Schattennacht
Schicksalhafte Begegnung
Die junge Frau erschauderte. Durch das Dickicht der dunklen Nadelbäume des finsteren Waldes, die im düsteren Zwielicht des sterbenden Tages, schattengleichen Riesen gleich, deren einzige Existenzberechtigung in der Vertreibung von Eindringlingen zu liegen schien, um das Wohlergehen ihrer Heimat zu sichern, die altehrwürdige Position jahrtausendealter Wächter übernahmen, kroch eine undurchdringliche Nebelwolke aus den Schatten der Äste hervor und an den meterbreiten Stämmen vorbei, die den engen Pfad an manchen Stellen unüberwindbar erschienen ließen, auf sie zu. Zögernd nahm sie einen kleinen Schritt der weißen Wand entgegen, dem gewundenen Schlangenpfad, dessen Spuren in der gefrorenen Erde beinahe unsichtbar waren, folgend, und bugsierte ihren ungesund unterernährten Körper durch den schmalen Spalt zweier Stämme eines riesigen Baumes, der ihren Weg versperrte.
Wie wilde Harpyien schlugen die tief hängenden Äste nach ihrem schmutzig weißen Kleid, hielten es mit eisernen Fingern gefangen und rissen es auseinander, bis sich die junge Frau, deren seidenweiße Haut mit zahllosen Schnittwunden und Kratzern überzogen war, aus den Fängen, die sie jedoch so lange aufzuhalten vermocht hatten, dass sie die erdrückende Nebelwand vollständig eingeschlossen hatte und ihren ängstlich suchenden Augen den Weg, den sie bereits zuvor wegen des wenigen Lichtes, das nur schwächlich durch die hohen Baumkronen gedrungen war, kaum ausmachen hatte können, verdeckten, befreien konnte.
Einen winzigen Augenblick schlossen sich ihre hasselnussbraunen Augen, während sich ihre schmalen, rubinroten Lippen für ein kurzes Stoßgebet öffneten, um sich selbst Kraft zu spenden, ihrem ihr hart gegen ihre Brust schlagendem Herzen, das sich trotz der schweren Last, die auf ihm lag, schneller bewegte denn je, und ihrer unregelmäßig schnellen Atmung Beruhigung vorzuspielen; doch weder das eine noch das andere vermochte sie zu bewirken, da sich ihre Angst schon zu weit in ihr Herz, das ihre Atmung bestimmte, gefressen hatte und nun seinen Schlag bestimmte, die Angst vor dem, was sie wusste, würde geschehen müssen.
Während sie ihre Augen wieder aufschlug, der Nebel sein weißes Gesicht intensivierte und die umliegenden Bäume in finstere Schemen verwandelte, die, hämisch grinsende Grimassen tragend, auf sie herabstarrten und mit eisernen Fingern nach ihr griffen, dass sie ängstlich zurückwich, mit den blanken, kalten Füßen in den breiten Wurzeln, die allenthalben den hartgefrorenen Erdboden durchbrochen hatten, um, wie es schien, ihre wunden Gelenke zu fesseln, hängen blieb und schließlich unsanft zu Boden fiel, hörte sie den unheilbringenden Ruf der tagaktiven Botin der Nacht, der sich zugleich in einen schrillen Schrei ohrenbetäubender Frequenz verwandelte und plötzlich einer menschlichen Stimme von unnatürlicher Schönheit glich, die vom fernen Nichts des Nebels zu klingen schien.
„Was willst du hier?“
Als sie die Laute vernahm, schien die Zeit für die junge Frau still zu stehen, denn die Stimme drang sanft in ihr bebendes Herz, erleuchtete ihr Wesen mit neuer Zuversicht, vertrieb die Furcht und vertrieb die schattenhaften Schemen der Bäume, deren hasserfüllten Grimassen nicht länger bedrohlich wirkten, den Nebel, der nicht länger undurchdringbar wirkte, den düsteren Wald, der nunmehr einen vergangenen Freund glich; doch während der letzte Widerhall der Worte in den Weiten des Waldes verhallte, zog sich auch ihre gewonnene Zuversicht aus ihrem Herzen und vervielfachte die Last auf ihrer Seele, da der Mut, in dem sie für wenige herrliche, unbeschwerte, in Sonnenschein getränkte Momente, in denen sie Trost gefunden hatte, eingetaucht war, mit der Stimme ein schwellendes Feuer erloschen war und nun die einsame Glut sich am Leben erhielt, die zwar ein neues Inferno entfachen konnte, die jedoch kein Holz des Anstoßes besaß. Das Verblassen dieser zutraulichen Stimme hatte bewirkt, was weder die weiße Nebelwand noch der düstere Wald hatte erreichen können: die junge Frau, erdrückt von ihrer Hoffnungslosigkeit, blieb inmitten der Bäume stehen und bewegte sich keinen Schritt mehr. Der Wald hatte schließlich seinen schwarzen Zauber gewirkt.
Wie ein kleiner, klarer, doch reißender und unaufhaltsamer Bergstrom aus dem Felsen seiner Quelle, quollen die Furcht vor dem Kommenden, die Unerfüllbarkeit ihrer Aufgabe und die Last ihres Herzens unwiderruflich und unaufhaltsam hervor, brach als flüssige Diamanten aus ihren hasselnussbraunen Augen hervor, die von ihren Wimpern perlten, ihre von der bitterlichen Kälte blutroten Wangen hinab liefen und von ihrer Nasenspitze tropften, ihre rubinroten Lippen benetzten und schließlich, eine salzige Spur hinterlassend, aus den gefroren Boden schlugen, wo sie in hunderte kleinerer Diamanten zerplatzten, die sich in einem einzelnen Strahl der untergehenden Sonne, der sich seinen einsamen Weg durch die höchsten Äste des Waldes gebahnt hatte, um den düsteren Pfad zu erleuchten, bläulich spiegelten.
„Keine Angst“, versuchte sie die männliche Stimme zu beruhigen, und klang dabei in ihrer Sanftheit beinahe menschlich, sodass die junge Frau neue Zuversicht schöpfte. „Ich werde dir nichts tun. Ich bin nur neugierig, wer es wagt, so tief in meinen Wald vorzudringen. Sag, was du hier verloren hast, und ich werde dich entweder passieren lassen, oder dich aber sicheren Fußes in dein Dorf zurück begleiten.“
Das Herz der jungen Frau, das während der Abwesenheit der Stimme, die ihr seltsam vertraut erschien und ihr die Angst vor dem düsteren Wald nahm, in ihrem Hals geschlagen war, wich langsam zurück auf seinen rechten Platz und ihrer Tränen versiegten, als ob die Felsenquelle der Furcht durch die scheinbare Anwesenheit einer zweiten Person geschlossen worden wäre. Sie versuchte, dem Mann zu antworten, ja, sie verspürte sogar den Drang, ihm zu antworten, nur um seine Stimme ein weiteres Mal zu vernehmen, doch als sie ihren Mund öffnete, der nur mehr ein Werkzeug ihres vor unverständlicher Aufregung flatterndes Herzens war, entwich ihrem Mund nur ein lautloses Flüstern, das eine kleine Wolke ihres Atmens in die Luft zauberte. Einen Moment zögerte die junge Frau, als sie das Wölkchen betrachtete, das, vom Sonnenstrahl erleuchtet, hoch in die Luft stieg, sich dort mit dem Nebel vereinte und schließlich in seine unsichtbare Existenz entschwebte.
„Ich, ich komme, um, um meine, unsere Schuld mit dem, mit dem Zauberer zu begleichen“, murmelte die junge Frau in das weiße Nichts hinein, während sie erstaunt und erschreckt zugleich die Augen aufriss, als ein zweiter, dritter und vierter Sonnenstrahl, einer unsichtbaren, unscheinbaren Fügung gleich, wie von Zauberhand durch die Nebelwand brachen, sich zum ersten und schönsten Strahl gesellten und mit ihm den gewunden Pfad von Neuem erleuchteten. Vorsichtig, doch von Neugier getrieben, ging sie den Weg entlang, durchbrach den Nebel wie zuvor die Sonnenstrahlen und wurde magisch vom Anblick, der auf der anderen Seite des Nebelwand auf sie wartete, angezogen.
Wie ein kleines Bächlein, das einen wunderschönen, in den sterbenden Strahlen der untergehenden Sonne bezaubernd rötlich schimmernden, tausendfachen Tod starb, wenn es in den sich aus ihm speisenden See floss, so mündete der Pfad, gesäumt von ihn beschützenden, laublosen Eichen zu beiden Seiten, an das Ufer eines im Licht der Abendsonne rot glänzender See, dessen Oberfläche, auf der kleine Wellen schlugen, trotz der winterlichen Kälte noch nicht zugefroren war; nur wenige Meter vom wenig betretenen Weg entfernt, doch direkt an den Gestaden des Sees, thronte erhaben ein kleines, wenngleich mächtiges Steinhaus mit einem ebengleich steinernen Schornstein, aus dem weißer Rauch quoll, und kleinen Fenstern, die in den allerletzten Strahlen der hinter den Baumkronen des fernen Ufers verschwindenden Sonne hell erstrahlten.
Während sich die junge Frau der schweren Holztüre des bezaubernd gelegenen Hauses näherte, vergaß sie vor Verwunderung und Erstaunen ihre Furcht und klopfte schließlich ohne Zögern sanft an das Eichenholz, das, als ob es auf die Berührung ihrer schlanken Finger gewartet hätte, für sie nach innen aufschlug und ihr den Blick in das Innere des Hauses darbot: beide Seiten der Steinwände, die zu einem einfachen, doch mehr als ausreichend Wärme gegen die winterliche Kälte spendenden, steinernen Kamin, in dem knisternde Holzscheite in einem lodernden Feuer beinahe rauchlos verbrannten, führten, wurden von zahlreichen, hölzernen Regalen, auf denen obskure Gegenstände, von verschlungenen Wurzelknoten bis hin zu beschriebenen Behältern voller Flüssigkeiten, die sie, da sie nicht lesen konnte, nicht zu identifizieren vermochte, geziert. Zwei weitere, offenstehende Holztüren führten von diesem Hauptraum in eine Küche, wie sie aufgrund des steinernen Feuerplatzes vermutete, und einen Schlafraum, dessen großes Fenster, von dem der Bewohner des Hauses den gesamten See überblicken konnte, das gemütliche Strohbett mit Licht flutete.
„Wenn du einen Zauberer sprechen willst, kann ich dir nicht helfen“, ertönte dieselbe raue, tiefe Stimme, die der jungen Frau bereits in den Tiefen des düsteren Waldes die Angst vor dem Bevorstehenden genommen hatte, und riss sie aus ihrer Betrachtung des komfortablen Hauses. „Wenn du allerdings mit mir sprechen willst, dann komm herein und schließe die Türe hinter dir; es wird langsam kalt.“
Erst jetzt bemerkte die junge Frau den einfachen, hölzernen Tisch in der Mitte des Wohnraumes, an dem ein junger Mann mit rabenschwarzem Haar auf einem ebenso einfachen Holzstuhl saß, seinen Gast, ohne auch nur ein einziges Mal seinen konzentrierten Blick von der Schriftrolle, deren ähnliche die raue Oberfläche verdeckten, zu nehmen, zu sich winkend. Da die junge Frau ihm aber weder antwortete noch seiner Einladung folgte, sondern lediglich