Stonehenge
Stonehenge
Stonehenge
Weißt du, warum es erbaut wurde?
Und wann?
Wie?
Ich erzähle es dir.
Dunkel und von Schnee bedeckt liegt Stonehenge auf dem Hügel. Dutzende Touristen besuchen es; sie machen Fotos oder sitzen in den umliegenden Cafés. Der Geruch von frischem Schnee und Kaffee hängt in der Luft und die Gespräche der Besucher stören die heilige Ruhe des Winters, so wie überall sonst auf der Welt. Nur, dass das hier, am Fuße Stonehenges, ein besonders großer Frevel ist. Lange vergessen ist die Geschichte des berühmten Steinkreises, begraben unter tausenden von Jahren. Ich bin die Einzige, die sich erinnert und so ist es an mir, diese Legende zu erzählen.
Doch dafür müssen wir weit zurück…
Das Kratzen einer Feder auf Pergament, der durchdringende Geruch von Tinte und Schweiß, die Kühle eines Raumes bar jeglichen Schmucks. Wir schreiben das Jahr 1130, in dem Henry von Huntington Stonehenge das erste Mal in seiner Geschichte Englands erwähnt. Er schreibt von ihm als „Stanenge“und ich habe dafür gesorgt, dass er es bereut. Niemand verhöhnt Stonehenge, den größten aller Schutzkreise!
Doch wir müssen noch weiter…
Es ist Sommer. Grillen zirpen, während halbnackte Männer den Steinkreis erbauen. Die Geburt Stonehenges…
Es ist ca. 3000 vor Christus, Schweißgeruch durchdringt die Luft und die Arbeit wird mit lauten Rufen koordiniert. Hier wird unsere Geschichte enden.
Doch sie beginnt noch ein Jahr zurück…
Amesbury in Wiltshire, England: Hungersnöte erschüttern das Land, die Menschen sterben zu tausenden. Seuchen greifen um sich und verbreiten Angst und Schrecken. Noch mehr Menschen sterben, weil sie lieber gar nichts essen, als den Seuchen zum Opfer zu fallen. Verzweifelt wandern sie zu einem grasbewachsenen Hügel, an dem sie schon immer ihre Götter anbeten. Übereinkünfte werden geschlossen, Entscheidungen werden getroffen und man beschließt ein Mondritual einzuberufen, um die Götter um Hilfe anzuflehen.
Hoch steht der Mond am Himmel, als die Priester singend die Götter um Hilfe anflehen. Genau während der Mond sich an den Zenit schiebt kommen die Priester zum Ende. Mitternacht, die Zeit der Götter beginnt. Mond steht auf seinem höchsten Punkt und niemand darf nun ohne die Erlaubnis aller Götter sprechen. Denn jetzt sprechen die Götter:
„Was hätten wir davon, euch zu helfen? Wir sind nicht schuld an dem Hunger und den Seuchen. Wir verlangen ein Opfer. Ist einer von euch dazu bereit, möge er vortreten und euer Leid wird vergehen.“
Oh, ich weiß noch wie ich mich damals fühlte. Den Hunger fühlte ich schon längst nicht mehr und Trauer ließ in mir nur Leere zurück. Und gleichzeitig fühlte ich ohnmächtige Wut auf die Götter. Hatten nicht schon genug Menschen gelitten? Waren nicht schon zu Viele gestorben? Und trotzdem forderten die Götter ein Opfer! Ich hielt sie für gleichgültig, unbeteiligt und kaltblütig. Aber ich konnte auch nicht zulassen, dass noch mehr Menschen starben. Niemand machte Anstalten vorzutreten, alle hatten jemanden, an dem sie hingen, den sie beschützen mussten. Nur ich nicht. Schon vor Wochen hatte mir der Hunger meine Familie genommen, alle, die ich kannte sind tot. Es durften nicht noch mehr sterben! Langsam trat ich vor, bis ich in der Mitte des Hügels stand.
„Also hat sich jemand gefunden. Tritt durch das Tor.“
Zitternd ging ich durch das schillernde Tor, das vor mir erschienen war. Ich landete ich einer anderen Welt. Sanfte, blumenbedeckte Wiesen umsäumten die Holzhütte, vor der ich stand. Die Tür schwang auf und eine sanfte, beinahe liebevoll klingende Stimme lud mich ein, einzutreten. Angstvoll folgte ich der Aufforderung.
Es war eine lange Zeit, die ich dort verbrachte. Die Götter selbst brachten mir die Heilung der Seuchen und das Finden von Nahrung bei. Bis zu dem Tag, an dem sie mir offenbarten, was ich nie zu hoffen gewagt habe: Dieser Ort war jenseits von Zeit und Raum. Während ich jahrelang dort ausgebildet wurde, ist in der Welt der Menschen keine Sekunde vergangen. Und ich sollte die Menschen jetzt retten! Alte Angst kam wieder in mir auf, Angst davor, zu verlieren. Die nächsten Worte der Götter halfen auch nicht:
„Wir haben dich erwählt, weil du bereit warst, dich zu opfern. Du wirst deine Gaben nicht zum Töten nutzen. Wir erwarten das Ende der Hungersnot.“
Mit diesen Worten erschufen sie ein Tor vor mir, damit ich hindurchtrat. Und das tat ich.
Lange brauchte ich, um den Hunger und die Krankheiten zu beenden. Doch letztendlich schaffte ich es und ich wurde zu einem Helden. Ich ließ einen Steinkreis erbauen, große Megalithen bildeten den perfekten Schutzkreis. Solange mein Volk diesen Kreis ehrte, würde es nie wieder eine solche Hungersnot geben.
Tage später, als all meine Arbeit getan war, stieg ich auf den Hügel, auf dem der Steinkreis stand. Ein langer Dolch, silbern und filigran, erschien in meiner Hand und ohne Zögen stieß ich in mir ins Herz. Tot sackte mein Körper zum Boden, doch mein Geist wird ewig über diesen Schutzkreis wachen.
So wurden die Megalithen nach mir, Stonehenge, benannt.
Nun, meine Schuldigkeit ist getan, ich habe Stonehenges Geschichte erzählt. Bewahre sie gut und sorge dafür, dass sie nicht wieder in Vergessenheit gerät!
Ein kurzes Blinken, ein verlöschender goldener Schein.
Ein weiterer gefallener Stern, wie auch Stonehenge bald einer sein wird.
Und dann bin ich frei.