Das größte Tabu
anscheinend keiner mehr Verfolgte, wusste der Staatsalchemist nicht.
"Wir... scheinen... Sie abgehängt zu haben...", keuchte der Blonde und sah zu Al auf. "Alphonse?" Dass sein kleiner Bruder schon nicht mehr da war, hatte Ed bis eben nicht bemerkt gehabt. "Verdammt!"
Inzwischen hatte ein Teil der Stadt den 14-Jährigen im Keller des Rathauses versteckt. Damit er nicht fliehen konnte, banden sie die Rüstung am Stützbalken des Gebäudes fest.
"Jetzt redet endlich! Wo ist Edward Elric?" Ein Mann, der um die 50 Jahre alt zu sein schien, war vor Al getreten und blickte diesen wütend an.
"Ich weiß es nicht", gab Alphonse wieder. Und obwohl es die Wahrheit war, schien ihm das keiner zu glauben.
"Ich wiederhole mich nur ungern." Drohte der Mann. "Wo ist der Fullmetal Alchemist?"
Al saß in der Patsche. Aber wie sollte er hier raus? "Aber... Ich weiß wirklich nicht, wo sich Ed..." Alphonse stockte. Gerade war ihm wieder eingefallen, wohin die beiden wollten. Der 50-Jährige bemerkte diese, doch recht lange, Pause in seinem Satz.
"Ist es Euch wieder eingefallen?"
"N...Nein!" Stotterte Al. Er war einfach kein guter Lügner.
"Warum nehmt Ihr diesen Mörder in Schutz?" Der Mann klang ruhig, doch seine Augen flackerten.
"Was?! Ed ist kein Mörder! Niemals!" Ed war kein Mörder, fügte der blonde Junge im Gedanken hinzu.
"Ihr scheint den Fullmetal Alchemisten gut zu kennen..."
"Ed ist mein Bruder!" Rief der Jüngste der hier Anwesenden dem Herren vor sich zu.
"Er hat also einen großen Bruder?"
"!" Darauf zu antworten, würde Edward nur wieder aufregen, auch wenn besagter Alchemist nicht anwesend war – deswegen schwieg er.
"Nun gut." Plötzlich verfinsterte sich die Mine des Mannes und drehte sich um. Nach einem kurzen Beratungsgespräch mit gleichaltrigen Männern wandte er sich dem kleinen Bruder wieder zu.
"Da Ihr in unserer Gewalt seid, wird der Fullmetal Alchemist nicht lange auf sich warten lassen." Damit mochte er Recht haben.
"Ed..." Alphonse steckte in der Klemme. Wenn Edward in befreien käme, würden diese Leute ihm sicher etwas antun. Andererseits... taucht Ed nicht auf, so...
"Macht euch auf die Suche!" Rief er zu ‚seinem’ Volk. "Sagt Edward Elric, dass wir seinen Bruder haben!" Die vielen Menschen antworteten mit einem lauten "JA!" und verschwanden. Nur der alte Mann blieb.
"Was... Was habt Ihr mit Ed vor?"
"..." Darauf wollte Als gegenüber nicht mehr antworten und schwieg von nun an.
"Alphonse!?" Rief ein etwa 15 Jahre alter Junge und sah sich dabei gründlich um. "Wo könnte er nur sein?" Fragte er sich und kratzte sich am Kopf.
Gerade wollte der Staatsalchemist eine Pause einlegen, da sah er eine Gruppe Menschen, welche ruhig auf ihn zu schritten. Mit der Vermutung, dass diese Leute etwas Wissen könnten, verharrte Ed.
"Haben wir dich gefunden, Fullmetal Alchemist!"
"Schön. Und jetzt mal eine Frage." Edward klang ruhig, obwohl seine Befürchtung sehr wahrscheinlich war. "Wo ist Al?" Eindringlich sah er in die Augen der Personen, die sich ihm in den Weg stellten.
"Wir haben ihn!", berichtete ein junger, gut aussehender Mann.
"Wie bitte?!" Das wollte der blonde Junge nicht eigentlich hören. "Dann gebt ihn sofort frei!"
"Nein. Du kommst brav mit uns mit, dann lassen wir deinen großen Bruder gehen!" Und DAS wollte Edward erst recht nicht hören!
"Al ist mein KLEINER Bruder!" Er schrie den Mann so laut an, dass dieser und ein paar andere einen Schritt zurück machten.
"Dein...kleiner...?" Weiter schaffte es der Anführer der kleinen Meute nicht, da er lauthals zu Lachen anfing.
"Puahahaha. Das ich nicht lache! So ein Winzling soll der GROßE Bruder sein?!" Er bekam sich nicht mehr ein und schon bald darauf lachten sie alle mit.
Ed platze gleich der Geduldsfaden. Doch Al zuliebe beherrschte er sich – seine Hand aber zitterte vor Wut.
So langsam hatten die Menschen vor ihm auch keine Luft mehr – sie mussten mit dem Gelächter aufhören. So ruhig wie nur Möglich, sprach der Mann weiter. "Wie dem auch sei." Der Herr hatte sich kurz geräuspert. "Kommst du nun mit uns?"
Stumm nickte Edward, nachdem er für einen Moment über mögliche Konsequenzen nachgedacht hatte.
Alphonse saß noch immer auf dem Boden, gefesselt am Stützpfeiler des Gebäudes und unter der Aufsicht des alten Mannes. Die ganze Zeit über hatte Al gehofft, dass Edward nicht kam – doch bekam er das Gespräch der Männer ihm gegenüber genau mit.
"Wir haben ihn", rief ein junger Mann. "Und wir brauchten noch nicht einmal zu Waffen zu greifen!"
"Waffen?!" Al bekam einen Schrecken. Ohne Waffen... Das hieß, dass sich Ed unvorsichtiger weise hat schnappen lassen... Oder dass er freiwillig mitgekommen ist.
Der 50-Jährige erhob sich von der alten Holzkiste, auf der er gesessen hatte, und ging erhobenen Hauptes auf den Bruder des Staatsalchemisten zu.
"Ich denke, du hast es gehört. Schon bald wird der Fullmetal Alchemist hier sein und seine gerechte Strafe erhalten!"
"Strafe? Aber wieso das denn?!" Rief Al verzweifelt.
Hatte Edward etwa wirklich einen Mord begangen? Einen, von dem Alphonse nichts wusste? Nein. Das konnte nicht sein! Nie würde Ed einem Menschen etwas antun!
"Hör zu! Dein Bruder...", sprach der Mann leise, aber bestimmt. "...der Fullmetal Alchemist hat..."
Genau in diesem Moment, als der Bürgermeister zu erzählen beginnen wollte, ging die große schwere Kellertür auf und eine kleine Gruppe Männer sowie Edward traten ein.
"Gebt mir meinen Bruder zurück!" Schrie der Staatsalchemist, während er sich zornig einen Schritt nach vorn wagte. Gefesselt war er nicht.
"Sieh an. Wen haben wir denn da?" Mit Sarkasmus in der Stimme hatte sich der Mann umgedreht und blickte dem blonden Jungen nun tief in seine goldenen Augen.
Edward sah man an, dass er den Typen vor sich nicht erkannte. "Wer seid Ihr?
"Du brauchst nur ein wenig nachdenken. Oder besser. Erinnere dich an meine kleine Nichte, die durch deine Hand starb!", presste der grauhaarige Mann hervor und tat ebenfalls einen Schritt nach vorn. "Sie war erst 5! Warum musste sie sterben?"
"Von wem...?" Ed stockte mitten im Satz. "Ihr meint doch nicht...!" Anscheinend erinnerte er sich wieder.
"Sieh an. Glückwunsch an dein Gedächtnis!"
Edwards Augen flackerten in diesem trüben Licht kurz auf. Kurz darauf erkannte man Zorn in ihnen. Eigentlich wollte er diese Sache nie wieder ansprechen. Aber...
"Ed? Wovon spricht er?" Schaltete Alphonse sich mit leiser Stimme ein.
"Alphonse... Das...", fing Ed an und stockte wieder.
"Dein Bruder möchte wohl nicht darüber reden. Nun gut." Der Mann um die 50 drehte sich wieder zu Al um. "Dann werde ich dir erzählen, was passiert ist."
Bevor der Bürgermeister jedoch zu erzählen begann, machte er es sich auf der Holzkiste bequem, soweit das Möglich war zumindest. Mit ruhiger, aber nachdenklicher Stimme fing er dann an.
"Es war vor etwa einem Jahr." Langsam senkte er seinen Blick. "Die Armee und wir waren damals zerstritten. Das Land auf dem unsere schöne Stadt steht, sollte reduziert werden. Einen Hafen wollten sie bauen und unseren geliebten Kristallsee als Handelsrute verwenden. Jedenfalls sahen weder die Bewohner noch ich ein, warum ein naturbelassener See von den Menschen zerstört werden sollte. Wir versuchten alles, um die Armee von diesem schönen Stück Erde fernzuhalten! Bis dein Bruder auftauchte, hatte es auch ganz gut funktioniert." Der Mann machte eine kurze Erzählpause und sah zu Edward, welcher seinen Kopf nur zur Seite weg drehte.
Al wusste gar nicht, dass sein Bruder schon einmal hier gewesen war. Wo war er selbst zu jenem Zeitpunkt gewesen?
"Wir wussten nicht, warum sie uns ein Kind schickten. Genauso wenig wie wir wussten, dass er ein Staatsalchemist ist..."
"Hört auf!" Unterbrach ihn der blonde Junge. "Das war alles ganz anders!"
Doch der alte Mann wollte das nicht hören, weswegen er die Sätze des Fullmetal Alchemisten gekonnt ignorierte. "Nachdem wir erfahren hatten, dass dieser Junge der berühmte Edward Elric war, hatten wir wahrlich Bedenken, ob uns das Militär überhaupt ernst nahm. Schön. Man hatte uns immerhin einen Staatsalchemisten geschickt. Leider änderte sich nichts an der Tatsache, dass dieser noch ein Kind war! Nach einer Volksabstimmung entschieden wir, dem Fullmetal Alchemist eine Chance zu geben. Jedoch war das ein großer Fehler."
Der Bürgermeister Wools hielt kurz inne und sah weiterhin bedrohlich zu Edward. "Ich kann nicht genau sagen, wie und warum das ganze damals passiert ist. Nur eines ist mir klar! Es war dein Bruder, der ach so berühmte Fullmetal Alchemist!"
"Nein! Mein Bruder würde niemandem etwas antun! Oder Ed?" Doch der Angesprochene schwieg. "Nii-san?" Alphonse war besorgt. War es am Ende doch wahr, was der Mann ihm da erzählte? Hatte Edward wirklich ein kleines Mädchen auf dem Gewissen?
Die beiden Brüder sahen sich nun gegenseitig in die Augen. "Du hast nichts getan, oder? Nii-san?"
Der Junge mit den goldenen Augen schwieg weiter. Doch konnte sein kleiner Bruder genau spüren, was seinem Bruder durch den Kopf ging. Al lächelte innerlich.
Der Bürgermeister hatte dem Szenario lange genug zugesehen.
"Edward Elric! Bekenne deine Schuld und ich werde Gnade walten lassen!"
Mit diesem Satz hatte er quasi zugegeben, dem Fullmetal Alchemist