Mephisto
weiter. Dieser verschaffte ihm etwas Sicht.
„Wir haben der Presse einige Details vorenthalten, um den Täter hervorzulocken.“, gestand er. Chris blickte seinen ehemaligen Freund nun interessiert an. „Ich bin ganz Ohr.“, erwiderte er. Auch Jäger übergab dem Dienststellenleiter dann die Zügel.
„Ich und meine Dienststelle sind involviert, weil wir das zweite Opfer gefunden haben. Bzw. waren wir die ersten am Tatort. Ich bat Herrn Jäger darauf nicht nur an dem Fall mitzuarbeiten, sondern auch dich hinzu zu ziehen.“, gestand er. Chris konnte ihm nicht folgen.
„Warum ich? Ich bin nur ein armer Privatermittler, der sich im Winter nicht mal das Heizen leisten kann.“, klang er beinahe verständnislos.
„Wir sagten ja schon, wir fanden etwas an den Leichen, dass wir nicht an die Presse weitergegeben haben.“, sagte Sebastian. Chris hasste es, das er es so spannend gestaltete.
„Zahlen.“, nahm Jäger seinem Kollegen die Chance.
„Bitte?“, glaubte Chris sich verhört zu haben. Nein, er hätte sogar dafür gebetet. Aber Jäger schien keine Gnade zu kennen. „Auf der Stirn von Nadine Boglárka wurde die Zahl ‚Vierzehn’ eingeritzt. Die Wunde wurde dann mit Salz gesäubert. Genau wie bei Opfer Nummer 2. Auf der Brust von Carsten Ackerman stand in Schönschrift die Zahl ‚Dreizehn’. An beiden Verletzungen sind die Opfer nicht gestorben, sondern durch einen Stich ins Herzen. Genau genommen ist Stich nicht der richtige Ausdruck. Der Täter hat gewütet. Er hat das Messer mehrere Male umgedreht, so dass die Aorta nachher aussah wie gestampftes Rindfleisch.“, schien er einen Hang zu Metafern zu haben.
„Haben Sie diese Tötungsweise schonmal gesehen?“, fragte Jäger, ohne eine Miene zu verziehen. Chris sprang auf. Am liebsten hätte er nun seine Hände genommen, sie um Jägers Hals gelegt und so lange zugedrückt, bis ihm seine Augen rausgekullert wären.
„Was zum Teufel bilden Sie sich ein?“, sah er ihn schreckerfüllt an. „Chris bitte! Setz dich wieder!“, flehte ihn Sebastian an. Nun fischte Chris nach der Akte mit seinem Namen.
„Da steht nichts über die Fälle drin. Nur über Sie, Hartmann.“, enttäuschte ihn Jäger. Chris war dennoch nicht zu bremsen. Er schlug die erste Seite auf und erkannte einen Bericht, der seine Daten beinhaltete. Blatt Nummer 2 war der psychologische Bericht, den die Polizeischule anfertigen hatte lassen. Blatt Nummer 3, der psychologische Bericht nach dem Tod seiner Familie. Chris erinnerte sich ungern zurück. Angstzustände, Panikattacken… Und dann… ja dann folgten die polizeitechnischen Untersuchungen über das Ehepaar Hartmann und deren Tochter Hannah. Das war zuviel und Chris schmetterte die Akte wieder auf den Tisch. Wo sie Jäger aufsammelte. Er ließ Chris nicht zufrieden und fischte ein Bild aus der Akte. Ob es Absicht war, dass er das, seiner kleinen Schwester erwischte, wusste er nicht. Jäger hielt es ihm direkt unter die Nase. Das Foto zeigte Hannah auf dem silbernen, kalten Obduktionstisch. Auf ihrer Stirn klaffte die Zahl „22“. Chris war so aufgebracht, dass er Jäger das Foto entriss und es in Konfetti verwandelte. Jäger schien das nicht zu stören. Sebastian begann nun auf den Chefinspektor einzureden. „Er ist doch auch ein Opfer!“, appellierte er an Jägers Vernunft. Dieser schnaufte.
„Wir werden sehen.“, meinte er, stand auf und verließ die Tür. „Ich sehe Sie dann morgen Hartmann. Wir haben uns hier eingerichtet. Sie sind ab sofort der SOKO Mephisto zugeteilt.“, rief ihm noch zu, bevor er durch die Bürotür verschwand.
Kapitel 4
Diese Welt ist nicht zum Leben, sie existiert nur zum Träumen.
Aus Respekt hatte Sebastian seinen Freund die nächsten Minuten nicht angesprochen. Nur ein Anruf ging für ihn ein, von dem Chris nichts mitbekam. Als er das Foto sah war er plötzlich wieder in seinem Haus. Schattenweg 7a. Die Haustür stand offen und er betrat das Innere. Als er in der Küche niemanden vorfand drang er ins Wohnzimmer vor. Dort wurde er schließlich fündig. Es vergingen Stunden, bevor er Sebastian anrief. Dieser kam und zog kurz darauf die Mordkommission hinzu. Chris sah zu, wie sich Sebastian draußen übergab. Chris war nicht übel. Kein Stück. Später, bei der psychologischen Betreuung wurde er gefragt, was er gefühlt habe.
Er antwortete: Ich verstand nicht, warum meine Mutter nicht zu ende gekocht hatte. Außerdem nahmen wir das Essen stets in der Küche ein. Als er seine Familie fand, glaubte er zuerst nicht, dass es Hannah und seine Eltern waren. Blutige Fratzen sahen ihm entgegen, die einem höchstens zu Halloween anglotzten. Die Zahlen entgingen ihm natürlich nicht. Als er den Kopf seiner Mutter hielt sprang ihm die Zahl „23“ ins Auge. Damals hatte er ihr keinen großen Wert zugeteilt. Auf der Stirn seines Vaters prangte die „24“ und auf Hannahs die „22“. Niemals würde er diesen Anblick vergessen. Auch nicht diese Zahlen. Und die Worte. Die Kriminalpolizei entdeckte sie vor Chris, da dieser nur in der Dunkelheit da hockte. Der Wohnzimmertisch war beiseite geschoben worden und der Täter hatte etwas auf den flachen Paketboden gekritzelt. Mit Blut, wie sollte es anders sein. Seine Eltern und Hannah saßen im Halbkreis herum da.
„Die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.“ Die Buchstaben waren verwischt, konnten aber genau rekonstruiert werden. Chris hatte sich damals gefragt, von wem das Blut dafür stammte. Seine Mutter hatte die tiefste Schnittwunde, die Ermittler gingen damals von ihr aus. „Chris.“, redete Sebastian mit sanfter Stimme auf ihn ein. „Er ist wieder da.“, versuchte er es so schonend wie möglich auszudrücken. Chris schüttelte den Kopf. „Das sind acht Jahre Sebastian. Kein Serienmörder macht solange Pausen. Erinnerst du dich an die Vorlesung von diesem Ami?“, spielte er auf die Ausbildung an. Sebastian seufzte.
„Es sind nicht nur die Zahlen. Sowohl der Gerichtsmediziner von damals, als auch unser jetziger sagen einstimmig aus, dass die Morde vom selben Täter begangen wurden.“, erklärte er. Chris hielt sich die Hand vor den Mund.
„War der Rest auch gleich?“, hakte er nach. Sebastian schüttelte den Kopf.
„Nichts war gleich. Die Sätze fehlten und es wurden nicht mehr Familien umgebracht, sondern nur noch Einzelpersonen.“, gab er preis.
„Und es ist sicher der selbe Täter? Damals wurden die Zahlen preisgegeben.“, erinnerte Chris. Sebastian stimmte ihm zu.
„Ja, er hat sein Schema geändert, aber sonst auch nichts. Die Wunden werden immernoch mit Salz gestoppt und damals wurde nicht der Sinn der Zahlen veröffentlicht.“, erinnerte er. Chris nickte. Der Sinn. Die Zahlen kombiniert mit den schaurigen Zitaten, die an den Tatorten zurückgelassen wurden. „Die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.“ Das war einer der Sätze. Chris erlitt damals eine Panikattacke und blieb zur Beobachtung zwei Wochen im Krankenhaus. Damals waren die Zeitungen voll.
„Grausamer Mord an Familie.“ Chris las jede Ausgabe davon. Doch in keiner stand etwas, was er noch nicht wusste. Er rief Sebastian an, der ihm aber auch nichts sagen konnte. Und die Kriminalpolizei schon recht nicht. Am Tag seiner Entlassung kaufte er eine neue Zeitung.
„Eine weitere Familie kaltblütig ermordet! Polizei geht von einem Ritualmord aus. Mörder hinterlässt Zahlen und religiöse Botschaften am Tatort. Eine Bevölkerung in Angst und Schrecken!“ Chris suchte den damaligen Ermittlungsbeamten auf. Dieser hatte größtes Mitleid mit dem Jungen und verriet ihm, gegen die Vorschrift die Hindergründe. Beim zweiten Mord gab es wieder drei Opfer. Ein Ehepaar mit ihrer Tochter. Auf den Stirnen der drei wurden die Zahlen „21“, „20“ und „19“ gefunden. Zuerst hatten die Ermittlungsbeamten angenommen, der Täter hätte bereits 24 Menschen getötet und erst bei Chris’ Familie angefangen zu zählen. Dass es noch Opfer gab, die der Polizei nicht bekannt waren. Doch dann stellten sie fest, dass der Täter hinunterzählte. Die Polizei glaubte einen großen Durchbruch erzielt zu haben, als Natascha Klein, die Tochter der Familie noch einen schwachen Puls aufwies. Sie wurde ins nächste Krankenhaus gebracht und operiert. Mit Erfolg! Sie überlebte, und die Polizei glaubte durch sie den Serienmörder finden zu können. Doch es dauerte, bis sie vernehmungsfähig war. Sie erzählte von einem Mann mit einer Maske, die wie Haut aussah. Er hatte ihre Eltern vor ihren Augen gefoltert und sie musste zusehen, wie ihre Erzeuger grauenvoll ihr Leben lassen mussten. Natascha erinnerte sich nicht mehr selbst gefoltert worden zu sein, obwohl ihre Wunden das bewiesen. Die Ärzte fanden diese Reaktion mehr als logisch. Auch bei Tat Nummer 2 wurde ein Satz gefunden. „Ja, aus den Augen, aus dem Sinn!“ Die Polizei stand vor einem Rätsel, bis ein Polizeipsychologe schließlich Abhilfe leistete. Er konnte die Sätze dem Werk „Faust“ von Goethe zuordnen. Die Zahlen dauerten etwas, doch schließlich fand man den Zusammenhang.
„Faust beschwor damals einen Teufel. Mephistopheles. Er wickelte ein Geschäft mit ihm ab. Mephistopheles sollte ihm 24 Jahre lang dienen, dafür würde er am Schluss Fausts Seele erhalten.“ Das war das letzte, dass der Chefermittler damals gesagt hatte. Die Polizei ging davon aus, dass der Mörder aus irgendeinem Grund 24 Opfer ausgewählt hatte. Doch warum Familien? Natascha Klein war auch keine Hilfe mehr. Sie erinnerte sich, dass der Täter ihre Eltern ständig etwas gefragt hatte, als er sie folterte. Er fragte sie, ob sie sterben oder leben wollten. Sie schwor darauf, dass ihre Eltern ständig zweiteres beteuerten, doch je mehr sie der Killer folterte, umso mehr wechselte ihre Meinung. An ihre Antwort erinnerte sich Natascha nicht mehr. Hatte sie bejaht? Oder verneint? Vielleicht hatte sie sich ja trotz dem ganzen Schmerz entschieden zu leben, vielleicht war das