Schattennacht
auf einem der Regale verstaut hatte. „Hast du schon alle deine Arbeiten erledigt?“
„Ja“, antwortete sie nervös, während sie unter dem Tisch ihre Hände knetete, um sich zu beruhigen.
„Keine Angst, du musst nicht nervös sein“, versicherte er ihr mit einem freundlichen Lächeln, da ihm die Nervosität der jungen Frau keinesfalls entgangen war, und blickte ihr tief in ihre dunkelbraunen Augen. „Wenn ich mir nicht sicher wäre, dass du diese Ausbildung schaffen würdest, hätte ich dich nicht als meinen neuen Lehrling aufgenommen. Ich sehe großes Potential in dir! Leider können wir deine Ausbildung noch nicht beginnen, da dein Körper noch zu schwächlich ist, und doch wird dich heute, in den nächsten Tagen und Wochen, je nachdem, wie schnell du bist, die schwerste Aufgabe deiner Ausbildung erwarten.“
Verlegen ob des unerwarteten Lobes, verwirrt ob der scheinbar widersprüchlichen Aussage, und verzweifelt ob der erwarteten Schwierigkeit der Aufgabe, kämpfte die junge Frau einen aussichtslosen Kampf gegen ihre Nervosität und ihre Gefühle, die in ihrem Herzen, einem tobenden Sturm gleich, eine erbitterte Schlacht führten, und damit ihre temperamentvolle Ader bestimmten, die sie jedoch in der Gegenwart ihres Meisters zu verbergen suchte. Der tosende Sturm ihres Herzens hatte sie weit hinaus in das wild schäumende Meer getragen, in dem sich nur eine einzige Insel vor dem sicheren Ertrinken zu retten vermochte, doch je stärker sie gegen die Wellen anzukämpfen versuchte, desto weiter schien sich das rettende Ufer mit einem gewissen schwarzhaarigen Mann auf ihm zu entfernen.
„Was muss ich machen?“, fragte sie zögerlich.
„Du musst nichts machen“, erklärte der junge Mann schlicht und stand von seinem Stuhl auf. „Jeden Tag zur Mittagszeit wirst du hier mit mir zu Mittag essen, jeden Abend, bevor du zu deiner Familie zurückkehrst, wirst du hier mit mir zu Abend essen, in den zwischenzeitlichen Stunden wirst du dich deiner einzigen Aufgabe widmen, bis du sie gemeistert hast und dein Körper stark genug ist, um mit deinem anschließenden Training zurechtzukommen. Komm mit mir!“
Langsam schritt der Zauberer zu seiner Haustüre, öffnete sie und ging durch die erste Reihe der Bäume hindurch zu einer kleinen Lichtung, in deren Mitte sich ein großer Stein befand, auf den er sich niederließ. Für wenige Sekunden schloss er schweigend seine Augen und atmete tief ein und aus, bis aus den niedrigen Ästen der umstehenden Sträucher und Bäume ein junges Reh brach, das sich vollkommen ohne Scheu dem jungen Zauberer näherte und schließlich vor ihm stehen blieb.
„Ich möchte, dass du die Tiere dieses Waldes zu dir rufst, während du auf diesem Stein sitzt“, erklärte der Zauberer, während das junge Reh wieder zwischen den Ästen verschwand, stand gähnend auf und machte sich auf den Rückweg zu seiner Hütte, bevor er von den verwirrten Worten der jungen Frau zurückgehalten wurde.
„Aber wie soll ich das denn anstellen?“
„Das musst du selbst herausfinden, denn nur dann kannst du mit deiner Ausbildung weiterkommen“, antwortete er ihr, ohne stehen zu bleiben und verschwand schließlich wie das Reh inmitten der Äste, sodass die junge Frau alleine auf der Lichtung verweilte.
„Toll! Und wie soll etwas finden, wenn ich nicht einmal weiß, wonach ich suche?“, fragte die junge Frau in die Stille des Waldes hinein, doch bekam keine Antwort, und setzte sich schließlich wütend auf den Stein, schloss ihre Augen, atmete tief ein und aus, wie er es getan hatte, und wartete, doch nichts geschah.
Jeden Tag der nächsten Woche verbrachte die junge Frau auf dem unbequemen, kalten Stein, nur mit den Kleidern, die er ihr schenkte, und dem wärmenden Mantel bekleidet, der Kälte, die sie von ihrer Aufgabe abhalten wollte, trotzend, und konzentrierte sich mit aller Kraft auf die Tiere, die sie anlocken sollte, doch erreichte sie keinen Erfolg, jeden Tag zur Mittagszeit und zum Abendessen kehrte sie enttäuscht in die wunderschöne Hütte des Zauberers zurück, beantwortete seine Frage nach ihrem Fortschritt stets mit einem Kopfschütteln und versicherte ihm, sich am Tag noch mehr zu konzentrieren, jeden Tag zur Mittagszeit und zum Abendessen unterhielt sie sich mit dem jungen Mann, erzählte ihm von seiner Familie, von ihrem Leben im Dorf, von ihren Freunden, jeden Tag zur Mittagszeit und zum Abendessen lernte sie mehr über ihn, sein Leben an diesem verzauberten Ort, von seiner Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, jeden Tag zur Mittagszeit und zum Abendessen wurde sie ihm vertrauter, spürte das wohltuende Gefühl der Wärme in ihrem Herzen, das ihren Bauch so herrlich kribbeln ließ als ob sie aus den höchsten Höhen der Welt auf die Erde fallen und sicher in seinen Armen landen würde, stärker in ihr wachsen, jeden Tag zur Mittagszeit und zum Abendessen wünschte sie sich mehr, die Aufgabe schneller zu erledigen, um nicht mehr für all diese Stunden alleine sein zu müssen, um seine Seite nicht mehr verlassen zu müssen, wünschte sie sich immer mehr, dass die Mittagszeit und das Abendessen niemals enden müssten.
Während der nächsten Wochen wurde ihr anfangs schwächlicher Körper durch die üppige, ausgewogene Ernährung gesünder und stärker und füllte die wunderschönen Kleider, die sie sich ausgeliehen hatte, sodass sie bald zu jener Schönheit, die ihr der Spiegel aufgezeigt hatte, heranwuchs und von jungen wie alten Männern gleichsam bewundert, verehrt und umworben wurde, wenn sie in die Stadt kam, um ihrer Familie mit einem wunderschönen Lächeln, das ihre rubinroten Lippen jeden Tag, den sie mit dem jungen Mann verbringen durfte, zierte. Während sie in der Stadt die neugefundene Bewunderung der Männer stets höflich abtat, gab es einen Mann, der sie behandelte wie immer: Ranma. Gegenseitig strahlten sich die beiden jungen Erwachsenen eine Nähe und zugleich Ferne, eine unwiderstehliche Anziehungskraft und gleichsam eine Unerreichbarkeit aus, dass sie in der kurzen Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, ungebrochen an den Lippen des anderen hingen und sich gleichzeitig in den Augen des anderen verloren.
Die kurzen Wintertage wurden mit jedem Tag, an dem Akane an ihrer Aufgabe saß, die sie nicht verstand und deshalb nicht lösen konnte, deren Lösung sie finden sollte, ohne zu wissen, nach was sie suchte, kürzer. Nach über einem Monat des Versuchens und Scheiterns sprach Ranma schließlich beiläufig während eines Mittagessens die Worte aus, die sie mehr fürchtete als alles andere:
„Dein Körper ist nun kräftig genug, um deine weitere Ausbildung zu bestehen“, erklärte der junge Mann lächelnd, während er die Teller in die Küche trug. „Wir werden anfangen, sobald du deine Aufgabe gemeistert hast, Akane.“
„Verstanden“, antwortete die junge Frau gequält, da sie wusste, dass sie sein Vertrauen in ihr Potential enttäuscht hatte, und schenkte ihm doch ein Lächeln, als er den Wohnraum wieder betrat. „Ich werde den Stein nicht eher verlassen, bis ich gefunden habe, wonach ich suche, auch wenn ich die ganze Nacht und den nächsten Tag und die Nacht danach dort verweilen muss!“
„Warte“, wollte der Zauberer sie aufhalten, doch räusperte er sich zu spät, denn die schwarzhaarige, wunderschöne Frau war schon zur Türe hinaus in den Wald gestürmt, um sich ihrer Aufgabe zu stellen, und der junge Mann hauchte seine Warnung in den leeren Raum: „Nimm dir wenigstens etwas Warmes zum Anziehen mit, es wird heute das erste Mal in diesem Winter Schnee geben.“
Wütend setzte sich die junge Frau auf den Stein und wartete ungeduldig auf das Erscheinen der Tiere, auch wenn sie wusste, dass sie sich nicht richtig auf ihre Aufgabe konzentrieren konnte, da jeder Schlag ihres Herzens mit einem schmerzhaften Pochen verbunden war, der ihr Tränen in die Augen trieb. Hastig versuchte sie, die Tränen mit dem Ärmel ihres Mantels hinfort zu wischen, da sie wusste, dass ihr nicht eine einzige Träne weiterhelfen würde. Sie hatte sich selbst enttäuscht, weil sie die Aufgabe hatte nicht lösen können, doch schlimmer trug, dass sie ihn glaubte enttäuscht zu haben. Diese Enttäuschung half ihr, den Sturm, der nun schon so lange in ihrem Herzen wütete, ein wenig zu besänftigen.
Mit dem Abebben des Sturmes in ihrem Herzen begann sie wahrzunehmen, dass es heute den ersten Schnee dieses Winters geben würde, doch wusste sie nicht, woher sie diese Erkenntnis erlangte, denn die graue Wolkendecke hatte bereits tagelang mit Schnee gedroht; und wenig später geschah es: die erste Schneeflocke des Winters schwebte langsam vor den Augen der jungen Frau in die Richtung des festgefrorenen Bodens und landete auf ihrer ausgestreckten Hand, auf der sie schnell zu Wasser wurde. Sie spürte den kalten Wassertropfen an ihrem Finger hinab gleiten und langsam von ihm auf den Boden tropfen, wo er zerschlug. Langsam blickte die junge Frau zum wolkenverhangenen Himmel hinauf und erblickte tausende Schneeflocken, die elegant zum Boden schwebten, sich in den Ästen der umliegenden Bäume verfingen oder mit ihren Geschwistern kollidierten. Der wunderschöne Anblick des ersten Schnees beruhigte das wilde Herz der jungen Frau mehr und mehr, bis der zuvor vor Gefühlen, Gedanken und Unsicherheiten tosende Sturm in ihrem Herzen zu einer lauen Winterbrise abgeschwächt, ihr Herz und ihren Verstand nicht länger beherrschte. Sie fühlte sich befreit, schloss mit einem zufriedenen Lächeln ihre Augen und gab sich dem neugefundenen Gefühl des allumfassenden Friedens hin.
In der Schwärze ihrer geschlossenen Lider begann die junge Frau vor ihrem inneren Auge sich selbst inmitten der Dunkelheit auf einem Stein sitzend zu sehen. Zwar flackerte sie und verschwand ab und an, doch je mehr sich die junge Frau auf das Gefühl des Friedens in ihrem Herzen konzentrierte, desto deutlicher wurde sie selbst, bis plötzlich eine dunkelrote, an manchen