blogspot.com/2010/09/miwa-change-lyrics-translations.html
http://makikawaii-jklyrics.blogspot.com/2010/03/miwa-dont-cry-anymore-lyrics.html