Fanfic: Inferior to sample

Kapitel: Closer

„Ist es das was du willst?“ Ich höre, wie etwas auf meinem Schreibtisch landet, aber ich drehe mich nicht um. Wenn du aus dem Fenster meines Büros nach draußen schaust, von dem Platz aus an dem ich sitze, ist alles was du siehst der Himmel. Schwerer, graublauer Himmel. Komisch, die Wolken sehen hier nicht näher aus als auf dem Boden, aber wenn du vor dem Haupteingang stehst, dann sieht es aus, als könnte man sie von hier oben berühren. Gerade an Tagen wie diesem, wenn die Wolken so tief hängen.
„Sieh mich an, Turk! Ist es das, worauf du anspielst? Denn du bist auf dem besten Weg dahin und bei den Göttern, ich werde es nicht bereuen.“ Noch immer ignoriere ich ihn gekonnt, lasse den Stuhl nur etwas weiter nach hinten kippen. Dabei verstehe ich jedes Wort… nur zeigen will ich ihm das nicht. Er redet von Göttern, wie lächerlich! Dabei hat er ihnen allen abgeschworen, bis auf den einen. Überhaupt, gibt es für ihn nur diesen einen. Es ist schon regelrecht widerlich. Es steht auch heute wieder ganz deutlich in seinen Augen geschrieben, das weiß ich genau. Das Bild, das sich mir bieten würde, würde ich den Kopf wenden, hat sich tief in meinem Gehirn verankert. Ich kenne es einfach, obwohl es immer irgendwie anders ist. Blasse Hände, die einen ziemlich ungesunden Eindruck machen, bedenkt man ihre Herkunft. Kalte Augen, die genau so farblos zu sein scheinen wie alles andere an ihm, trotz der Karamellfärbung. Als wären sie hinter einem Schleier verborgen- und irgendwie sind sie das ja auch. Warm werden sie nur für diesen einen Mann, beinahe als würde er anfangen zu schmelzen. Diesmal liegt zwischen seinen schmalen Fingern jedenfalls eine Brieftasche, das habe ich am Geräusch erkannt. Wahrscheinlich die von Cissnei, ich weiß dass er sie aufgehoben hat. Nicht mal ich wage zu denken, dass das aus Sentimentalität passiert ist, obwohl ich immer etwas in der Luft gespürt habe, zwischen den Beiden. Nun, jetzt ist sie weg, und genau darum geht es ihm wahrscheinlich. Er hält daran fest dass sie tot ist, von ShinRa getötet, genau wie alle anderen. Glauben kann ich das nicht. Er würde nicht so damit prahlen, wenn er wirklich etwas damit zu tun hätte. Dass sie am Leben geblieben ist, dass er sie gedeckt hat, das ist ein schöner Gedanke, wenn auch einer den ich ihm nicht zumuten will. Ich glaube nämlich, dass er dann wirklich gefährlich werden würde. Er hat so ein seltsames Ding laufen, mit Frauen an und für sich und mit toten Frauen insbesondere. Von der Cetra fängt schließlich auch niemand mehr an.
Ich hasse dieses Gefühl bei Tseng, dass wir auf einen Abgrund zurasen. Jedes Mal, wenn er das Büro betritt und ich allein hier bin, lädt sich die Atmosphäre unweigerlich auf und es endet immer damit, dass er einen souveränen Rückzieher macht. Trotzdem ein Rückzieher- aber wie lange noch? Ich kenne diesen Kerl seit einer Ewigkeit, das blasse, schmale, unauffällige, hübsche Bürokratengesicht. Alles an ihm ist blass, schmal und unauffällig- bürokratisch. Alles sitzt perfekt- aber das war nicht immer so. Als ich bei ShinRa anfing, damals waren wir beide noch sündhaft jung, da war noch offensichtlich, dass er von unten kam. Aus einer Welt die nicht ganz so hübsch und geradlinig war. Ich hatte ihn für eine Zeitbombe gehalten, den mühsam gezügelten Wildfang, dessen Temperament immer unter der dünnen Membran der Oberfläche brodelte. Das ist Jahre her. Eine Weile lang war ich dann sicher, dass er endgültig verschwunden war, in einen Abgrund geschliddert, den Abhang hinunter- auf Nimmerwiedersehen. Das denkt noch immer jeder. Der Einzige den er sehen lässt, dass da noch ein bisschen mehr ist, ein bisschen Leben, bin ich. Keine Ahnung warum, abgesehen von den offensichtlichen Gründen, versteht sich.
Ich höre wie er sich abwendet und ein paar Schritte durch den Raum marschiert, sein bevorzugtes Mittel um sich abzuregen- er kuscht, wie üblich. Erst als ich das leise Klicken des Türschlosses höre, sehe ich auf. Er schließt mich ein? Nein, schlimmer… er schließt uns ein. Es gibt nur noch wenige echte Horrorszenarios, über die ich auch nach der ganzen Zeit als Turk noch nicht nachzudenken wage. Mit Tseng in einem abgeschlossenen Raum zu sein, mit all den unausgesprochenen Dingen, den aufgestauten Dramen und Tragödien… Das ist definitiv eines davon. Ich habe keine Angst vor ihm, das nicht, er hat viel von seinem Feuer eingebüßt. Ich fühle mich nur nicht wohl bei dem Gedanken, das ist alles.
Jetzt ignoriere ich ihn nicht mehr, er hat meine volle Aufmerksamkeit, obwohl mich nichts von dem was ich sehe überrascht. Auf meinem Schreibtisch, zwischen all dem Müll, den Tassen und dem Papierkram, sehe ich nichts, was dort nicht hingehört hätte. Also hat er die Brieftasche wieder weggesteckt. Die Stuhlbeine kommen mit einem halblauten Geräusch auf dem Boden auf, das die Stille auf erschreckende Weise zerreißt. „Keine Chance, Chef. Das mit uns beiden hätte sowieso keine Zukunft“, bemerke ich gelassen, aber selbst in meinen Ohren klingt es nicht nach dem üblichen Spott. Er sieht mich immer noch unbewegt mit diesen kalten Augen an, völlig unberührt. Alle Gefühle, falls er denn welche hat, scheinen für den Präsidenten aufgespart zu werden, den einen und einzigen. Was das angeht ist er geizig. Was alles andere angeht- Regellockerungen, Gehaltserhöhungen, Lob, Freizeit- im Übrigen auch.
Mit ein paar Schritten ist er wieder bei mir, unser Director, und ich weiß dass er sich gerade noch so unter Kontrolle hält. Aber das habe ich doch auch erwartet, oder? Hätte er etwas anderes getragen, dann hätte ich den Stoff an seinen Schultern und Oberarmen sicher spannen sehen, so gereizt ist er. Und eigentlich ist er auch nicht so schwach und schmächtig wie er uns glauben machen will. Keine Ahnung, ob er in einem anderen Outfit als der weiten Uniform auch so dazu eingeladen hätte, ihn zu unterschätzen. Er trug seit Jahren nichts anderes mehr. Er bleibt stehen, aber erst neben meinem Stuhl. Er hat die Linie des Schreibtisches, die für ihn eigentlich heilig ist, eiskalt überschritten, und jetzt steht er direkt vor mir. Ich schiebe meinen Stuhl zurück und will aufstehen, dabei sehe ich feine Haarsträhnen die sich gelöst haben und ihm ins Gesicht gefallen sind. Das tun sie sonst nie, sie sind immer da wo er sie haben will. Wenn ich das erkennen kann, dann bin ich zu nah, viel zu nah dran. Ich komme nicht mal ganz aus dem Stuhl hoch, und mir bleibt auch keine Zeit etwas zu sagen. Die Ohrfeige trifft mich unvermutet, ich habe nicht gesehen wie er sich bewegt hat. Mit einer Hand stütze ich mich auf dem Schreibtisch ab, um nicht zu stürzen. Noch immer schweigen wir beide. Vielleicht wartet er auf eine Reaktion meinerseits, aber ich bleibe weiter mit gesenktem Kopf auf die Tischplatte gestützt stehen. Alles in mir ist in Aufruhr, als wüsste mein ganzer Körper, dass das hier ein Test ist, dass Tseng endgültig klarstellen will, wer der stärkere ist... aber ich reagiere nicht darauf. Der nächste kaltblütige, sorgsam platzierte Schlag bringt mich in den Stuhl zurück, dann ist er über mir. Ich erhasche einen kurzen Blick auf ihn; da ist eine weiße Narbe über seiner Augenbraue. Vielleicht stammt die noch von der Aktion im Nordkrater, vielleicht hatte er sie auch schon immer. Ich weiß nichts über ihn. Eine Hand gräbt sich in meine Haare und reisst meinen Kopf zurück, die Lehne drückt unangenehm in meinen Nacken, die andere ist irgendwo an meiner Hüfte. Ich weiß wonach er sucht, doch als er mich loslässt, und ich ihn in stummem Zorn ansehe, ist meine Waffe schon unter seinem Jackett verschwunden, die ID- Card auch. Von hier ist seine Narbe nicht mehr zu sehen, schon merkwürdig.
Sein Gesichtsausdruck hat sich kein bisschen verändert, vielleicht hat er auch nur diesen einen. Er hätte genauso gut einen Kaffe kochen oder einen Urlaubsantrag ablehnen können.
Schweigend richtet er seine Sachen und schweigend wendet er sich zur Tür um. Ich beobachte ihn eindringlich, das Herz so leer wie meine Taschen. Gerade als er den Schlüssel umdreht hält er inne, als wäre ihm jetzt erst aufgefallen, dass er noch gar nichts von dem was passiert ist kommentiert hat. Er drehte sich nicht um, aber ich bin mir irgendwie sicher, dass er die Augen geschlossen hat. „Du bist beurlaubt. Das nächste Mal, wenn du ihn allein lässt, nehme ich dir mehr als nur das.“ Dann ist er weg, zusammen mit dem, was von meinem Leben übrig ist.
Wenn du aus dem Fenster nach draußen schaust, von dem Platz aus an dem ich sitze, dann siehst du nur den Himmel. Schweren, graublauen Himmel. Die Wolken sehen hier nicht näher aus als auf dem Boden, aber wenn du vor dem Haupteingang stehst, dann sieht es aus, als könnte man sie von hier oben berühren. Als wäre man ein Stück näher am Himmel. Jeder hier weiß, dass das Unsinn ist. Der einzige Unterschied besteht darin, dass man von hier oben tiefer fällt.
Suche
Profil
Gast
Style