Jaime le sang

Ich liebe Blut

Jaime le sang

J'aime le sang
(Ich liebe Blut)

Die Tür fiel klickend ins Schloss, raubte dem grauen Raum die einzige Lichtquelle.
Es war Nacht, eine Nacht ohne Sterne, ohne Mond, ohne auch nur einen Schimmer, der durch die vergitterten Fenster fallen konnte.
Dunkelheit.
Schwärze.
Alle Nächte sahen hier gleich aus.
Alle Zimmer waren in diesem Haus grau und leer. Keine Farben, keine Bilder an den Wänden, kein Mobiliar, außer den Betten.
Ein Bett für jeden Raum, ein Bett, eine Stahltür und ein vergittertes Fenster.
Ein trostloser Ort, ohne Leben, ohne Lachen.
Von Zeit zu Zeit hörte man ein Stöhnen durch die alten Gänge hallen, einen Schrei, markerschütternd und beängstigend. Doch meistens war alles still.
Alles still, außer ein Raum.
Mein Raum.
Oft saß ich einfach nur da.
Zusammengesunken auf meinem Bett.
Manchmal stand ich neben meinem Fenster, die Mauer anstarrend.
Aber meistens, meistens war ich gar nicht hier.
Ich war weit fort, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, in einem anderen Jahr. Mein Leben, meine Vergangenheit durchlebend. Festklammernt an dem, was ich noch wusste.
Doch die Erinnerungen entglitten mir langsam.
Langsam, schleichend, wurde alles dunkler, düster, von brennenden Flecken verschluckt.
Das Leben zu Hause, das Leben unter Freunden und Familie, unter Lachen und Liebe, es verschwand.
Schwarze Höhlen aus unbekannten Gesichtern starrten mir entgegen, grinsten vor Boshaft, verschwammen mit dem bisschen, an das ich mich noch erinnern konnte.

Das Türschloss klackte erneut, ließ mich aufschrecken, verscheuchte meine Gedanken an die Vergangenheit.
Eine Wärterin kam hinein, weiß gekleidet, in der Hand ein Tablett mit einem Glas Wasser und kleinen blauen Pillen. Pillen gegen die Angst.
Ich schluckte sie; ohne das Wasser, das brauchte ich nicht mehr.
Wissend lächelte mich die Frau an, gab mir ihre Hand, um mir aufzuhelfen, um mich zu meinem Bett zu bringen.
Das Glas stellte sie mir auf die Fensterbank.
Falls ich heute noch Durst bekäme, sagte sie.
Aber das war gelogen, Glas war in meinem Zimmer nicht erlaubt.
Es war nicht erlaubt und das wusste jeder.
Auch sie.
Mit einem falschen Lächeln und heuchelndem "Gute Nacht" verschwand die Frau wieder, überließ mich der Müdigkeit und meinen Träumen.
Träumen, die immer stärker wurden.
Träumen, die mich auch am Tag heimsuchten, in den Stunden meiner Schreie.
Den Stunden, in denen ich ganz allein war.
Ich war allein, allein mit meinen Geistern.

Der Spiegel glotzte.
Weit aufgerissene Augen.
Weiß, leer, ausgebrannt.
Roter Mund.
Schief geschnitten, grinsend.
Schwarze Haare.
Nass am Kopf klebend.
Über mir, Flackern.
Kaltes Licht und Dunkelheit.
Geruch von Metall.
Weiße, braune Wände.
Dreck.
Nässe.
Ein tropfender Wasserhahn.
Tropfendes Rot.
Tropfendes Rot von meinem Arm.
Tropfen, Tropfen.
Und der Spiegel lachte.
Lachte laut und schallend.
Straucheln.
Strauchelte über meine Füße.
Schwach, zittrig.
Raus aus dem Bad.
Schwarz-weiß, mein Zimmer.
Roter, nasser Boden.
Pfützen voll mit mir.
Die Uhr schlug.
Krachte schief zu Boden.
Lachen.
Der Spiegel hörte nicht auf.
Er sang ein Lied.
Ein Lied von Tod und von Zerstörung.
"Tod, Tod, wirbel mich, wirbel mich herum. Wandere am Abgrund. Wirbel mich herum"
Erneutes Lachen.
Schrill und hoch.
Zucken, Kleinmachen.
Ich kniete.
Kniete im Rot und es tropfte.
Tropfte vom Arm, vom Handgelenk.
Schwarze Kluft im Fleisch.
Kichern.
Nun leise.
Nicht vom Spiegel.
Von nirgends.
Nur mein Mund.
Mund, der sich bewegte.
Mund, der grinste.
Mein Mund grinste.
Formte sich von selbst.
Öffnete sich und lachte.
Lachte über Freude.
Lachte über mich.
Schwindel und Rot.
Klumpig und flüssig.
Umgebung zersprang.
Und ich lachte, lachte weiter, bis die Sirene ertönte.


Schreiend wachte ich auf.
Keuchend, verschwitzt saß ich auf dem weißen Bett.
Mein Herz schlug schnell, zu schnell, doch langsam beruhigte es sich.
Vergangenheit.
Die einzige Vergangenheit, die mir geblieben war.
Die einzige Erinnerung, die mich verfolgte, die mir Angst einjagte.
Röcheln.
Meine Kehle war trocken, zu trocken, so trocken, dass es schmerzte.
Ich stand auf und strauchelte.
Nur knapp bekam ich die Fensterbank zu fassen.
Abstützend konnte ich stehen.
Langsam, vorsichtig, als wäre das Wasser gefährlich, griff ich danach.
Doch als ich es anhob, Lachen.
Ich zuckte, suchte den Spiegel.
Das Glas glitt mir durch die Finger.
Entglitt und zersprang auf dem harten Steinboden.
Schlucken.
Scherben und Wasser lagen vor mir.
Liebsäuselten leise.
Mein Blick blieb daran hängen, fixierte sich.
Herzklopfen vor Aufregung.
Ein Grinsen zog sich über meinen Mund.
Meine Augen starrten auf die Scherben.
Mein Körper sank, sank auf die Knie, nah zum Boden.
Ich ergriff eine Scherbe, groß, kerbig und lachte.
Schon lange habe ich mich nicht mehr so frei gefühlt.
Dieses Mal würde es klappen.
Dieses Mal hatte ich die falschen Pillen bekommen.
Schließlich bekam ich immer gelbe Kapseln, immer, ständig.
Gelb für Hoffnung, oder Neid, oder irgendwas.
Gelb gegen meine Anfälle.
Gelb für Müdigkeit.
Und Blau für nichts, nicht mal fürs Schlafen.
Ich hob meinen linken Arm, den Arm mit den Narben und lachte erneut.
Nun würde ich frei sein, würde ich leben können.
Dies alles wird vorbei sein.

Stechender Schmerz.
Rotes Nass.
Zähflüssig an meinem Arm.
Dann wurde alles dunkel.
Mein Mund formte die letzten Worte.
Die Worte, die mein Leben bestimmten.


"Ich liebe Blut."

-Ende-

(c) caperpri
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