Mephisto
Mutter hatte Angewohnheit sie im Sommer offen zu lassen, auch wenn Chris das für unklug hielt. Aber im Vorraum brannte Licht. Doch kein Stromausfall. Chris’ Schritte wurden nun schneller, so dass er das kleine, aber geräumige Einfamilienhaus betrat und sich umsah. Der Boden, als auch der Teppich waren voller Schmutz. Stiefelabdrücke. War jemand zu Besuch? Kam noch jemand zum Essen, von dem seine Eltern ihm nichts gesagt hatten? Nein, die Spuren führten aus dem Haus hinaus.
„Mama? Papa? Hannah?“, rief der in die dunklen Zimmer. Er schritt voran und setzte seinen Fuß zuerst in die Küche. Nur der Mond, der inzwischen aufgegangen war erhellte sie. Auf dem Essenstisch standen vier Teller in der Mitte ein Topf aus dem Chris’ Lieblingsgeruch kam. Kürbissuppe. Rauch schwoll auf, sie war also noch warm. Chris’ schlug auf den Lichtschalter. Mit dem Strom war also alles in Ordnung. Auf der Theke, neben der Abspüle lagen zwei Bretter mit je Gemüse und Fleisch. Der Hauptgang war noch nicht zubereitet worden. Seine Eltern schienen das Haus schnell verlassen zu haben. Hatte sich einer von ihnen verletzt? Hatte es etwa irgendwo im Haus gebrannt? Zweiteres konnte Chris ausschließen. Dennoch begann er nun sich ernste Sorgen zu machen. Die nächste Station war das Wohnzimmer. Dort versuchte er den Lichtschalter zu ertasten, hatte aber Probleme. Er verzichtete darauf, als er seine Eltern und Hannah endlich erblickte. Sie saßen rund um den Wohnzimmertisch. Seine Eltern auf zwei breiten Stühlen und seine Schwester auf der gemütlichen, grasgrünen Couch. Chris war irritiert. Normalerweise war seine Mutter strikt dagegen im Wohnzimmer das Essen einzunehmen. Außerdem hatte sie es bereits in der Küche angerichtet, also wieso?
„Mama?“, fragte er verwirrt. Sowohl seine Eltern, als auch seine Schwester saßen mit dem Rücken zu ihm. Chris tapste näher und stolperte fast. Erst jetzt konnte er dank dem Mondlicht, das durch die Terrassentür fiel mehr erkennen. Plötzlich wurde er panischer, als bei seiner Prüfung. Seine Mutter, sein Vater und seine Schwester saßen zusammengesackt da. Den Kopf hängend und ihre Arme hinter dem Stuhl verschanzt. Diese waren mit dicken Seilen an das Stuhlbein gebunden worden.
„Mama! Papa! Hannah!", schrie Chris nun ernsthaft besorgt. Er fischte ein Taschenmesser aus seiner Hose und schnitt das Seil, das die Hände seiner Mutter fesselte los.
„Mam…“, wollte er sagen, doch durch das Entfernen des Seils, verlor die Frau den Halt und fiel zu Boden. Chris kniete sich hin und hob seine Mutter an den Schultern hoch. Als er sein Gesicht sah, schreckte er zurück. Er hob seinen Kopf und starrte nun auch seine Schwester und seinen Vater an, die in derselben Position dasaßen.
Genervt wählte Sebastian zum fünften Mal Chris’ Nummer. „Was ist denn mit ihm?“, fragte ihn Karl im alkoholisierten Zustand. Sebastian deckte sich mit einer Hand das linke Ohr ab. Beim achten Klingeln regte sich endlich etwas. Es wurde abgehoben. „Chris endlich! Ich versuche dich schon seit Uhrzeiten zu erreichen! Du, wir warten schon alle auf dich. Hier sind megascharfe Bräute und Unmengen Alk.“, schrie er in den Hörer. Es dauerte etwas, bis Chris antwortete.
„Du, Sebastian… Ich… ich werde nicht kommen können.“, sagte eine leise Stimme. Normalerweise hätte Sebastian ihn angeschrieen, doch an seiner Stimme merkte er, dass irgendwas passiert sein musste. Er hörte ein Knallen und rief etwas in den Hörer, dass Chris nicht verstehen konnte. Dieser hatte seine Hand nämlich fallen gelassen. Er war noch immer im Wohnzimmer, diesmal kauerte er jedoch in einer Ecke. Nichtmal das Mondlicht gab etwas von seiner Gestalt preis. Dafür aber von seiner Familie. Knapp zehn Zentimeter vor Chris lief ein Spalt im Paketboden entlang. In dieser Spalte rann nun eine rötliche Flüssigkeit entlang. Direkt an Chris vorbei und endete in einer Lache, die Chris beim hereingehen unmöglich hatte sehen können. Es war beinahe beruhigend. Wie ein Wasser, das heruntertropfte und in eine Quelle mündete. Doch es war ja kein Wasser. Sondern Blut.
Kapitel 1
Warum die Hölle im Jenseits suchen? Sie ist schon im Diesseits vorhanden, im Herzen der Bösen.
Ackermann schrie und das Echo antwortete ihm. Diesmal jedoch nicht, weil ihm jemand Schmerz zufügte, sondern weil er sich seine Haut an dem festen Seil, dass seine Hände an den Eisenrohren fixierten aufgerieben wurde. Blut rann seinen Unterarm entlang und tropfte auf seine nackte Brust. Ein Hemd trug er nicht mehr. Dieses lag nämlich etwa einen Meter von ihm entfernt. Völlig verschließen und zerschnitten. Mit einem Messer war es von Ackermanns Hals bis hin zu seiner Hüfte durchtrennt worden. Denn Fetzen hatte sein Entführer schließlich weggeworfen. Am ersten Tag hatte er es dabei belassen. Ackermann fror diese Nacht. Aber nicht aus Kälte, sondern aus Angst. Bereits, als er wieder zu sich kam und gefesselt an einem Heizungsrohr hing wusste er, wie sich der weitere Verlauf gestalten würde. Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Seine Sekretärin war an ihn getreten und hatte sich erkundigt, wie lange er sie noch brauche. Ackermann war ein Nachtmensch und arbeitete für gewöhnlich tief in sie hinein. Sie schickte seine Sekretärin nach Hause und begutachtete noch eine Stunde seine Formulare. Schließlich gähnte er und verließ sein Büro. Er schloss ab und fuhr mit dem Lift ins Parkhaus. Es standen nur noch wenige Autos in den Nischen und Ackermann brauchte nicht lange, bis er seines gefunden hatte. Er zog seinen Schlüssel und öffnete damit das elektronische Schloss. Er stieg ein, schlug die Tür zu und wollte sich vorbeugen um den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Daraus wurde nichts. Er spürte plötzlich ein schmerzhaftes Ziehen um seinen Hals. Etwas schnürte ihn zu. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte er zwei Hände, die in kohlrabenschwarzen Handschuhen steckten. Sie hielten etwas. Eine Schnur, so vermutete Ackermann. Diese schnürte immer mehr um seinen Hals. Ackermann bekam kaum noch Luft und erst als sich seine Augen nach oben vertreten und er sein Bewusstsein zu schwinden drohte, schnürte die Schnur ab. Ackermann hustete und rang flehend nach Luft. Doch die Schnur war nicht das einzige Grauen, das ihn heute erwarten sollte. Eine der schwarzen Handschuhe hielt plötzlich etwas in der Hand. Ein länglicher, gläserner Behälter. Eine Spritze! Ackermann bekam Panik. Alles Mögliche konnte sich darin befinden. Angefangen von einem harmlosen Beruhigungsmittel, bis zu Heroin und bis hin zu einem Gift. Ackermann wusste, dass er es nicht soweit kommen lassen durfte. Wenn ihm sein Angreifer erst einmal etwas von dem Inhalt injiziert hatte war es vorbei. Dann hatte er keine Chance mehr. Die Fahrertür war nicht abgeschlossen und so tastete Ackermann verzweifelt nach dem Griff. Doch seine Sicht war durch den kurzen Sauerstoffmangel dermaßen verschwommen, dass seine Hand nur in der Luft herumschwebte. Es war zu spät. Die schwarze Hand fuhr nach unten und bohrte die Nadel in Ackermanns Hals, dicht unterhalb der Halsschlagader. Der Inhalt leere sich und drang in Ackermanns Blutbahn ein. Es dauerte nichtmal 20 Sekunden bis Ackermanns Pupillen sich nach oben richteten und er schlaf zusammensank. Was dann geschah wusste er selbstverständlich nicht. Ob der Angreifer ihn in einen anderen Wagen gepackt, oder seinen eigenen benutzt hatte war schwer zu sagen. Ackermann wusste nichtmal wie lange er geschlafen hatte, bis er in seinem dunklen, dreckigen Verließ aufwachte. Seine Beine waren mit einem dicken Bergsteigerseil zusammengebunden, sowie seine Hände. Während er seine Beine bewegen konnte, waren seine Hände völlig eingeschränkt. Direkt über ihm leuchtete eine Glühlampe, die den Kerker erhellte. Schwarze, unverputzte Wände starrten Ackermann entgegen. Der Geruch von Asbest und Fäulnis drang in seine Nase. Er befand sich in einem Keller, aber in welchem? Er schien ziemlich groß sein, vielleicht der eines Kaufhauses oder einer Lagerhalle. Da hörte er zum ersten Mal die Schritte. Ackermann wusste damals nicht, wie er darauf kam, aber ihm kam die Idee, dass der Unbekannte Stiefel tragen musste. Er hörte das Knarren und Quietschen einer schweren Tür, die er aber nicht sehen konnte. Wenig später kam sein Entführer um die Ecke gebogen.
„Meine Frau hat mir bei der Scheidung alles genommen! Sie wird nicht für mich zahlen!“, redete Ackermann auf den Entführer ein. Dieser reagierte nicht, sondern setzte seinen Weg fort. Ackermann erkannte ihn nicht. Erst als der Entführer unter die Glühlampe trat konnte Ackermann einen Aufschrei nicht mehr unterdrücken. Mit den Stiefeln behielt er Recht. Der Entführer trug alte, abgenutzte Kleidung. Unter dem Mantel waren Spuren eines karierten Hemdes auszumachen. Die schwarzen Handschuhe trug er immernoch. Das schaurige war sein Gesicht. Er besaß keines. Darum hatte Ackermann auch einen derartigen Schock erlitten. Erst bei genauerem hinsehen sah er klarer. Das Gesicht des Entführers schien vollkommen von Haut überwuchert worden zu sein. Wie Unkraut, das eine Hauswand in Beschlag nahm. Sie überzog den Mund, die Nase und auch die Augen. Ackermann erkannte Löcher, die kleine, stechende Augen preisgab. Es konnte sich nur um eine Art Maske handeln. Diese zog sich vom Kinn, über die Haare und schließlich bis zum Hinterkopf. Bis auf die Löcher war sein ganzer Kopf darunter begraben.
„Wieso tun Sie das?“, war Ackermann nun den Tränen nahe. Wäre er heute nur früher gegangen oder hätte noch etwas länger gearbeitet.
„Ich habe wirklich kaum Geld!“, schwor er. Sofern sich in diesem Moment im Gesicht des Entführers etwas regte war es Ackermann unmöglich das zu sehen. Die Augen visierten ihn weiterhin an. Nun kniete sich der Entführer hin und zog etwas aus der Manteltasche. Erst als Ackermann ein Messer aufblitzen sah schrie er um sein Leben.