Schattennacht

auf ihn zu konzentrieren. Langsam verschwamm das Bild des Gesichtes des Fremden vor ihren Augen, sodass sie die azurblauen Augen des jungen Mannes wahrnahm, seine Hand auf ihrem Herzen spürte, die sanft im Rhythmus ihres Herzens auf ihrer Brust klopfte, und seinen warmen Atem auf ihren Lippen vernahm.

Einem plötzlichen Instinkt folgend, schloss die junge Frau ihre hasselnussbraunen Augen, als sein rauer, kalter Daumen zärtlich über ihre Wange strich, und hob ihre tauben Hände an seine Wangen. Langsam, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was um sie herum geschah, zwang sie seine Lippen mit sanfter Gewalt zu sich, bis sie ihre rubinroten Lippen erreichten und die beiden jungen Erwachsenen sich inmitten einer kleinen Holzhütte vor einem alten Greise kniend küssten. Als bräche der Kuss einen Bann, begann Akane noch während der ersten Sekunden, da sich die Haut der beiden berührte, all das wahrzunehmen, was ihr bis zu diesem Zeitpunkt verwehrt gewesen war.

Laut heulte der absonderliche Wintersturm, der in der kleinen Hütte tobte, in ihren Ohren, ächzend knarrten die sich im Winde biegenden Äste, unnachgiebig forderte die beißende Kälte des Winters ihren Tribut an ihren unbedeckten Füßen, doch dieser Sturm war nicht mehr als eine laue Sommerbrise im Vergleich zu jenem Sturm in ihrem Herzen, der sich mit jeder seiner Berührungen, die wie Tropfen heißen Wassers an ihrem Körper hinab liefen, zu elektrisieren schien. All jene Gefühle, die sie aus Angst, zurückgewiesen zu werden, nie geäußert hatte, die nicht mehr als ein kleiner Schatten am äußersten Rande ihres Herzens gehaust hatten, brachen tobend in ihr hervor, bis sie glaubte, ihr Herz müsse vor Freude zerspringen, während zum dritten Mal an diesem Tage tausende Tränen von ihren Wimpern perlten.

Als sich die junge Frau ihrem Meister gänzlich öffnete, ihm all ihre Gefühle in diesem einen Kuss offenbarte, spürte sie, wie sich ihre wahren Wesen umgarnten, gleichsam wie sie die Leuchtkäfer im Wald umgarnt hatte, um sie zu sich zu locken, doch anstatt sich spielerisch zu umkreisen, verbanden sich ihre Wesen harmonisch zu einem einzigen Sein, das jeden noch verbliebenen rationalen Gedanken aus ihrem Kopf verbannte, und ihre Gefühle auf ein einfacheres, animalisches Verlangen verminderte, sodass sie sinnlich in den Kuss stöhnte, ihn auffordernd, die Initiative zu ergreifen, als ein plötzlicher Luftstoß die beiden Erwachsenen auseinandertrieb.

Ranma wusste nicht, wie ihm geschah, sein Verstand vermochte die Veränderung in seinem Lehrling nicht zu erfassen, als sich ihre leblosen Augen schlossen, sich ihre seidenen Hände auf seine Wangen legten und ihn ohne Gegenwehr zu ihr zogen. Der verführerische Geschmack ihrer Kirschenlippen, der sinnliche Geruch ihrer kurzen Haare, das brennende Gefühl ihrer verlangenden Hände auf seiner Haut, all das reduzierte seine Gedanken auf ein einziges Verlangen, während sich ihre Lippen trafen und ihre Wesen verbanden. Er liebte diese Frau, er hatte sie seit ihrer ersten Begegnung geliebt, und er würde sie bis an den Rest ihrer Tage lieben, doch als er seine Liebe zu ihr ausdrücken wollte, spürte er einen kräftigen Luftstoß, der sie auseinander zwang, und sprang hastig zu seinen Füßen.

„Et stellae de caelo ceciderunt super terram“, ertönte die Stimme des jungen Greises von den hölzernen Wänden des Hauses, als sich Akane, verwirrt, wütend, und mit klarem Kopfe, hastig aufrappelte, um dem Fremden würdevoll entgegenzutreten; doch entgegen ihrer Erwartungen, dass irgendetwas passieren müsse, starrte ihr Meister den Unbekannten nur berechnend an, ihre Gegenwart und das gerade Geschehene ignorierend. „Let me in, we need to talk.“

Verwundert betrachtete Akane, wie der schwarzhaarige Mann seinem Gegenüber ein kurzes, beinahe unmerkliches Nicken schenkte, vorsichtig zur Haustüre ging, und mit seinem rechten Fuß über den Boden scharrte, während er etwas für sie Unverständliches flüsterte. Mit eleganten Schritten betrat der andere Mann die Hütte, schloss die Türe hinter sich, sodass das Heulen des tobenden Sturms abflaute, und trat, ohne sie eines Blickes zu würdigen, an das gemütlich prasselnde Feuer, vor das er schließlich einen Stuhl zog, auf dem er sich niederließ.

„Akane?“, fragte Ranma vorsichtig, doch mit solchem Nachruch, dass die junge Frau wusste, seiner folgenden Bitte nicht widersprechen zu können, nachdem sich der Fremde beim Feuer niedergelassen hatte, und trat zu ihr. „Wärst du so nett, und würdest uns für einen Moment alleine lassen? Ich verspreche dir, ich werde dir noch heute all deine Fragen beantworten, wenn wir alleine sind. Würdest du bitte so lange im Schlafzimmer auf mich warten?“

„What a despicable display of emotions”, stellte der alte Mann sachlich fest, während er seine Hände am Feuer wärmte, und beobachtete, wie die junge Frau schweigend das Zimmer verließ. „I never quite understood your obsession with these petty beings, although this one seems a tad different than the others.”

„Können wir ihr nicht wenigstens den Respekt erbringen, und uns in ihrer Sprache unterhalten?“, fragte der junge Mann resignierend, während er sich dem Feuer näherte, einen zweiten Stuhl heranzog, und sich dem Fremden gegenüber setzte.

„I have no respect for these pitiful creatures; yet I would make an exception for her, except that you promised her to tell her everything anyway. So what is the point in speaking their language?”, folgerte der Mann kalt und starrte in die Flammen.

„Warum würdest du für sie eine Ausnahme machen?“, fragte Ranma vorsichtig und beobachtete erstaunt, wie sich die eleganten Züge des dünnen Mannes in ein freudloses Lächeln verzogen, als er seinen Kopf zu seinem Gesprächspartner drehte.

„You know that she is special, otherwise you would not have made her your apprentice, but neither of you has the slightest idea how special she really is”, fuhr der alte Mann in seinem sich niemals ändernden Tonfall fort, bevor er sich wieder dem lodernden Feuer widmete und der junge Mann glaubte, dass in der Stimme des Fremden ein Hauch von Verachtung mitschwang. “But your view is clouded by love – be quiet, there is no need to deny it. You are bound to fall in love. It is your prerogative, since love is nothing but a form of war. And now listen closely, because this conversation is long overdue. You have run away from your fate and climbed up the heights of shame. You have hidden yourself, and you have hidden yourself well at that, but no longer. The seals are being broken and we have been set free to roam the world once more. He has called us and it is our duty to answer the call.”

„Ich habe keine Verpflichtungen irgendeiner Art“, lachte Ranma humorlos, während er sich aufgebracht von seinem Stuhl erhob und im Zimmer auf und ab lief. „Ich schulde ihm gar nichts! Und wie lange willst du noch seinen Bediensteten spielen?“

„Show me some respect!“, erhob der Fremde seine Stimme, jede Silbe seiner Worte mit eisiger Kälte und Präzision betonend, und stand langsam von seinem gemütlichen Platz am Feuer auf. „I will serve Him as long as He has me bound to do His bidding. The day that we are free again will come, but for now you will do as I tell you to do.”

„Nein, das werde ich nicht“, entgegnete ihm der Zauberer angespannt. „Ich bin es satt, seinem Wort zu folgen, ich bin es satt, wie eine willenlose Schachfigur bewegt zu werden, wenn ich der Schachspieler sein sollte und er nicht mehr als der Bauer, ich bin es satt, ihm zu dienen! Was soll er tun, wenn ich mich weigere, ihm zu folgen?“

„You have always been a soldier on your own, disobeying my orders and starting wars whenever you felt like it, but this time I have a valuable bargaining chip, my little brother”, sagte er mit einem hämischen Lächeln und deutete auf die Schlafzimmertüre der kleinen Holzhütte. “You will break the remaining two seals or I will come for your precious, little apprentice.”

„Das wagst du nicht!“, warnte der junge Mann ihn mit zitternder Stimme und trat schnellen Schrittes dem Fremden entgegen. „Ohne sie können die verbleibenden Siegel nicht gebrochen werden und du hast selbst gesagt, dass du es nicht wagst, ihm zu widersprechen!“

„Or what?“, fragte der alte Mann süffisant und wandte dem flehentlich blickenden Mann den Rücken zu, als er sich der Eingangstüre näherte. „As you yourself just said: what will He do if I disobey? He will be weakened considerably, you will suffer a loss you will not be able to bear, and I will get ahead of schedule – sounds like a win-win-win situation for me and even if you are able to protect her from me, you will break the seals sooner or later and I will take your child just as a reminder that you can never win against me, that you can never cheat Death; one year, little brother, one year. Choose wisely.”

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, öffnete der Greis die schwere Holztüre mit einem leichten Schwung seines knöchernen Handgelenkes und verblasste hinter der sich schließenden Türe aus den Erinnerungen der Menschen, während er den jungen Krieger regungslos inmitten der Hütte zurückließ. Obwohl ihn das warme Feuer des Kamins wärmte, kroch langsam eine bittere Kälte in die bewegungslosen Glieder des Zauberers, als er, unfähig, einen einzigen Gedanken zu fassen, auf die Türe starrte, durch die sein schicksalhafter Besuch verschwunden war, bis er nach einiger Zeit die schlanken, wärmenden Arme seines Lehrlings, die sich vorsichtig um seinen sich behäbig hebenden und senkenden Brustkorb legten, spürte.

„Ranma?“, flüsterte ihm die junge Frau leise in sein Ohr, als er nicht reagierte. „Ist alles in Ordnung? Ich habe die Türe zugehen gehört, und dann nichts mehr. Ranma?“

Für einen winzigen Wimpernschlag in der Unendlichkeit verschwamm das Blickfeld des
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